| # taz.de -- 30 Jahre „GZSZ“: Allabendliches Ritual | |
| > Die erfolgreichste Daily-Soap Deutschlands wird 30 Jahre alt. Viele | |
| > Drehbuchautor*innen haben dort ihre Karriere begonnen. So auch unser | |
| > Autor. | |
| Bild: Szene aus Folge 498 im Jahr 1994 mit GZSZ-Oberbösewicht Jo Gerner (r.) g… | |
| Für viele ist „GZSZ“ ein Synonym für Verblödung, für andere eine | |
| Kindheitserinnerung und für Millionen Menschen ein allabendliches Ritual. | |
| Fakt ist, dass „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ die erfolgreichste | |
| deutschsprachige Seifenoper ist und heute 30 Jahre alt wird. An einem | |
| durchschnittlichen Abend hat die RTL-Serie so viele Zuschauer*innen | |
| [1][wie der neue Batman-Kinofilm] nach mehr als einem Monat. Wenn es bei | |
| der Jubiläumsfolge an diesem Donnerstag (19.40 Uhr auf RTL) darum geht, ob | |
| Oberbösewicht Jo Gerner überlebt oder den Serientod stirbt, sicherlich noch | |
| mehr. Für mich ist „GZSZ“ der Ort, an dem ich gelernt habe, wie man gute | |
| Fernsehserien schreibt. | |
| Zum ersten Mal kam ich mit 16 Jahren über meine damalige Freundin mit der | |
| Soap in Berührung. Bei ihrer Familie gehörte es zum Pflichtprogramm, um | |
| 19.40 Uhr RTL einzuschalten. Anfangs setzte ich mich widerwillig dazu, doch | |
| ich wurde schnell reingezogen und heimlicher Fan. Was ich auf dem | |
| Reihenhaussofa zwischen Freundin und Schwiegermutter nicht ahnte: Diese | |
| Abende vor dem Fernseher sollten mir später einmal nützlicher sein als | |
| meine Abiturnote. | |
| Wie viele Millenials bin ich mit US-Comedy-Serien im Nachmittagsprogramm | |
| aufgewachsen, während meiner Unizeit stieß ich auf die sogenannten | |
| Qualitätsserien. In wenigen Monaten verschlang ich alles, was inzwischen zu | |
| den großen Klassikern gehört: „Mad Men“, „The Wire“, „Sopranos“, … | |
| Bad“. Und machte das Ganze auch zum Gegenstand meiner wissenschaftlichen | |
| Abschlussarbeit. Auf die Idee, selbst Qualitätsserien zu schreiben, wäre | |
| ich zu diesem Zeitpunkt nie gekommen. | |
| Einen ersten Einblick hinter den Kulissen bekam ich von meinem Gastdozenten | |
| Joachim Friedmann, der inzwischen Professor für Serielles Erzählen in Köln | |
| ist und als Pionier in der Ausbildung von Serienautor*innen in | |
| Deutschland gilt. Neben seiner wissenschaftlichen Laufbahn arbeitete | |
| Friedmann als Autor und Storyliner bei „GZSZ“. Damit sind die | |
| Autor*innen gemeint, die für die Handlung zuständig sind. | |
| ## Streit über die Handlung | |
| Bei „GZSZ“ sitzen davon bis zu zehn im obersten Stockwerk eines grauen | |
| Blocks auf dem Studiogelände in Potsdam-Babelsberg und denken sich | |
| gemeinsam die Geschichten aus – während parallel dazu im Erdgeschoss | |
| gedreht wird. Statt „ausdenken“ müsste man eigentlich „ausdiskutieren“… | |
| „ausstreiten“ sagen. Denn bei den Prozessen wird sich ins Wort gefallen, | |
| politisch debattiert, um die anderen zu überzeugen, werden zutiefst | |
| persönliche Geschichten ausgepackt und Unmengen blödes Zeug gelabert. Die | |
| Storyliner schicken am Ende der Woche die als Fließtext zusammengefassten | |
| Erzählbögen an Dialog-Autor*innen, die dann die finalen Drehbücher | |
| schreiben. Man kann sich das Ganze wie eine nie endende Konferenz | |
| vorstellen. Ein Brainstorming-Marathon. Eine Story-Fabrik. | |
| Als mein Dozent davon erzählte, war ich sofort fasziniert. Nicht nur weil | |
| ich den Prozess spannend fand, sondern auch weil ich durch die | |
| Beschäftigung mit amerikanischen Qualitätsserien wusste, dass der | |
| Arbeitsablauf dort ganz ähnlich ist. Auch bei „Breaking Bad“ wurde im | |
| Writers’ Room „geplottet“. Auch bei „Lost“ arbeitete man fließbandä… | |
| unter Hochdruck. Doch statt Seife entstand dort Kunst. | |
| Ich nahm also all meinen Mut zusammen und fragte den Dozenten nach einem | |
| Praktikum. Er war erst skeptisch, er kannte mich nicht und ich konnte außer | |
| ein paar kitschigen Kurzgeschichten keine Arbeitsproben vorweisen. | |
| Schließlich überzeugte ich ihn, weil ich wusste, was das Mauerwerk und das | |
| Vereinsheim sind, dass Patrick in Wirklichkeit Jo Gerners Sohn ist und dass | |
| Senta bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. Das schien ihm | |
| wichtiger als viel Erfahrung zu sein und ich wurde zu einem | |
| Auswahlverfahren eingeladen, einige Monate später saß ich im Zug nach | |
| Babelsberg. | |
| Mein Einstieg in die Soapwelt war hart, der Druck auf die Autor*innen | |
| ist enorm hoch. Gerade auf die neuen. Gleich in meiner ersten Woche gab es | |
| einen Nervenzusammenbruch. Soap-Autor*innen, insbesondere in | |
| Führungspositionen, leiden, trotz sehr guten Gehalts und Verträgen mit | |
| langen Auszeiten, häufig unter Burn-out. Denn bei einer täglichen Serie | |
| muss auch täglich ein Drehbuch geschrieben werden. Das ist vom zeitlichen | |
| Umfang her ungefähr ein Kinofilm pro Woche. Die Drehbuchentwicklung des | |
| bereits erwähnten neuen „Batman“-Films hat vermutlich Jahre gedauert. | |
| ## Quoten zum Frühstück | |
| Gleichzeitig sind die Erwartungen von Sender und Produktion an die Storys | |
| groß. Ich habe in über zehn Jahren Arbeit als Drehbuchautor, auch bei | |
| Projekten mit deutlich höherem künstlerischem Anspruch, nie wieder so einen | |
| Leistungsdruck erlebt. Gut laufende Soaps sind Cash-Cows für die | |
| Privatsender, Werbegelder, auf die man sich langfristig verlassen kann. Die | |
| Zuschauer*innen leben jeden Tag mit den Figuren, so wie sie es sonst | |
| vielleicht heute nur mit Influencer*innen tun, und spüren schnell, | |
| wenn es beliebig wird. Zur Strafe gibt’s schlechte Quoten, die den | |
| Autor*innen jeden Morgen zum Frühstück präsentiert werden. | |
| Das klingt grässlich und das war es auch oft, ich kann mich an Tage | |
| erinnern, in denen uns zum Ende der Woche verkündet wurde, die Redaktion | |
| sei mit den Geschichten der Vorwoche sehr unzufrieden gewesen und wir | |
| müssten alles noch mal machen, rückwirkend die Handlung bearbeiten. Da die | |
| Geschichten aufeinander aufbauen, kann man sich vorstellen, welche | |
| Kettenreaktion das bei der Produktion ausgelöst hat. Das ist die Kehrseite. | |
| Aber das ist auch die Qualität. | |
| Regelmäßig bewarben sich Absolvent*innen renommierter Filmhochschulen | |
| als Storyliner, scheiterten aber nach einigen Wochen wieder. Und zwar nicht | |
| nur aufgrund des Drucks, sondern auch weil sie handwerklich nicht so gut | |
| waren. Bei den meisten deutschen Filmhochschulen liegt der Fokus auf dem | |
| künstlerischen Findungsprozess der Drehbuchstudierenden, viele schreiben | |
| über Jahre an einem Langfilm und haben noch nie Schauspieler*innen ihre | |
| Dialoge sprechen hören. In den zwei Jahren, in denen ich fest bei „GZSZ“ | |
| geschrieben habe, konnte ich jeden Tag sehen, wie Regie und | |
| Schauspieler*innen mit meinen Sätzen umgehen. Ich lernte, was | |
| funktioniert und was nicht. | |
| Auch das verbindet die deutsche Daily Soap mit amerikanischen | |
| Serienproduktionen, in denen Autor*innen im Filmstudium jedes Semester | |
| ein Spielfilmdrehbuch abliefern müssen und anschließend über ein | |
| hierarchisches System in den Beruf reinwachsen: Es wird viel mehr Wert auf | |
| die Routine, das dramaturgische Handwerk und „das Produzieren“ gelegt. | |
| Autor*innen schreiben nicht in ihrem stillen Kämmerlein in der | |
| Uckermark, sondern sind immer in der Nähe des Drehs. Wer sich anschaut, wer | |
| in Deutschland qualitativ hochwertiges Fernsehen produziert, sieht | |
| inzwischen häufig einen Soap- oder Telenovela-Hintergrund. Prominentestes | |
| Beispiel sind vielleicht die sogenannten Haribos, die Männer, die hinter | |
| Serien wie „4 Blocks“ und „Funeral of a Dog“ stecken. Auch Bora Dagteki… | |
| der mit den „Fack ju Göhte“-Filmen vermutlich kommerziell erfolgreichste | |
| Regisseur in Deutschland, begann seine Karriere im Writer’s Room von | |
| „GZSZ“. | |
| ## Diversity schon vor Jahren | |
| Und es gibt noch eine Gemeinsamkeit mit den US-Serien: Während die Debatte | |
| über mehr Diversity im deutschen Fernsehen erst in den letzten Jahren | |
| richtig Fahrt aufgenommen hat, war es bei „GZSZ“ schon vor über zehn Jahren | |
| selbstverständlich, [2][dass auch queere und migrantische Geschichten | |
| erzählt werden]. Ich erinnere mich an eine Liebesgeschichte zwischen zwei | |
| Frauen, für die wir Fanpost aus Australien bekamen. Lesbische Lovestorys | |
| waren vor der Streamingzeit so rar, dass die queere Community sich bei | |
| Soaps aus aller Welt bedienen musste, um Geschichten zu finden, in denen | |
| sie sich repräsentiert fühlten. Das liegt wohl daran, dass bei Soaps auch | |
| hinter den Kulissen nicht hauptsächlich weiße Männer arbeiten wie im Rest | |
| der Film- und Fernsehwelt. Seit Jahren ist die künstlerische Leitung von | |
| „GZSZ“ ausschließlich von Frauen besetzt. | |
| Doch klar: Wenn ich ab und zu wieder bei „GZSZ“ einschalte, dann schäme | |
| auch ich mich fremd. Figuren sprechen in voll ausgeleuchteten Sets | |
| ungefiltert aus, was sie denken, um die Zuschauer*innen, die vielleicht | |
| eine Folge verpasst haben, möglichst schnell zurück in die Geschichte zu | |
| holen. Die Storys sind oft flach und vorhersehbar und vor den Werbepausen | |
| wird künstlich die Spannung aufgepumpt, dass ich als Autor oft das Gefühl | |
| hatte, ein Lückenfüller für Werbespots zu sein. | |
| Meine Liebe für „GZSZ“ wird trotz allem ewig währen. Für den Schmerz, den | |
| ich als Teenager gefühlt habe, als Deniz Ergün auf seiner eigenen Hochzeit | |
| aus dem Fenster gestürzt und gestorben ist, und für den Stolz, als | |
| Bösewicht Jo Gerner das erste Mal etwas Fieses gesagt hat, das ich mir | |
| ausgedachte hatte. Also: Danke und [3][herzlichen Glückwunsch zum | |
| Geburtstag, „GZSZ“]! | |
| 11 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alexander Lindh | |
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