# taz.de -- Pro und Contra Jamaika in Kiel: Sollen die Grünen mitmachen? | |
> Nach den Wahlen führt die CDU in Schleswig-Holstein Sondierungsgespräche | |
> für eine neue Jamaika-Kolalition. Sollen sich die Grünen darauf | |
> einlassen? | |
Bild: Daniel Günther (CDU) und die grünen Spitzenkandidatinnen Monika Heinold… | |
## Ja | |
Die Grünen sollten sich an Jamaika in Schleswig-Holstein beteiligen, wenn | |
die Bedingungen stimmen. Das heißt, wenn sie ausreichend grüne und soziale | |
Inhalte durchsetzen können und wenn sie eine rein schwarz-gelbe Koalition | |
damit verhindern. Das ist die eigentliche Frage. Wie ernst ist es | |
CDU-Wahlsieger Daniel Günther damit, im Zweifel nur mit der FDP zu | |
regieren? | |
Beim Thema Bildung zum Beispiel birgt Schwarz-Gelb [1][die Gefahr eines | |
Rollbacks]. Beide Parteien haben im Wahlprogramm stehen, dass sie an den | |
Gemeinschaftsschulen wieder auf äußere Leistungsdifferenzierung setzen, | |
also Trennung der Kinder. Auch die Inklusion steht für sie nicht oben an. | |
Hier bildeten schon in der vergangenen Legislatur die Grünen ein Korrektiv. | |
Doch auch bei anderen Themen wie Energiewende, Photovoltaikausbau, Erhalt | |
der Biodiversität durch weniger intensive Ackernutzung oder | |
[2][Erdgasförderung in der Nordsee] kann die weitere Beteiligung der Grünen | |
bedeutend sein. | |
Zumal: Die Grünen sind [3][in einer stärkeren Position als 2017], als es | |
erstmals galt, das Jamaikabündnis zu schmieden. Nicht nur die CDU, auch sie | |
haben gewonnen, fast jeder Fünfte hat sie gewählt. Es besteht natürlich die | |
Gefahr, dass ein Regierenwollen um jeden Preis zu zu starken | |
Zuggeständnissen verleitet. Hier braucht es klare rote Linien. | |
Natürlich wäre aus grüner Sicht ein Zweierbündnis mit der Union das | |
Angemessene. Auch für die CDU bedeutet Jamaika weniger Posten. Durch seinen | |
Schachzug, sich von den eignen Leuten dafür die Zustimmung geben zu lassen, | |
hat Günther sich eine machtvolle Position verschafft. Hinzu kommt, dass | |
Jamaika tatsächlich wohl in der Bevölkerung gut ankam. | |
Ob die Grünen das Spiel weiter mitmachen, sollten sie nach den | |
Sondierungsverhandlungen entscheiden. Sie haben in der Hand, eine rein | |
bürgerlich-konservative Regierung zu verhindern. Würde ihnen zu wenig | |
geboten, können sie sich gut begründet aus den Dreier-Verhandlungen | |
zurückziehen. | |
Dann begänne eine Poker-Partie. Denn auch Günther braucht die Grünen. Ein | |
reines FDP-Bündnis wäre eher glanzlos und wenig innovativ. Sollte es so | |
enden, können die Grünen im Landtag mit der SPD und dem SSW gute | |
Oppositionsarbeit machen und das ein oder anderen Rollback mit kritischen | |
Anfragen begleiten. Auch das ist manchmal effizienter, als in der Regierung | |
zu sein. Manchmal aber auch „Mist“. | |
Kaija Kutter | |
## Nein | |
Selbstverständlich sollten die Grünen sich nicht auf eine Dreier-Koalition | |
mit der unsinnigen FDP, deren Freiheitsbegriff von der Lizenz ohne | |
Tempolimit über die Autobahn zu rasen bis zur nächsten Tankstelle reicht, | |
und der kraftstrotzenden Schleswig-Holstein-CDU einlassen. Selbst | |
Sondierungen in diese Richtung können nur von Nachteil sein – für sie, für | |
ihre Inhalte, fürs Land und für die Demokratie. | |
Ja, wenn es Projekte gäbe, die eine Änderung der Landesverfassung | |
erforderlich machen würden, könnte es sich lohnen, darüber einen Moment | |
nachzudenken – wobei man sinnvollen Ideen einer Regierung ja auch aus der | |
Opposition zustimmen darf. Ist also auch kein tragfähiges Argument. Andere | |
Vorteile aber hat es nicht, als kleiner Partner in eine Koalition | |
einzutreten, in der man nicht gebraucht wird: Es ist möglich, sich dadurch | |
Ämter zu sichern – nicht aber mit ihnen auch die nötige Macht, um zu | |
gestalten. Die konzentriert sich in einer solchen Konstellation allein auf | |
den stärksten Partner, der ja noch dazu im Amt des Ministerpräsidenten über | |
Richtlinienkompetenz verfügt. Man macht sich von dessen Gnade abhängig, so | |
wie ein dressiertes Spielhündchen von seinem Herrn. Wenn er „hol's | |
Stöckchen“ sagt, tust du's. Wenn er sagt „sitz“, sitzt du. Und wenn er | |
„Aus“ sagt, ist Aus. Er braucht dich ja nicht! | |
Es gibt in der Geschichte Deutschlands nur wenige Beispiele solcher | |
übergroßen Koalitionen: Am längsten gehalten hat die erzwungene in der DDR, | |
in deren Volkskammer ab 1950 die CDU, LDPD, NDPD, DBD, FDGB, FDJ, KB, DFD, | |
VVN mit der SED zur „Nationalen Front“ zusammengefasst waren. Auch in | |
Bremen hat Wilhelm Kaisen nach dem Zweiten Weltkrieg alles, was nicht | |
offensichtliche NSDAP-Nachfolgeorganisation war, zusammengekehrt, auch wenn | |
seine SPD eine absolute Mehrheit hatte. Diese scheinbare Teilung der Macht | |
aber sichert sie viel nachhaltiger als jede Auseinandersetzung es könnte. | |
Bis heute gehört die Stadt den Sozialdemokraten, weil es ihnen damals | |
gelungen ist, die Differenzen in sich aufzusaugen. Also, Hut ab, [4][Daniel | |
Günther]! Machtpolitisch ist das ein eleganter Move, macchiavelistisch gar, | |
und wenn die Grünen hechelnd zustimmen, weil es Fresschen gibt, dann haben | |
sie sich ihren Untergang in fünf Jahren redlich verdient. | |
Schade wäre es hingegen um die Demokratie. Denn, die lebt vom offen aber | |
zivil ausgetragenen Konflikt, von der Vielfalt der Problemlösungsstrategien | |
und dem Wettstreit der Ideen. Ein Koalitionsvertrag hingegen muss, weil er | |
Herrschaft stabilisieren soll, diese Pluralität eindämmen: Kompromisse | |
garantieren zwar, dass sich überhaupt etwas rührt. Sie sind aber immer | |
Preisgabe von optimalen Handlungsansätzen, für die zu streiten nicht nur | |
lohnen würde: Es ist eine demokratische Pflicht. | |
Benno Schirrmeister | |
19 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
Benno Schirrmeister | |
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