Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- EU-Ölembargo gegen Russland: Victor Orbáns neue Veto-Keule
> Hatte Ungarn die ersten EU-Sanktionspakete gegen Moskau mitgetragen,
> verhält es sich bei Ölimporten anders. Grund sind Profite im
> Raffineriegeschäft.
Bild: Ein Arbeiter in der ungarischen Ölraffinerie in Szazhalombatta
Berlin taz | Die Europäische Union setzt sich für ein Importembargo für
Erdöl aus Russland ein. Die ganze EU? Nein, Ungarns Premier Viktor Orbán
stellt sich quer. Ein Verzicht auf den fossilen Energiequell würde Ungarns
Wirtschaft wie eine Atombombe treffen, schreckte er nicht vor bombastischen
Vergleichen zurück. Der Hintergrund ist real. Ungarn bezieht offiziell 43
Prozent seiner Ölimporte aus Russland. Der ungarische Energieexperte Attila
Holoda spricht sogar von 65 bis 70 Prozent. In Deutschland sind es knappe
30 Prozent. Auch Österreich, das bei einem möglichen Erdgasboykott auf der
Bremse steht, weil 80 Prozent seiner Importe aus dem Reich Putins kommen,
tut sich beim Öl leicht. Nur 3Prozent der Einfuhren sind russischen
Ursprungs.
Hat Ungarn die ersten Sanktionspakete gegen den militärischen Aggressor
noch ohne großes Murren mitgetragen, so hört bei Energiefragen der Spaß
auf. Das hat Orbán sehr bald signalisiert. [1][Gestärkt durch seinen
unerwartet deutlichen Wahlsieg vom 3. April] geht der seit zwölf Jahren
regierende Rechtsnationalist zunehmend selbstbewusst in die Verhandlungen.
Außenminister Péter Szijjártó bezifferte die Kosten eines Verzichts auf
russisches Öl mit schwindelerregenden 15 bis 18 Milliarden Euro. Mit dieser
Summe würde sich Ungarn das Zurückziehen seines Vetos entgelten lassen. In
der EU sehen das die meisten wohl wie Litauens Außenminister Gabrielius
Landsbergis: „Die ganze Union wird von einem Mitgliedstaat in Geiselhaft
gehalten.“ Auf dem EU-Gipfel, der für 30. und 31. Mai in Brüssel geplant
ist, soll darüber debattiert werden.
Schon mit der Planung neuer Reaktoren im AKW Paks südlich von Budapest hat
sich Orbán mutwillig in Abhängigkeit von russischer Technologie und
Finanzierung begeben. Belohnt wird er dafür mit günstigen Öllieferungen.
Der Energieanalyst Holoda ist überzeugt, dass Viktor Orbán diese
Abhängigkeit von Russland gar nicht als Schwäche, sondern als Möglichkeit
zur Profitmaximierung sieht. „Ungarn kauft sehr billiges Rohöl aus Russland
und verrechnet für die raffinierten Produkte die höheren Preise, die sich
nach der Sorte Brent richten. Das ist ein Riesengeschäft“, so der Experte
vergangenen Dienstag im „Ö1-Mittagsjournal“. Deshalb wolle Ungarn in genau
dieser Position bleiben. Holoda rechnet vor, wie Ungarn im Laufe weniger
Wochen seine Forderungen für eine Abkoppelung der ungarischen Ölversorgung
von russischen Lieferungen immer weiter hochgeschraubt habe: von rund 750
Millionen Euro kurzfristiger Investitionen auf inzwischen 18 Milliarden
Euro.
[2][Orbán hat in der Veto-Keule ein willkommenes Instrument entdeckt,
Brüssel zu erpressen.] Seit Monaten liegen 7,1 Milliarden Euro aus dem
Corona-Wiederaufbaufonds auf Eis. Die Gelder wurden eingefroren, weil
Budapest schwerwiegende Korruptionsvorwürfe und Bedenken wegen des Abbaus
von Rechtsstaatlichkeit nicht entkräften konnte. Der
Rechtsstaatlichkeitsmechanismus der EU könnte also durch die
Notwendigkeiten eines geschlossenen Auftretens gegenüber Wladimir Putin
auf der Strecke bleiben.
## Ausgestattet mit den Vollmachten eines Kriegsherrn
Orbán, der bisher wenig Interesse an erneuerbaren Energieformen gezeigt
hat, will jetzt auch am mit 300 Milliarden Euro dotierten Repower-EU-Fonds
mitnaschen und verstärkt in Photovoltaik investieren. Ursula von der Leyen
ist skeptisch. „Ungarn möchte Investitionen dafür in Solarenergie, das ist
ja grundsätzlich gut, aber wir müssen noch über die Höhe der Investitionen
sprechen“, so die Kommissionspräsidentin letzte Woche im ZDF. Dass von der
Leyen letzte Woche in Budapest vorstellig wurde, stellen die regimetreuen
Medien genüsslich als Schwäche der EU dar.
Mit der Ausrufung des Notstands am Mittwoch hat sich Orbán jetzt mit den
Vollmachten eines Kriegsherrn ausstatten lassen obwohl kein anderer
Regierungschef in der EU über ein vergleichbar gefügiges Parlament
gebietet. Als erste Maßnahme hat er eine Sondersteuer auf die Gewinne von
Großkonzernen verhängt, mit der die Teuerung für Konsumentinnen und
Konsumenten abgefangen werden soll. Über das Ölembargo gegen Russland will
er auf dem Sondergipfel des Europäischen Rates gar nicht sprechen.
29 May 2022
## LINKS
[1] /EU-und-die-Parlamentswahl-in-Ungarn/!5845951
[2] /Wahl-in-Ungarn/!5841130
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
Embargo
Ungarn
Gewinn
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Rassismus
EU-Kommission
Ungarn
Ungarn
EuGH
## ARTIKEL ZUM THEMA
Orbáns Rede in Rumänien: Unerträgliches Salbadern
Die rassistische Haltung des ungarischen Premierministers ist kaum
aushaltbar. Wie weit kann Orbán noch gehen, bis es der EU zu bunt wird?
EU-Bericht zu Rechtsstaatlichkeit: Zu kurze „Abkühlphasen“
Der neue Rechtsstaatsbericht der EU-Kommission kritisiert nicht nur Ungarn
und Polen. Auch Deutschland steht im Visier – wegen Lobbyismus.
EU und die Parlamentswahl in Ungarn: Eisiges Schweigen
Statt Premier Orbán zum Sieg zu gratulieren, will Brüssel Ungarn jetzt doch
die Mittel kappen. Dafür soll der Rechtsstaatsmechanismus genutzt werden.
Wahl in Ungarn: Putin ist Orbáns Spiegelbild
Am 3. April wird in Ungarn gewählt. Wie sich der Ukrainekrieg auf die
Chancen des Putinverstehers Victor Orbán auswirkt, ist ungewiss.
EU-Sanktionsverordnung: Für das Budget und die Menschen
Die EU muss für Kürzungen den Nachweis liefern, dass eine ordnungsgemäße
Verwendung der EU-Gelder gefährdet ist. Die Einschränkung war notwendig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.