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# taz.de -- Exklusive ÖPNV-Monatskarte in Bielefeld: Mietvertrag für die Verk…
> Zwei Wohnungsgesellschaften in Bielefeld integrieren eine stark
> vergünstigte Monatskarte in ihre Mietverträge. Schaffen die Menschen so
> ihre Autos ab?
Bild: Straßenbahn in Bielefeld: für manche schon per Miete bezahlt
Berlin taz | Seit Oktober vergangenen Jahres läuft in [1][Bielefeld] ein
besonderes Modell: Alle neuen Hauptmieter von zwei Wohnungsunternehmen
bekommen automatisch ein Abonnement für den öffentlichen Nahverkehr. Damit
können sie mit sämtlichen Bussen, Stadtbahnen und Nahverkehrszügen in
Bielefeld fahren. Zum Angebot gehört außerdem die Nutzung von
Mietfahrrädern und E-Rollern sowie Rabatt auf die Buchung von
[2][Carsharing-Pkw].
Die neuen Mieterinnen und Mieter der Bielefelder Gesellschaft für Wohnen
und Immobiliendienstleistungen BGW und der Baugenossenschaft Freie Scholle
müssen dafür monatlich 12,50 Euro zahlen, egal ob sie diese Angebote in
Anspruch nehmen oder nicht. Regulär kostet ein Abo 62 Euro im Monat.
Die Vermieter zahlen zudem pro Abo monatlich 2,50 Euro an die
Stadtwerke-Tochter Mobiel, die in Bielefeld den Nahverkehr organisiert. BGW
und Freie Scholle rechnen mit rund 1.600 Neumietern jährlich. Das
personalisierte Mieter-Abo wird ergänzt durch das Mieter-Abo-Plus für
weitere Mitbewohner zum Preis von jeweils 30 Euro monatlich.
Das Projekt läuft bis September kommenden Jahres – dann soll ausgewertet
werden, ob sich das Mobilitätsverhalten durch das „solidarisch finanzierte
Ticket“ verändert hat und das Angebot möglicherweise fortgeführt wird. „…
dem Mieter-Abo schaffen wir einen enormen Anreiz, auf den ÖPNV
umzusteigen“, sagt BGW-Geschäftsführerin Sabine Kubitza.
## Weniger Parkplätze, mehr Lebensqualität
Kai Schwartz, Geschäftsführer von Freie Scholle, erhofft sich auch ein
schöneres Umfeld für die Immobilien. „Für unsere Mieter stellt sich damit
die Frage, ob sie ein Auto wirklich brauchen“, sagt er. „Wenn weniger
Parkplätze benötigt werden, wird es grüner und die Lebensqualität steigt.“
Auch der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen
blickt mit Interesse nach Ostwestfalen. „Eine Möglichkeit, um die Nutzung
alternativer und klimafreundlicher Verkehrsmittel voranzutreiben und zu
erproben, ist das bislang bundesweit einmalige Pilotprojekt Mieter-Abo“,
sagt Oliver Gewand, GdW-Referatsleiter Stadtentwicklung, Wohnungsbau und
Raumordnung. Er erhofft sich durch die Begleituntersuchung Aufschlüsse
darüber, ob so ein Angebot bundesweit sinnvoll sein könnte.
Der Deutsche Mieterbund (DMB) sieht die Sache anders und spricht von einer
„Zwangsbeglückung“ der Mieterinnen und Mieter. „Der DMB lehnt solch eine
Kopplung des Mietvertrags mit einer verpflichtenden ÖPNV-Abgabe ab“, sagt
Sprecherin Jutta Hartmann. „Problematisch erscheint zudem, dass lediglich
Neumieter ein verbilligtes ÖPNV-Ticket bekommen sollen, die Bestandsmieter
diese Vergünstigung somit mittelbar quersubventionieren.“
BGW und Freie Scholle verweisen auf vertragliche Gründe dafür, dass das
Mieter-Abo den neuen Mieterinnen und Mietern vorbehalten bleibt.
Bestandsmieter beider Wohnungsunternehmen könnten aber im Rahmen von
Großkunden-Abos auch bisher schon vergünstigte Tickets kaufen, die immerhin
10 Prozent Einsparung böten. Bei der Freien Scholle nutzen 600 der 8.100
Mitglieder dieses Angebot.
Der Verkehrswissenschaftler Michael Klier aus Dresden untersucht, inwieweit
durch das Bielefelder Modell wirklich Menschen zum Umstieg vom Auto auf
Busse und Bahnen bewegt werden. Er ist optimistisch – nicht zuletzt, weil
es auch schon Erfahrungen mit zumindest ähnlichen Modellen gibt.
Zum Beispiel bei der kommunalen Unnaer Kreis-, Bau- und
Siedlungsgesellschaft: Seit 2019 gibt es für deren neue Mieter im Kreis
Unna und in Hamm ein Monatsticket für ihren jeweiligen Wohnort, für das sie
einen Mietaufschlag von 10 Euro monatlich zahlen, ein Fünftel des normalen
Preises.
Nach den Ergebnissen einer Masterarbeit nutzen 80 Prozent der neuen Mieter
das Ticket. Die Nutzung der Busse der Verkehrsgesellschaft Kreis Unna hat
sich bei ihnen um 50 Prozent erhöht. Kliers Annahme: „Wer häufiger mit dem
Bus fährt, lässt öfter sein Auto stehen.“
## Zumindest ohne Zweitwagen
Diese Hoffnung gibt es auch bei der kommunalen Hildesheimer
Wohnungsbaugesellschaft GBG, die die 57 Wohnungen ihrer Siedlung Ostend
zusammen mit einem ÖPNV-Ticket vermietet. Das läuft aber ein bisschen
anders als in Bielefeld: Offiziell gibt es die Monatskarte ganz kostenlos
zum Mietvertrag. Allerdings liegt der Quadratmeterpreis der noch freien
Wohnungen je nach Größe bei für Hildesheim stolzen 11,00 bis 16,52 Euro.
Im Mietpreis inbegriffen ist auch die Teilnahme am E-Carsharing und am
E-Bikesharing. Ob deswegen Mieter [3][ihr Auto abschaffen]? GBG-Sprecher
Frank Satow will nicht übertreiben: „Tatsächlich ist es aber eines unserer
Ziele, die Menschen für den Klimaschutz zu sensibilisieren und
festzustellen, dass man bei so einem Angebot tatsächlich auf den Zweitwagen
verzichten kann.“
Die Modelle in Unna, Hildesheim und Bielefeld können aus Sicht von
Wissenschaftler Klier nicht nur zu mehr Nachhaltigkeit führen, sondern für
die beteiligten Wohnungsgesellschaften auch wirtschaftlich interessant sein
– sogar über einen Imagegewinn hinaus: Wenn Parkplätze teils wegfallen, ist
schließlich mehr Platz zum Bauen da.
2 Jun 2022
## LINKS
[1] /Bielefeld/!t5023345
[2] /Zahlen-zu-Carsharing-Angeboten/!5753006
[3] /Auto-abschaffen-aus-Liebe/!vn5848849
## AUTOREN
Joachim Göres
## TAGS
Verkehrswende
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ÖPNV
Bielefeld
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Volker Wissing
Deutsche Bahn
Öffentlicher Nahverkehr
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