# taz.de -- Affenpocken in Deutschland: Kein Anlass für ein Affentheater | |
> Warum die Affenpocken besser Riesenhamsterrattenpocken heißen sollten – | |
> und was Sie sonst noch über das Virus wissen müssen. | |
Bild: Mit Affenpocken infizierte Affenhaut, 500fach vergrößert | |
Nach Corona kommen jetzt die Affenpocken. Sitzen wir bald alle im Lockdown? | |
Mit Sicherheit nicht. Der Erreger der Affenpocken ist ein Virus, aber damit | |
enden schon die Gemeinsamkeiten mit Sars-CoV-2. Der wichtigste Unterschied | |
ist die Übertragbarkeit: Während sich das Coronavirus sehr effektiv durch | |
Tröpfchen und Aerosole in der Luft ausbreitet und eine Infektion schon vor | |
dem Auftreten erster Symptome durch gemeinsame Aufenthalte in geschlossenen | |
Räumen möglich ist, steckt man sich mit Affenpocken weniger leicht an. Ein | |
genereller Lockdown des öffentlichen Lebens im Sinne öffentlicher | |
Einschränkungen wäre deshalb für dieses Virus unpassend. | |
Wie viele nachgewiesene Fälle von Affenpocken gibt es bislang überhaupt? | |
[1][Nach Angaben des Robert Koch-Instituts wurden in Deutschland bis zum | |
Mittwoch insgesamt zehn Erkrankungen bestätigt]. Am Dienstag waren es noch | |
fünf. Da die sogenannte Inkubationszeit relativ lang ist, dürften in den | |
kommenden Tagen noch zahlreiche weitere Fälle gemeldet werden. Auch eine | |
Dunkelziffer von unerkannten oder nicht gemeldeten Erkrankungen ist | |
anzunehmen, da die Infektion selten schwer verläuft und die Bestätigung | |
eines Falls allein mit Spezialmikroskopen und einer virusgenetischen | |
Analyse im Labor möglich ist. Sprich: Wer Symptome hat, sich aber nicht | |
bedrohlich krank fühlt, wird womöglich gar nicht zum Arzt gehen. | |
Wo kommen Affenpocken her? Und warum heißen sie Affenpocken? | |
Der Erreger der Affenpocken ist ein alter Bekannter. Entdeckt wurde das | |
Virus vor fast 75 Jahren in einer Gruppe von Javaneraffen, knapp zwei | |
Monate, nachdem die Tiere für Laborexperimente nach Dänemark gebracht | |
worden waren. Der abgeleitete Name ist bis heute geblieben, aber | |
irreführend. Nicht Affen stellen das natürliche Reservoir für das Virus | |
dar, sondern Nagetiere wie zum Beispiel die afrikanische Riesenhamsterratte | |
oder verschiedene Hörnchenarten, die in West- oder Zentralafrika heimisch | |
sind. Dort ist das Virus endemisch, also im Hintergrund immer vorhanden. | |
Der erste Fall von Affenpocken bei Menschen wurde Anfang der 1970er Jahre | |
bei einem kongolesischen Kleinkind dokumentiert. Die Affenpocken gelten | |
seither als klassische Zoonose, also als Krankheit, die von Tieren auf | |
Menschen übertragen werden kann. | |
Wie werden Affenpocken überhaupt auf den Menschen übertragen? | |
Die Ansteckung beim Tier erfolgt über Körpersekrete. Vom Tier weiter auf | |
den Menschen gelangt das Virus dann meistens durch Bisse, außerdem durch | |
die Verarbeitung von rohem Fleisch von infizierten Affen oder Ratten. Von | |
Mensch zu Mensch wird das Virus vor allem durch Kontakt mit den | |
Pockenpusteln übertragen, also über die Flüssigkeit oder den Schorf der | |
Hautveränderungen. Da die Pusteln unter anderem im Mund und im | |
Genitalbereich auftreten, sind Körpersekrete wie Speichel meist ebenfalls | |
sehr ansteckend. Küsse und enge Umarmungen mit einem Infizierten sind daher | |
riskant. | |
Was für Symptome haben Menschen, die sich mit dem Virus infizieren? | |
Die ersten unspezifischen Krankheitszeichen wie Kopfweh, Fieber und | |
Gliederschmerzen können fünf Tage bis drei Wochen nach der Infektion | |
spürbar werden, normal sind gut zwei Wochen. Wenige Tage nach Beginn des | |
Fiebers zeigen sich auf Handflächen, Fußsohlen und im Gesicht erste | |
Flecken, die sich im weiteren Krankheitsverlauf zu Bläschen und Pusteln | |
entwickeln. Bis sie vollständig abheilen und die – oft immer noch | |
ansteckenden – Krusten abgefallen sind, kann es einige Wochen dauern. | |
Aber wie gefährlich ist die Krankheit denn für den Menschen? | |
In den allermeisten Fällen heilen die Affenpocken von alleine aus und | |
hinterlassen keine bleibenden Schäden. Trotzdem gibt es selten | |
Komplikationen. So können sich Bakterien in offenen Pusteln ansiedeln und | |
gefährliche Infektionen auslösen. Es kann zu Lungen-, Bindehaut- und sogar | |
zu Hirnhautentzündungen kommen. Das bleibt dann auch langfristig nicht ohne | |
Folgen. Entstellende Narben und der Verlust des Augenlichts sind möglich. | |
In West- und Zentralafrika sterben 1 bis 10 Prozent der Infizierten an den | |
Affenpocken. Diese teils hohe Sterblichkeit ist auf Europa und andere | |
westliche Industrieländer aufgrund der besseren Hygiene, | |
Gesundheitsversorgung und Ernährung nicht übertragbar. Allerdings gibt es | |
auch unter guten Lebensbedingungen Gruppen mit einem erhöhten Risiko für | |
schwere Verläufe. Dazu zählen Kinder, Schwangere und immunsupprimierte | |
Menschen wie Krebskranke, Transplantat-Empfänger:innen und HIV-Infizierte. | |
Gibt es schon Medikamente oder andere Therapien gegen die Affenpocken? | |
Verläuft eine Infektion schwer, können Ärzt:innen das Medikament | |
Tecovirimat verabreichen. Das Mittel ist seit vier Jahren auf dem Markt, | |
entwickelt wurde es allerdings nicht gegen die Affenpocken, sondern gegen | |
einen möglichen Biowaffenangriff mit den echten Variola-Pocken. Diese oft | |
tödliche Form der Pockenkrankheit beim Menschen gilt seit 1979 als weltweit | |
ausgerottet, allerdings werden letzte Proben des Virus in Russland und den | |
USA aufbewahrt. Wie gut Tecovirimat gegen Affenpocken wirkt, ist nicht | |
wissenschaftlich untersucht. Bei gleichzeitiger Einnahme kann es zudem die | |
Wirkung anderer Arzneien vermindern oder die Nebenwirkungen dieser Mittel | |
verschlimmern. Alternativ zu Tecovirimat gibt es für Kontaktpersonen noch | |
die kurzfristige Möglichkeit, sich mit einem modernen Pockenimpfstoff | |
immunisieren zu lassen. In der Medizin spricht man von | |
Postexpositionsprophylaxe. | |
Sind Männer, die mit Männern Sex haben, besonders gefährdet ? | |
Die Affenpocken zählen nicht zu den sexuell übertragbaren Krankheiten. Zwar | |
ist nicht abschließend geklärt, ob Samen- oder Vaginalflüssigkeit in | |
Abwesenheit von Pusteln mit Viren belastet sein können. Doch der | |
Hauptübertragungsweg bleibt der direkte körperliche Kontakt durch | |
Berührungen oder Küsse, und zwar [2][unabhängig von Sex und sexueller | |
Orientierung]. Die Annahme, dass es sich bei den Affenpocken um eine | |
„Schwulenkrankheit“ handeln würde, ist also falsch und gefährlich, weil | |
sich Kinder, Schwangere und andere Risikogruppen in falscher Sicherheit | |
wiegen. | |
Ich habe eine Narbe am Oberarm und glaube, die kommt von einer | |
Pockenimpfung. | |
Falls Sie älter als 45 Jahre sind und damals zweifach geimpft wurden, haben | |
Sie Glück. Denn die mithilfe einer sogenannten Bifurkationsnadel in den | |
Oberarm geritzte Pockenimpfung schützt vermutlich auch vor den Affenpocken. | |
Sie war bis zu den Achtzigern in beiden Teilen Deutschlands Pflicht. Laut | |
Studien sollte ein Schutz vor einer Infektion, mindestens aber vor schwerer | |
Erkrankung bis heute anhalten. Eine Studie von 2020 geht allerdings davon | |
aus, dass weniger als 30 Prozent der Bevölkerung noch über einen solchen | |
Schutz verfügen. | |
Könnte das Virus mutieren und gefährlicher werden? | |
Theoretisch wäre das möglich. Allerdings ist das Affenpockenvirus genetisch | |
sehr stabil. Es enthält – im Gegensatz zu den rasch veränderlichen Grippe- | |
oder Coronaviren – einen Doppelstrang DNA als Erbgut, der weniger anfällig | |
ist für Mutationen. Erste Analysen von Virusproben aus dem aktuellen | |
Ausbruch zeigen bislang keine Veränderungen im Vergleich zu älteren Proben | |
aus West- und Zentralafrika. | |
27 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Kathrin Zinkant | |
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