# taz.de -- Fragen und Antworten zum Green-Deal: Macht die EU ernst? | |
> Am Dienstag entscheidet der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments | |
> über die Reform des Emissionshandels. | |
Bild: Steinkohlekraftwerk in Berlin | |
1Eine Reform des Emissionshandels? Wieso sollte mich das interessieren? | |
Weil es der wichtigste Hebel ist, um die EU bis 2050 von Kohle, Öl und Gas | |
wegzubekommen. [1][Und weil Europa so die Pariser Klimaziele halten, die | |
Wirtschaft modernisieren,] die Menschen nicht überlasten und weltweit zum | |
Klimavorbild werden will. Jetzt wird es ernst. | |
2 Emissionshandel? Der funktioniert eh nicht. | |
Falsch. In seinen ersten Jahren hat der Mechanismus (ETS I für Emission | |
Trading System I) tatsächlich kaum etwas gebracht. Aber inzwischen läuft es | |
gut. Der ETS reguliert etwa 11.000 Kraftwerke und Fabriken der EU, die | |
insgesamt gut 40 Prozent des europäischen CO2 ausstoßen. [2][Eine Tonne CO2 | |
kostet da inzwischen etwa 90 Euro.] Der CO2-Ausstoß aus diesen Bereichen | |
ist seit 2005 um 43 Prozent gesunken – viel mehr als die gesamten | |
Emissionen der EU, die nur um 24 Prozent verringert wurden. Der | |
Grundgedanke des Emissionshandels ist ja auch gut: [3][Die | |
klimaschädlichen CO2-Emissionen werden mit einer Obergrenze gedeckelt, die | |
jedes Jahr sinkt. Für jede Tonne CO2 muss ein Unternehmen eine Lizenz | |
vorweisen.] Spart es Emissionen ein, kann es diese Lizenzen an andere | |
Firmen verkaufen. | |
3 Und der Rest? | |
Den müssen die 27 EU-Staaten vor allem in den Bereichen Verkehr, Gebäude, | |
Landwirtschaft und Abfall mit eigenen Maßnahmen reduzieren. Das | |
funktioniert aber nicht richtig, höhere Preise und schärfere Regeln für den | |
Klimaschutz sind unpopulär. Deshalb soll es jetzt auch in der EU einen ETS | |
II für einen höheren CO2-Preis bei Verkehr und Gebäude geben. | |
4 Ein CO2-Preis für Verkehr und Gebäude? Den gibt es doch in Deutschland | |
schon längst! | |
Jawoll, gut aufgepasst! Bereits seit Januar 2021 gilt bei uns auch für das | |
CO2 aus Benzin, Diesel, Heizöl oder Gas eine jährliche Obergrenze und ein | |
zusätzlicher Preis: Derzeit 30 Euro pro Tonne CO2, bis 2025 sollen es sogar | |
55 Euro sein. [4][Im Sommer 2021 hat die EU-Kommission vorgeschlagen, | |
dieses System in der ganzen EU einzuführen] und mit dem Geld daraus – | |
geplante 72 Milliarden Euro bis 2030 – über einen sogenannten Sozialfonds | |
sowohl entsprechende Klimaschutzmaßnahmen als auch das notwendige | |
Energiesparen und einen sozialen Ausgleich zu finanzieren. | |
5 Und das kommt jetzt? | |
Na ja, so ein bisschen. Schließlich leben wir in der EU. [5][Der bisherige | |
Kompromiss für Dienstag sieht so aus: Ab 2023 gibt es einen CO2-Preis für | |
Gebäude und Verkehr, aber nur für gewerbliche Nutzungen] – also Büros und | |
Lieferverkehr. Das macht insgesamt nur etwa 30 bis 45 Prozent der geplanten | |
Emissionsreduzierungen aus und bringt entsprechend weniger Einnahmen. Der | |
CO2-Preis darf dafür nicht höher als 50 Euro liegen. Für Private – wie in | |
Deutschland – soll er frühestens 2029 eingeführt werden. Dafür gibt es | |
viele Hürden: Er darf nicht zu Armut führen, drei Jahre vorher muss es Geld | |
aus dem „Sozialfonds“ geben und die Energiepreise dürfen nicht höher lieg… | |
als im März 2022. Außerdem soll die Kommission prüfen, ob man den | |
Energiekonzernen ihre Extragewinne aus den Preissteigerungen seit dem | |
Ukrainekrieg teilweise wegsteuern kann. All das soll verhindern, dass die | |
Menschen gegen steigende Energiekosten protestieren – wie vor einigen | |
Jahren die „Gelbwesten“ in Frankreich. | |
6 Und was wird aus dem deutschen CO2-Preis, wenn eine solche EU-Regel | |
kommt? | |
Gute Frage, nächste Frage. Darauf hat niemand bisher eine Antwort. Der | |
EU-Preis wird niedriger liegen und nur für Gewerbe gelten. Da könnte man | |
(zum Beispiel die FDP) argumentierten: Um deutsche Firmen nicht zu | |
benachteiligen und um „EU-konform“ zu sein, müsse man die deutschen | |
CO2-Preise an die EU angleichen – und damit senken. Was weniger CO2 sparen | |
und weniger Geld einbringen würde. | |
7 Und wird wenigstens im renovierten Emissionshandel für die Industrie | |
ordentlich CO2 eingespart? | |
Die Reformen im ETS I sind tatsächlich ganz schön knackig. Die Obergrenze | |
für die Emissionen soll künftig fast doppelt so kräftig sinken wie | |
bisher, um 4,2 Prozent jedes Jahr, vielleicht noch schärfer. Dann sollen | |
nach dem Willen der linksliberalen Mehrheit im Ausschuss ab 2030 die | |
kostenlosen Zertifikate für die Industrie wegfallen – also alle Firmen voll | |
für ihre CO2-Emissionen zahlen müssen. [6][Die Konservativen sind da | |
vorsichtiger. Außerdem fallen endlich auch die Emissionen aus Flugzeugen, | |
Schiffen und Müllverbrennungsanlagen unter den Emissionshandel. | |
Gleichzeitig soll der EU-Außenzoll (Carbon Border Adjustment Mechanism) | |
eingeführt werden,] um die Firmen vor dreckigen Billigimporten zu schützen: | |
Billiger Stahl aus Russland oder China, der mit viel CO2 hergestellt und | |
transportiert wird, soll nicht den zukünftig „grünen“, mit Wasserstoff | |
produzierten europäischen Stahl vom Markt drängen. Unternehmen, die ihre | |
CO2-Emissionen Richtung null fahren, werden mit viel Geld unterstützt: | |
Etwa 140 Milliarden Euro sollen bis 2030 zur Verfügung stehen, um neue | |
grüne Anlagen zu subventionieren oder Preisunterschiede zu dreckigen | |
Produkten auszugleichen. Die Ausgaben aus diesem „Klima-Investitionsfonds“ | |
sollen auch für Ausbau der Erneuerbaren, für Klimaschutz in Schwellen- und | |
Entwicklungsländern und für Busse und Bahnen verwendet werden. | |
8 Sind die Pakete jetzt ein Fortschritt? | |
Das kommt drauf an. Beim ETS I werden tatsächlich drastisch die Zügel | |
angezogen. Das muss auch sein, um bis 2030 auf ein Minus von 61 bis 67 | |
Prozent zu kommen, die das Pariser Klimaziel erfordert. Für einen „Erfolg | |
für das Klima, die Industrie und Europas BürgerInnen“, lobt der | |
Verhandlungsführer der Grünen, Michael Bloss, sich und seine KollegInnen. | |
Beim ETS II dagegen fragt sich etwa Brigitte Knopf, Generalsekretärin des | |
Mercator Research Institute MCC, „ob wir den Spatz in der Hand haben oder | |
ob dieser Spatz auf dem Dach sitzt“. Denn anders als geplant werden nur die | |
gewerblichen Emissionen erfasst. Sie bemerkt auch, dass die Politik beim | |
CO2-Preis offenbar erst die Entlastung beschließen will, ehe das | |
Preissignal das Verhalten der KonsumentInnen wirklich beeinflusst. Peter | |
Liese (CDU) wiederum, der Verhandlungsführer für die konservative EVP, | |
zeigt sich „insgesamt zufrieden“, auch wenn die Verschiebung des ETS II auf | |
2029 ein „großer Wermutstropfen“ sei. Aber Liese erinnert auch daran: Noch | |
vor ein paar Monaten galt der ETS II in Brüssel als klinisch tot, „jetzt | |
hat der Patient das Krankenhaus verlassen“. Immerhin: Der Kompromiss zum | |
ETS II widerlegt das Argument, Europa mache Klimaschutz ohne Rücksicht auf | |
die Armen. Und er zeigt, dass das Versagen der Mitgliedstaaten beim | |
Klimaschutz zu EU-weiten Instrumenten führt. | |
9 Welchen Einfluss hat der Ukrainekrieg? | |
Einerseits wurde sehr deutlich: Europa muss so schnell wie möglich weg von | |
den Fossilen und braucht sehr schnell sehr viel mehr erneuerbare Energien, | |
sagen Verhandler. Andererseits steckt allen die Angst vor Preisschocks in | |
den Knochen wie sie seit Februar bei Gas und Öl zu sehen sind. Das macht | |
die Abgeordneten vorsichtiger, wenn es darum geht, im ETS I ab 2024 die | |
Zertifikate noch weiter zu verknappen und die Preise hochzutreiben, wie es | |
eigentlich für den Klimaschutz notwendig wäre. | |
10 Ist das jetzt schon alles in trockenen Tüchern? | |
Hahaha! Schon im Umweltausschuss nächste Woche ist nicht ganz klar, welche | |
Details dieser Regel eine Mehrheit finden. Die linken Fraktionen wollen | |
noch verschärfen, die Konservativen die Industrie länger entlasten. Dann | |
kommt Anfang Juni die Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments. Und da | |
entscheiden nicht nur die UmweltpolitikerInnen, sondern alle Abgeordneten, | |
und die Industrielobby hat noch Zeit, die scharfen Kanten rund zu | |
schleifen. Und wenn es dann eine Position des Parlaments gibt, muss sie mit | |
dem EU-Rat zu einem Kompromiss kommen. Das geschieht meist im „Trilog“ | |
zwischen Parlament, Rat und EU-Kommission. Da haben es halbwegs ehrgeizige | |
Ideen immer schwer. Allerdings: Die Vorschläge zum ETS I und ETS II fallen | |
ja nicht vom Himmel. Sie setzen um, was Parlament, Rat und Kommission vor | |
einem Jahr beschlossen haben. Es wird sich nun zeigen, ob die EU es ernst | |
meint. | |
15 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal… | |
[2] https://sandbag.be/index.php/carbon-price-viewer/ | |
[3] https://www.dehst.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Broschuere_EH-in… | |
[4] /Green-Deal-der-EU/!5782574 | |
[5] https://michaelbloss.eu/de/presse/themenhintergrund/europas-co2-handel-auf-… | |
[6] https://www.peter-liese.de/29-emissionshandel/3790-einigung-zum-europaeisch… | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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