| # taz.de -- Neue Staffel von „Borgen“: In der Schlangengrube | |
| > Zehn Jahre nach der ersten Folge ist die dänische Politserie „Borgen“ | |
| > zurück. Die vierte Staffel ist aktueller denn je – und nicht minder | |
| > spannend. | |
| Bild: Birgitte Nyborg (Sidse Babett Knudsen, rechts) ist wieder da – diesmal … | |
| Kein Spoilern von dem, was die acht Folgen der vierten Staffel „Borgen“ an | |
| Plot enthalten, nichts verraten von dem, was im Detail aus der | |
| [1][Politikerin Birgitte Nyborg] wird. Davon abgesehen, dass ihre Karriere, | |
| also ihr Machtstreben andauert, darf so viel erzählt werden: „Borgen“ ist | |
| eine dänische Fernsehserie, die vor zehn Jahren mit der ersten Staffel | |
| hierzulande auf Arte begann und vom Schicksal einer politischen Laufbahn | |
| keineswegs fern stehenden Frau aus Kopenhagen berichtete. | |
| „Borgen“, zu Deutsch: „Die Burg“, ist im dänischen Regierungs- und | |
| Parlamentsgehege angesiedelt und macht inszenatorisch das Gleiche wie | |
| [2][„House of Cards“ in den USA] und dessen Vorläufer, das britische „Ein | |
| Kartenhaus“. Nur, dass die skandinavische Variante keine nach Macht | |
| strebenden Männer zeigt, sondern Frauen. Und was wir als Publikum in den | |
| ersten Staffeln lernten, ist, dass Frauen den Job der Spitzenpolitikerin | |
| ebenso virtuos ausüben können wie Männer, erbarmungsarm wie | |
| ellenbogenbewusst. Mit ebensolchen Tricks und Finessen eben – nur dass | |
| Birgitte Nyborg anfänglich auch noch Mutter und Ehefrau ist. | |
| Am Ende werden diese privatesten Umfelder, die gern an Atmosphären der | |
| Mütterlichkeit, der Umsorge und des Mitgefühls geknüpft werden, in die | |
| Kulissen abgeschoben sein. Die Ehe kaputt, Tochter und Sohn aus dem | |
| Mittelpunkt weiblichen Lebens entsorgt, der Gatte scheidungsbereit. | |
| Die Schauspielerin, die diese Rolle verkörpert, ist Sidse Babett Knudsen – | |
| und sie macht das famos. Nicht, dass sie anfänglich so ein eisig | |
| kalkulierendes Miststück wie Robin Wright als Claire Underwood in „House of | |
| Cards“ wäre – Knudsen entwickelt ihre Professionalisierung, dieses sachte | |
| Herantasten an das, was eine politische Megabegabung wie ebendie der | |
| Birgitte Nyborg zu leisten hat, behutsam. | |
| Jetzt, in der vierten Staffel, auch dies kein Spoiler zur Handlung, sagt | |
| sie auf einen leisen Vorwurf, ob sich das für sie persönlich gelohnt hätte, | |
| ob es das wert – das meint den Verzicht auf privates, familiäres Glück – | |
| war: Ja. | |
| Nicht empathischer als männliche Politiker | |
| Dass sie nun nicht mehr von Schuldgefühlen geplagt sei, wenn sie morgens | |
| nicht noch die Mutter der Kompanie gibt inklusive Müslizubereiten und | |
| sorgenvoller Fragen zu den schulischen Dingen der Kinder und abends dauernd | |
| Verabredungen mit ihrem Mann cancelt, weil das politische Geschäft alles | |
| jenseits dessen zu Variablen macht: Nötigenfalls müssen eben private | |
| Umstände zurückstehen. Endlich, so sagt sie, könne sie nach Hause kommen, | |
| wann sie wolle. | |
| In Knudsens Mimik spiegeln sich noch Reste von Nyborgs alten Verhältnissen | |
| und des damit einhergehenden schlechten Gewissens. Doch im Grunde gefällt | |
| ihr, dass sie ihren Job als ehrgeizige Politikerin auf unerhörte Art | |
| verrichtet, obsiegt schließlich die unsentimentale Einsicht, dass Macht zu | |
| haben und auszuüben, sie immer zu sichern in allen Schlangengruben des | |
| parlamentarischen und ministeriellen Gewerbes ihr einfach Spaß macht. Sie | |
| schöpft geradezu Lust aus den Rund-um-die-Uhr-Gefechten ihrer politischen | |
| Existenz: Und das macht ehrlich größere Freude beim Zusehen als etwa bei | |
| Claire Underwood in „House of Cards“. | |
| Der dänische Drehbuchschreiber Adam Price – ach hätt’ doch die deutsche | |
| Filmwirtschaft so einen auch im Fundus – verzichtet sympathischerweise auf | |
| alle drehbuchhafte Cremigkeit, nichts an der gesamten Geschichte der | |
| vierten Staffel ist lustig gehalten, gar nichts lädt dazu ein, | |
| versöhnlerisch zu denken: ach Frauen haben es auch schwer. | |
| Birgitte Nyborg ist weder empathischer als männliche Politiker noch hat sie | |
| weichere Seiten und kommt trotzdem nicht wie ein Monster daher, was die | |
| Wirkung dieser souveränen Performances nur abschwächen würde. Aber auch | |
| Frauen lieben Macht und haben sie gern inne, nötigenfalls unter | |
| Kaltstellung der Konkurrenz, und sei sie weiblich. Sentimentalisierender | |
| Kitsch – davon ist „Borgen“ in den neuen Folgen gänzlich befreit. Und wo… | |
| geht’s in dieser Staffel konkret? Nyborg ist nicht mehr Premierministerin, | |
| sondern Außenministerin. [3][Eine Annalena Baerbock quasi]. Sie hat sich | |
| unter einer Ministerpräsidentin zu behaupten, ihr Job: politische | |
| Auseinandersetzungen mit der einstigen dänischen Kolonie Grönland, das, | |
| rohstoffreich wie Norwegen und Russland, gern ganz autonom und reich werden | |
| würde. | |
| Die Themen in „Borgen“ sind aktueller denn je: Russland, die EU, | |
| Dekolonialisierung, Klimawandelpolitik und so weiter – alles sehr heutig. | |
| Es sieht aus, als wären die Folgen erst vor ein paar Minuten aus der | |
| Postproduktion gekommen. | |
| Das lohnt sich zu sehen, das ist äußerst spannend und wie immer auch ein | |
| Lehrstück in Intriganz und Durchsetzungsfähigkeit. Wie eine Schlangengrube | |
| und dabei typisch skandinavisch ist und bleibt „Borgen“. Sidse Babett | |
| Knudsen ist als Birgitte Nyborg ein politisches Schwergewicht geworden, und | |
| das sieht sehr scheusalig aus – und eben auch sympathisch. | |
| 6 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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