| # taz.de -- Argentiniens Präsident in Deutschland: Staatsbesuch zur Unzeit | |
| > Während Alberto Fernández in Berlin den Bundeskanzler trifft, gehen in | |
| > Argentinien Tausende gegen IWF und Verarmung auf die Straße. | |
| Bild: Zerstörtes Verhältnis: Vizepräsidentin Cristina Kirchner und Präsiden… | |
| Buenos Aires taz | Wenn Präsident Alberto Fernández am Mittwoch | |
| Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin die Hände schüttelt, werden in | |
| Argentinien Tausende bei einem Sternmarsch nach Buenos Aires unterwegs | |
| sein. Aus allen Landesteilen kommend werden sie am Donnerstag in der | |
| Hauptstadt auf der Plaza de Mayo vor dem Präsidentenpalast gegen Armut, | |
| Inflation und mangelnde Ernährungssicherheit protestieren. Rund 40 Prozent | |
| der 45 Millionen Argentinier*innen leben unterhalb der Armutsgrenze. | |
| Gleichzeitig präsentiert Präsident Fernández bei seiner Europareise | |
| Argentinien als „stabilen und sicheren Lieferanten“ von Nahrungsmitteln und | |
| Energie. So war es am Dienstag beim spanischen Ministerpräsidenten Pedro | |
| Sánchez in Madrid, am Mittwoch in Berlin und, wenn es doch noch klappt, am | |
| Donnerstag beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris. | |
| Die von Argentiniens Agroindustrie produzierten Getreide- und Ölsaaten | |
| finden aktuell einen reißenden Absatz, aber eben nicht in der EU. Was zum | |
| Teil an dem seit über zwei Jahrzehnten unterschriftslosen | |
| [1][Freihandelsabkommen] zwischen der EU und der südamerikanischen | |
| Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur liegt, beim dem gerade Alberto Fernández | |
| als Bremser auftritt. | |
| Aber auch, weil die Fracking-Gasförderung in Patagonien noch immer eher ein | |
| Zukunftsversprechen ist, obwohl die Gasgewinnung zunehmend in Gang kommt. | |
| Was jedoch komplett fehlt sind Pipelines für den Weitertransport, Anlagen | |
| zur Flüssiggasproduktion und ein entsprechender Flüssiggashafen. Derart | |
| prekär ist die Lage im Land, dass der Präsident angesichts des | |
| bevorstehenden Winters händeringend nach zusätzlichen Gaslieferungen aus | |
| Bolivien und Chile nachsuchen musste. | |
| ## Argentinien sucht den Bund mit Russland und China | |
| So erklärt sich, warum Präsident Fernández ohne Wirtschaftsminister Martín | |
| Guzmán und Produktionsminister Matías Kulfas und auch ohne den üblichen | |
| Tross von Wirtschaftsvertretern unterwegs ist. Mangels konkreter | |
| Vereinbarungen zwischen Gast und Gastgeber wird der Krieg Russlands gegen | |
| die Ukraine ein zentrales Thema. Dabei werden vor allem die Gemeinsamkeiten | |
| gesucht und weniger das Trennende. | |
| Dass Argentinien die [2][UN-Resolution] gegen den Einmarsch in die Ukraine | |
| unterstützt hatte, sich aber schon bei der Debatte über den Ausschluss | |
| Russland aus der G20 oder den Entzug seines Beobachterstatus bei der | |
| Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zurückhielt, dürfte den | |
| Regierenden in Europa nicht entgangen sein. | |
| Anfang Februar war Fernández nach Russland und China gereist. In Moskau bot | |
| er Präsident Wladimir Putin Argentinien als „das Tor für Russland“ in | |
| Lateinamerika an. In Peking suchte er Rückhalt für die Aufnahme in die | |
| Runde der BRICS-Staaten, jener lockeren Vereinigung von Brasilien, | |
| Russland, Indien, China und Südafrika als aufstrebende Volkswirtschaften. | |
| Und die Aussichten sind gut, dass aus den BRICS bald die BRICSA-Staaten | |
| werden. Zumal nach einem möglichen Sieg von Lula da Silva bei den | |
| brasilianischen Präsidentschaftswahlen im Oktober. Fernández hatte Lula im | |
| Juli 2019 im Gefängnis besucht, als dieser wegen angeblicher Korruption | |
| hinter Gittern saß. | |
| ## Fernández und Kirchner: Heillos zerrüttet | |
| Wenn Argentiniens Präsident auf Auslandsreise ist, führt der Vize die | |
| Amtsgeschäfte. Seit der Zustimmung des Kongresses zum neuen | |
| [3][Schuldenabkommen] mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) Anfang | |
| März ist das Verhältnis zwischen Präsident Alberto Fernández und | |
| Vizepräsidentin Cristina Kirchner heillos zerrüttet. Während der Präsident | |
| mit den Stimmen der konservativen Opposition das Abkommen absegnen ließ, | |
| stimmte ein Gutteil der zur Regierung gehörenden Parlamentarier*innen | |
| auf Anweisung von Vize- und Senatspräsidentin Kirchner dagegen oder | |
| enthielt sich. | |
| Seither vergeht kein Tag, an dem das Kirchner-Lager nicht gegen den | |
| wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs des Präsidenten opponiert. | |
| Inzwischen wird bereits von einer parlamentarischen Parallelregierung | |
| gesprochen. | |
| Dabei steht gerade diese Woche Wichtiges auf der Tagesordnung. Verhandelt | |
| werden die Subventionen bei den Strom- und Gastarifen, die den | |
| Staatshaushalt im vergangenen Jahr mit 12 Milliarden Dollar belasteten. | |
| Wobei die beabsichtigten Tariferhöhungen die ohnehin hohe Inflation weiter | |
| anheizen werden. Mit Besorgnis wird die Bekanntgabe der Inflationsrate für | |
| April am Donnerstag erwartet. Erwartet wird ein Preisanstieg von knapp 6 | |
| Prozent im Vergleich zum Vormonat. Schon jetzt wird eine Rate von 65 | |
| Prozent für das laufende Jahr vorhergesagt. | |
| Das wird auch die IWF-Delegation zur Kenntnis nehmen, die diese Woche nach | |
| Buenos Aires kommt, um die Einhaltung der im Kreditabkommen vereinbarten | |
| Rahmendaten zu kontrollieren, zu denen eine Inflationsrate von maximal 48 | |
| Prozent gehört. Außerdem die Reduzierung der Energiesubventionen um | |
| mindestens 3 Milliarden Dollar, um das Defizit auf die vereinbarten 2,5 | |
| Prozent zu beschränken. Vorgaben, deren Umsetzung die sozialen Spannungen | |
| verstärken, die gerade Tausende auf die Straßen Argentiniens treiben. | |
| 11 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jürgen Vogt | |
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