# taz.de -- Umweltschutz unter Muslimen: Ist Verschwendung eine Sünde? | |
> Wer religiös ist, will häufig die Schöpfung bewahren. Und ist offen für | |
> Umwelt- und Klimaschutz. In muslimischen Gesellschaften gibt es ein | |
> großes Potenzial. | |
Bild: Grün ist der Islam und grün ist die Natur - zumindest im Sommer. | |
Taha Kahya ist ein Missionar - für den Klimaschutz. Sein Auftrag: die in | |
Deutschland lebenden Türken zum sparsamen Umgang mit ihren Heizungen zu | |
bewegen. "Es ist nicht schwierig, die Leute davon zu überzeugen", sagt der | |
Projektmanager der vom Bundesumweltministerium finanzierten | |
Heizspiegel-Kampagne. "Man muss nur wissen, welche Sprache man spricht." | |
Dass eine Internetseite und Vorträge auf Türkisch dabei nicht reichen, hat | |
Kahya bei seinen ersten Veranstaltungen in Berliner Moscheen gemerkt. Er | |
warf Diagramme und Zahlen zum Klimawandel an die Wand, referierte über den | |
Anteil, den die fossilen Energieträger daran haben, verwies auf die | |
neuesten Studien aus der Wissenschaft - und langweilte offenkundig seine | |
Zuhörer. Das änderte sich, als er irgendwann dem muslimischen Publikum eine | |
entscheidende Frage stellte, auf die er gekommen war: "Ist Verschwendung | |
eine Sünde?" Die Diskussion konnte beginnen. | |
Klimasünder, Ablasshandel mit Verschmutzungsrechten und der stete Verweis | |
auf die kommende Apokalypse - das Vokabular des Klimaschutzes nimmt | |
bisweilen religiöse Züge an. Doch können die Religionen auch Verbündete | |
sein im Kampf gegen den Klimawandel und für eine intakte Natur? Für Taha | |
Kahya ist die Antwort klar: "Glaube ist auch ein Mittel zum Zweck", sagte | |
er jüngst auf einer Tagung der Evangelischen Akademie im niedersächsischen | |
Loccum, die der Frage "Wie grün ist der Islam?" nachging. | |
Dort verwies auch Dieter Gerten vom Potsdam-Institut für | |
Klimafolgenforschung auf das riesige Potenzial, das Religionen für einen | |
nachhaltigeren Umgang mit Ressourcen bieten. Denn 83 Prozent der | |
Weltbevölkerung bezeichneten sich zumindest im weiteren Sinne als religiös. | |
In vielen Religionen spiele Natur eine wichtige Rolle, Wasser gelte zum | |
Beispiel sehr häufig als "heilig". Diese kulturelle Dimension sei in der | |
gegenwärtigen naturwissenschaftlich und ökonomisch geprägten Debatte über | |
den Klimawandel aber unterrepräsentiert, sagt Gerten. | |
Dabei ist der Islam für die Wissenschaftler besonders interessant. Denn | |
viele Regionen, in denen sich die schon jetzt bestehende Wasserknappheit | |
durch die Erderwärmung verschärfen wird, sind muslimisch geprägt. Doch | |
während zum Beispiel in vielen christlichen Gemeinden die Protest- und | |
Umweltbewegungen der vergangenen Jahrzehnte durchaus ihre Spuren | |
hinterlassen haben und die "Bewahrung der Schöpfung" ein durchaus weit | |
verbreiteter Teil des Werte- und Predigtkanons wurde, spielt dieses Thema | |
für viele muslimische Gläubige keine Rolle. | |
"Der Klimawandel gilt oft als ein Problem, dass der Westen geschaffen hat | |
und das er selber lösen muss", beschreibt Fazlun Khalid, Gründer der | |
Islamic Foundation for Ecology and Enviromental Sciences in Birmingham | |
seine Erfahrung, die er in Diskussionen mit Imamen sammelte. Ihnen hält er | |
Prinzipien wie "Balance", "Verbeugung vor der Natur" oder "Einheit des | |
Schöpfers und der Schöpfung" entgegen, die er mit Koran und Scharia | |
begründet - und leistet damit Pionierarbeit in aktueller ökologischer | |
muslimischer Theologie. | |
Doch das alles bleibt nicht ohne Kritik. "Der Islam wird | |
instrumentalisiert", sagt zum Beispiel Firouz Vladi, der beim Landesverband | |
der Muslime in Niedersachsen für das Thema Bildung zuständig ist. Für mehr | |
Umwelt- und Klimaschutz sei keine Religion nötig. Vielmehr hätten rationale | |
Entscheidungen dazu geführt, dass sich etwa in Deutschland die | |
Wasserqualität in Flüssen und Seen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich | |
gebessert habe. Umweltschutz sei vor allem eine staatliche Aufgabe, die | |
Vermittlung dieser Themen müsse in den Schulen stattfinden. | |
Oder in den Umweltverbänden. So hat sich zum Beispiel in der Berliner | |
Sektion des Bundes für Umwelt und Naturschutz die türkische Umweltgruppe | |
"Yesil Cember - Grüner Kreis" gebildet, die 70 Mitglieder zählt, davon 15 | |
aktive. Eine davon ist Yasemin Aydemir, die zum Beispiel auf dem regelmäßig | |
stattfindenden "Türkischen Umwelttag" an Infoständen und auf | |
Veranstaltungen in türkischer Sprache dafür wirbt, den Müll zu trennen. | |
"Wir brauchen keinen Öko-Islam", sagt die angehende Berliner | |
Islamwissenschaftlerin. "Wir brauchen ökologisch handelnde Muslime." | |
15 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Stephan Kosch | |
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