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# taz.de -- Finnlands Nato-Beitrittsplan: Zeitenwende für Europa
> Der geplante Nato-Beitritt Finnlands ist eine Reaktion auf Russlands
> Angriff auf Europas Friedensordnung. Deren Grundstein wurde in Helsinki
> gelegt.
Bild: Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsink…
Es ist eine historische Zäsur für Europa. Finnlands Regierung hat diese
Woche angekündigt, „unverzüglich“ einen Beitrittsantrag zur Nato stellen …
wollen; Schweden könnte demnächst folgen. Der letzte überlieferte Gebrauch
des Wortes „unverzüglich“ in einer Regierungsankündigung führte am 9.
November 1989 zum Fall der Berliner Mauer und zum Zusammenbruch der
Sowjetunion.
Was am 9. November 1989 in Ostberlin seinen krönenden Abschluss fand,
begann am 1. August 1975 in Helsinki. In der finnischen Hauptstadt
unterzeichneten damals die Staaten Europas und Nordamerikas und auch die
Sowjetunion die [1][„Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa“], deren erstes Prinzip bis heute geradezu
revolutionär klingt.
„Die Teilnehmerstaaten“, steht da, „werden gegenseitig ihre souveräne
Gleichheit und Individualität sowie alle ihrer Souveränität innewohnenden
und von ihr umschlossenen Rechte achten, einschließlich insbesondere des
Rechtes eines jeden Staates auf rechtliche Gleichheit, auf territoriale
Integrität sowie auf Freiheit und politische Unabhängigkeit. Sie werden
ebenfalls das Recht jedes anderen Teilnehmerstaates achten, sein
politisches, soziales, wirtschaftliches und kulturelles System frei zu
wählen und zu entwickeln sowie sein Recht, seine Gesetze und Verordnungen
zu bestimmen.“
Ausgeführt werden in der Folge unter anderem die Prinzipien des
Gewaltverzichts, der Unverletzlichkeit der Grenzen, der territorialen
Integrität, der friedlichen Regelung von Streitfällen, der Nichteinmischung
in innere Angelegenheiten und der Achtung der Menschenrechte und
Grundfreiheiten. Mit der KSZE-Schlussakte unterzeichnete das Sowjetregime
sein eigenes Todesurteil.
Putins Krieg gegen die Ukraine heute will nicht nur die Umwälzungen der
1990er Jahre rückgängig machen, sondern auch die Prinzipien von 1975.
Daraus zieht Finnland jetzt die Konsequenz.
## Ort der Neutralität
Der KSZE-Konferenzort Helsinki wurde damals als Ort der Neutralität
gewählt, weder West noch Ost verpflichtet, sondern nur sich selbst. Noch
vor wenigen Wochen galt „Finnlandisierung“ für manche als eine mögliche
Option für eine neutrale Ukraine. Die finnische Regierung hat nun völlig
recht, wenn sie Russland dafür die Schuld gibt, dass sich das verändert
hat.
Putins Pseudoargumente zur Rechtfertigung der Vernichtung der Ukraine
könnten ähnlich gegenüber Finnland formuliert werden. [2][Das Land gehörte
bis 1917 zu Russland]. Es trat dann der Sowjetunion nicht bei. 1939
versuchte der mit Hitler verbündete Stalin, dies rückgängig zu machen und
startete [3][einen Angriffskrieg, dessen Verlauf dem aktuellen russischen
Krieg in der Ukraine frappierend ähnelt]: Finnland leistete hartnäckigen
Widerstand, der Krieg endete nach dreieinhalb Monaten mit einem
Friedensvertrag, finnischen Gebietsverlusten und Moskaus Ausschluss aus dem
Völkerbund, dem Vorläufer der UNO. Ein ähnlicher Ausgang des Ukrainekrieges
wäre denkbar, wobei die Ukraine heute viel mehr Unterstützung bekommt als
damals Finnland und daher besser bestehen dürfte.
Damals schloss sich Finnland dann unter deutschem Druck Hitlers
Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion an, ein desaströser Fehler. Das
Ergebnis war immerhin nicht sowjetische Besatzung, sondern Blockfreiheit
mit einem geschrumpften Staatsgebiet – aber einer moralischen Autorität
Finnlands als Hort der Neutralität. In Putins Europa gibt es keine
Neutralität mehr. Man ist entweder dem russischen Gewaltherrscher hörig
oder man ist sein Feind.
## Nutzen für die Nato
Die Nato-Norderweiterung, die Skandinavien militärpolitisch vereint, wird
als Vermächtnis des scheidenden Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg aus
Norwegen in die Geschichte eingehen. Sie nützt auch der Nato selbst:
Finnland hat starke Streitkräfte, Schweden eine große Rüstungsindustrie.
Und auch Kritiker, die die Nato für ein imperialistisches Angriffsbündnis
halten, sollten eine skandinavischere, nördlichere Nato begrüßen.
Und wenn Russland endlich den Krieg in der Ukraine verloren hat, kann die
KSZE-Schlussakte von Helsinki aus dem Jahr 1975 als Grundlage einer
europäischen Friedensordnung dienen.
13 May 2022
## LINKS
[1] http://(ID%205560283
[2] /Nachbarschaft-an-der-Grenze/!5432084
[3] /Russlands-Nachbar-Finnland/!5838724
## AUTOREN
Dominic Johnson
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