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# taz.de -- Ampel-Streit ums Klimageld: Die große Preisfrage
> Arbeitsminister Heil will der Inflation mit einem „sozialen Klimageld“
> begegnen. Finanzminister Lindner hat da eine ganz andere Idee. Und nun?
Bild: Auf der Kostentreppe nach oben: Weil die Preise immer stärker steigen, w…
Berlin taz | Die Inflation im Mai beträgt 7,9 Prozent. Ein erstaunlich
hoher Wert – viele Produkte des Grundbedarfs wie etwa Butter werden dadurch
deutlich teurer. Schwierigkeiten damit haben vor allem Leute, die sowieso
knapp bei Kasse sind, etwa Beschäftigte mit niedrigen Löhnen,
Senior:innen mit kleinen Renten oder Privathaushalte, die nur eine
Grundsicherung erhalten. Um die höheren Kosten aufzufangen, hat
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nun ein Vorhaben konkretisiert,
das bereits im Koalitionsvertrag der Ampel steht – [1][das Klimageld].
Ursprünglich war dies dazu gedacht, die steigenden CO2-Kosten für alle
Bürger:innen teilweise oder komplett auszugleichen. Nun kommt als
zusätzliche Begründung die hohe Inflation bei den Energiepreisen hinzu.
Wobei die Koalition aus SPD, Grünen und FDP bereits eine Reihe von
Entlastungen auf den Weg gebracht hat. Energiepauschale, Tankrabatt,
Heizkostenzuschuss, Abschaffung der Ökostrom-Umlage: Manche Privathaushalte
kommen zusammengerechnet auf 500 oder 600 Euro Vergünstigung in diesem
Jahr.
Mit Heils Vorschlag des „sozialen Klimagelds“ steht der Regierung nun ein
Konflikt ins Haus. Mit ironischem Unterton zeigte sich Bundesfinanzminister
Christian Lindner (FDP) zuerst „beeindruckt“ von dem Milliardenplan. Dann
behauptete er, das Klimageld sei „nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt“, und
brachte als Alternative eine Steuersenkung ins Gespräch. Wo liegen die Vor-
und Nachteile der beiden Vorschläge? Wichtige Details seines Konzepts ist
Heil bisher schuldig geblieben, in einem [2][Interview] nannte er
allerdings zwei Zahlen.
Profitieren vom neuen Klimageld sollen Singles mit einem Einkommen von bis
zu 4.000 Euro brutto monatlich. Für „Verheiratete“ würde die Grenze bei
8.000 Euro brutto pro Monat liegen. Weil der Arbeits- und Sozialminister
„Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner, Studierende
und Auszubildende“ erwähnte, sollen wohl alle Bürger:innen bis zu den
jeweiligen Grenzwerten in den Genuss kommen – nicht nur diejenigen, die
Steuern zahlen. Heil stellt sich vor, dass die entsprechende Zahlung
regelmäßig einmal pro Jahr auf den Konten ankommt.
Hohe Kosten für Geringverdiener
Wer mehr als 4.000 oder 8.000 Euro monatlich zur Verfügung hat, würde das
Klimageld nicht erhalten. Die wohlhabendsten Privathaushalte blieben also
ausgeschlossen. Wird Heils Vorschlag Realität, geht der Zuschuss an etwa 70
bis 80 Prozent der Bevölkerung. Die übrigen Bürger:innen mit hohen
Einkommen profitieren nicht.
Zu den Begünstigten würden auch Arbeitnehmer:innen mit Nettoeinkommen
(nach Steuern) von etwa 2.500 Euro monatlich und Paare, die um die 5.000
Euro netto zur Verfügung haben, gehören. Diese Mittelschichthaushalte sind
von der Inflation der Energie- und Konsumgüterpreise ebenfalls betroffen,
dürften oft allerdings wenig Probleme mit den zusätzlichen Kosten haben. In
existenzielle Nöte stürzt sie der Preisauftrieb eher nicht – im Gegensatz
zu Geringverdienern. Man kann sich also fragen, ob die Entlastung für diese
Bevölkerungsgruppen sein muss.
Wie hoch der Zuschuss sein soll, erklärte der SPD-Politiker bisher nicht.
Erhielten beispielsweise 25 Millionen Personen, etwa drei Viertel der
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, 100 Euro monatlich (1.200
Euro pro Jahr), entstünden Kosten für den Staat von 30 Milliarden Euro. Bei
50 Euro monatlich (600 jährlich) wären es 15 Milliarden Euro. 20 Euro
monatlich (240 im Jahr) schlügen im Bundeshaushalt noch mit 6 Milliarden zu
Buche.
Angesichts solcher Größenordnungen stellte Finanzminister Lindner die
Frage, woher im Bundeshaushalt des Jahres 2023 die Mittel dafür kommen
sollen. Der FDP-Politiker will dann die Schuldenbremse wieder einhalten,
ein für ihn zentrales Versprechen. Dies, die Folgekosten des russischen
Angriffs auf die Ukraine und die wirtschaftlichen Probleme im Nachklang der
Coronapandemie, werden den finanziellen Spielraum im Budget stark
verringern.
Insgesamt sieht Lindner den Heil-Vorschlag skeptisch. Er setzte ihm die
traditionell liberale Idee einer Steuersenkung entgegen. Der Staat solle
„weniger Lohn- und Einkommensteuer“ kassieren und die Bürger:innen auf
diese Art entlasten. Argumentativ kommt dem Finanzminister gelegen, dass
die individuelle Steuerbelastung auch durch die Inflation steigen kann.
„Kalte Progression“ heißt der Effekt. Lindner will den Leuten dieses Geld
zurückgeben.
Die Entlastung à la FDP könnte sich aber in zwei wichtigen Punkten vom
Klimageld unterscheiden. Von einer Steuerreform profitieren erstens nur
Leute, die Steuern zahlen. Große Gruppen am unteren Rand der
Einkommensskala wie viele Rentner:innen, Transferempfänger:innen und
Geringverdiener hätten keinen Vorteil. Anders die Wohlhabenden und Reichen:
Würde der Steuertarif insgesamt verändert, könnten in diesem Zuge auch die
Privathaushalte mit viel und sehr viel Geld in den Genuss kommen.
Klimageld steht im Koalitionsvertrag
So weit, so nachvollziehbar – was jedoch nicht für Lindners Argument gilt,
das Klimageld sei „nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt“. Das ist falsch.
Der Begriff findet sich auf Seite 63 des von [3][SPD, Grünen und FDP 2021
beschlossenen Textes] – freilich ohne Details. Der Interpretationsspielraum
ist damit weit.
Der grüne Koalitionspartner verhielt sich zunächst unentschlossen. „Es ist
gut, dass Hubertus Heil nun Vorschläge macht, wie wir Geringverdienern und
Grundsicherungsempfängern beistehen können“, sagte Parteichefin Ricarda
Lang. Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch erklärte: „Wenn Christian
Lindner und Hubertus Heil jetzt konkrete Vorschläge zur Entlastung machen,
ist das gut.“ Dabei gehe es „um Anpassungen der Regelsätze in der
Grundsicherung, direkte Zahlungen oder auch den Tarifverlauf in der
Einkommensteuer“, fügte Audretsch hinzu.
Ursprünglich plädierten die Grünen für ein Energie- oder Klimageld, das
allen Bürger:innen in gleicher Höhe zur Entlastung zugute kommen sollte.
Angesichts der komplizierten Koalitions- und Inflationslage müssen sie sich
vielleicht neu sortieren.
31 May 2022
## LINKS
[1] /Neue-Studie-zu-Klimageld/!5831678
[2] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/heil-lindner-klimageld-streit-100.ht…
[3] https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/04221173eef9a67…
## AUTOREN
Hannes Koch
## TAGS
Inflation
soziale Ungleichheit
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Christian Lindner
GNS
Klimageld
Ampel-Koalition
Inflation
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Podcast „Bundestalk“
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