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# taz.de -- Theaterskandal in Krakau: Polens Leiden
> Eine Regisseurin interpretiert ein polnisches Drama mit feministischer
> Kritik in Krakau. Politiker der PiS sind empört. Das Theater gerät unter
> Druck.
Bild: Das wollen Polens regierende Nationalpopulisten nicht sehen: „Die Ahnen…
Krakau/Warschau taz | Maja Kleczewska ist sich sicher: „Es sind heute vor
allem Frauen, die auf die Straße gehen, gegen Unrecht protestieren und für
eine bessere Welt kämpfen“, sagt die Theaterregisseurin im Interview mit
dieser Zeitung. „Das sehen wir an der Klima- und Umweltbewegung „Extinction
Rebellion“, am Freiheitskampf der mutigen Belarussinnen gegen den Diktator
Lukaschenko und auch bei uns in Polen, wo Zehntausende Frauen immer wieder
gegen das inzwischen fast totale Abtreibungsverbot demonstrieren.“
Als der Intendant des berühmten Juliusz-Słowacki-Theaters in Krakau sie
fragte, ob sie zum 120-jährigen Aufführungs-Jubiläum der [1][„Ahnenfeier“
von Adam Mickiewicz] diesen Klassiker auf die Bühne bringen wolle, war
daher für sie sofort klar, dass der Held Konrad von einer Frau gespielt
werden musste. Doch nun – Monate nach der gefeierten Premiere und vielen
ausverkauften Vorstellungen – stehen das Krakauer Theater, sein Direktor
und die Regisseurin vor einem Scherbenhaufen.
Denn die regierenden Nationalpopulisten sehen in der viel gerühmten
Inszenierung alles andere als ein „Meisterwerk“. Politiker der Partei Recht
und Gerechtigkeit (PiS) leiteten ein Kündigungsverfahren gegen den
Theaterintendanten Krzysztof Głuchowski ein, zogen fest zugesagte Gelder
in Höhe von fast 3 Millionen Złoty (rund 650.000 Euro) zurück und stoppten
den Prozess, der dem Słowacki-Theater den Status eines Staatstheaters mit
fester Finanzierung durch das Kulturministerium bringen sollte.
Die Regisseurin Maja Kleczewska musste erfahren, dass ihr eine geplante
neue Inszenierung am renommierten Stary Teatr (Altes Theater) in Krakau
abgesagt wurde. „Mit Kunstfreiheit hat das nichts mehr zu tun“, so die
49-Jährige. „Nur setzt die PiS die Ahnenfeier nicht vom Spielplan ab, wie
dies die Kommunisten getan hatten. Sie dreht einfach den Geldhahn zu. Das
ist weniger spektakulär, aber genauso wirksam.“
## Der Erfolg der Künstlerinnen ist ein Dorn im Auge der Populisten
Zwar gibt es Solidaritätsbekundungen aus dem ganzen Land, und selbst
Theaterintendanten und –Regisseure aus Deutschland, Österreich und der
Schweiz sandten eine Petition an den Kulturminister in Warschau und an den
Marschall, den Vorsitzenden des Regionalparlaments von Kleinpolen, in
Krakau. Doch weder diese Stimmen noch die Proteste der Theaterfans, die auf
mehreren Bannern den Hashtag #NaszTeatr (dt: Das Theater gehört uns) zu den
Demos in Krakau mitgebracht hatten, konnten die PiS-Politiker zum Einlenken
bringen.
Empörend fand Marschall Witold Kozłowski auch, dass das Konzert der
Sängerin Maria Peszek im Słowacki-Theater so großen Anklang beim Publikum
gefunden hatte. Das Konzert war wie die Ahnenfeier-Vorstellungen
vollständig ausverkauft, die Kritiken zumeist positiv.
Peszek ist eine politisch engagierte Künstlerin, die mit ihren Songs den in
Polen verfolgten Minderheiten, insbesondere den Schwulen und Lesben, Gehör
verschafft. In einem Lied aus dem Album „Ave Maria“ greift sie den Slogan
der polnischen Frauenbewegung auf – „Jebać PiS – Fuck You PiS“.
Hunderttausende Polinnen skandierten ihn [2][in Reaktion auf das fast
totale Abtreibungsverbot], das die PiS gemeinsam mit der katholischen
Kirche den Frauen aufoktroyiert hatte. Als der Theaterintendant Krzysztof
Głuchowski das Konzert nicht absetzen wollte, leitete der Marschall dessen
Absetzung ein.
„Natürlich ist die Ahnenfeier ein hochpolitisches Stück“, sagt die
Regisseurin. Mickiewicz habe es in der Teilungszeit geschrieben, als das
Großreich Polen-Litauen von seinen Nachbarn Preußen, Österreich und
Russland so lange aufgeteilt und besetzt worden war, bis es von der
Landkarte Europas verschwunden war. Aus dem Pariser Exil heraus versuchte
er seinen Landsleuten Mut zu machen und bestärkte sie darin, auch unter der
Fremdherrschaft an Freiheitswillen und Patriotismus festzuhalten.
## Geschichte der Zensur
„Das Stück wird immer aktuell inszeniert“, so Kleczewska. „1968 setzten …
polnischen Kommunisten das Drama sogar ab, weil das Publikum an den Stellen
besonders laut klatschte, die gegen das imperialistische Russland gerichtet
waren.“ Kleczewska streicht die schulterlangen blonden Haare zurück und
zündet sich eine Zigarette an. „Die damalige Zensur löste erst
Studentenunruhen aus und darauffolgend – im März 1968 – eine antisemitische
Hetzkampagne der kommunistische Partei Polens.“
Die Partei versuchte die Wut der Gesellschaft über Mangelwirtschaft,
Moskauhörigkeit der Politiker und fehlende Freiheit auf die Juden
abzuwälzen. [3][1968 mussten Zehntausende polnische Juden das Land
verlassen und verloren ihre polnische Staatsangehörigkeit].
„Das Stück hält der Gesellschaft den Spiegel vor. Den Mächtigen wie den
Schwachen. Damals wie heute. Darum ging es auch mir. Wie die anderen
Regisseure vor mir habe ich das Stück ins Hier und Heute übertragen.“ Sie
nimmt einen Schluck Wasser. „Dass eine Frau als Freiheitsheldin, eine
Schauspielerin in der Rolle Konrads, die Mächtigen in diesem Land
provozieren könnte, glaubte ich riskieren zu können.“ Denn der Text sei
unverändert geblieben – bis auf die Kürzungen, ohne die das Drama 14
Stunden lang dauern würde.
„Die Interpretation findet letztlich im Kopf eines jeden einzelnen
Zuschauers statt“, so Kleczewska. „Ich wollte eine Jubiläums-Inszenierung
auf die Bühne bringen, nicht aber einen Theaterskandal provozieren.“
## Warnung an alle LehrerInnen
Dass es dennoch zu der Skandalisierung kam, hat mit Barbara Nowak zu tun.
Wenige Tage nach der Ahnenfeier-Premiere twitterte die Chefin der
Schulaufsichtsbehörde in der Region Kleinpolen: „Meiner Ansicht nach ist es
schändlich, das dichterische Werk von Adam Mickiewicz zum politischen Kampf
der derzeitigen Anti-Regierungs-Opposition gegen die Staatsräson zu
missbrauchen.“ Sie riet allen LehrerInnen ausdrücklich davon ab, mit den
Schulkindern der oberen Klassen ins Słowacki-Theater zu gehen und sich die
aktuelle Inszenierung anzusehen.
Die offizielle Begründung der Schulaufsichtsbehörde erinnert allerdings von
ihrem Duktus her stark an die Verlautbarungen rechtsnationaler Kleriker in
Polen. Nowak, die das Stück nicht gesehen hat, habe „Informationen
erhalten“, denen zufolge das Drama „inadäquate und für Kinder und Schüler
schädliche Interpretationen“ enthalte.
Kamen diese „Informationen“ aus Kirchenkreisen? Dazu äußert sich Nowak
nicht. „Das Milieu“, raunt sie in seltsamen Andeutungen, versuche mit
dieser Ahnenfeier-Interpretation die Wahrnehmung des heutigen Polens zu
beeinflussen – „aus Hass auf die historische Herkunft der Polen und ihrer
tief in der lateinischen Zivilisation verankerten Identität“.
[4][Przemysław Czarnek, PiS-Bildungsminister] und Professor an der
Katholischen Universität Lublin, stimmte Barbara Nowak umgehend zu. Zwar
hatte auch er die Inszenierung nicht gesehen, verfügte aber anscheinend
ebenfalls über „Informationen“, die er für ein vermeintlich klares Urteil
nutzte. Die Inszenierung sei „Ramsch“, so Czarnek.
## Zuschüsse zurückgezogen
PiS-Kulturminister Piotr Gliński wiederum, der in der Vergangenheit schon
häufiger politisch unliebsame Kulturinstitutionen finanziell abstrafte, zog
umgehend die Zusage über einen Zuschuss von rund 3 Millionen Zloty an das
Słowacki-Theater zurück. Seinen Kritikern, die die Aufführungen und die
jeweilige Zensur der Mächtigen von 1968 und 2022 miteinander verglichen,
wirft Gliński vor, „infantil“ zu sein.
Auch wenn die PiS-Politiker keinen einzigen konkreten Grund für die
Lancierung ihres „Theaterskandals“ nennen, vermutet Kleczewska, dass es
zwei Szenen sein könnten, die Rechtsklerikalen wie auch PiS-Politikern
bitter aufgestoßen sein könnten. In der „Großen Improvisation“ hadert
Konrad – großartig gespielt von Dominika Bednarczyk – nachts in ihrer
Gefängniszelle mit Gott und steigert sich so in ihrem Größenwahn, dass sie
sich Gott nicht nur ebenbürtig, sondern sogar überlegen fühlt.
In einer Szene wenig später stürzt sich ein Erzbischof in voller Länge auf
Konrad und vollzieht ein Exorzismus-Ritual an ihr. Es wirkt wie eine
Vergewaltigung und erinnert an die vielen bis heute vertuschten
Pädophilie-Fälle unter Polens Priestern.
Hier erfährt dann auch der bislang positiv gedeutete Mythos von Polen als
Christus der Nationen, das unschuldig ans Kreuz genagelt wurde, stirbt und
eines Tages als freie Nation wiederauferstehen wird, eine
Neuinterpretation: Es ist im Interesse der Kirche, die mit den politisch
Mächtigen unter einer Decke steckt, dem unterdrücktem Volk einzureden, dass
Gott höchstpersönlich den Polen dieses Schicksal zugedacht habe. So
scheitert der Freiheitsheld Konrad am Ende. Die politische Analyse und
Handlungsoptionen sind zwar richtig, die Konrad als Frau auf der Bühne
getroffen hat, doch es hört ihr niemand zu. Die Gesellschaft ist damals wie
heute so gespalten, dass sie handlungsunfähig ist.
13 May 2022
## LINKS
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[3] /Geschichtspolitik-in-Polen/!5665836
[4] /Deutschunterricht-in-Polen/!5833879
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Theater
Polen
Krakau
PiS
Schwerpunkt Abtreibung
Zensur
Schwerpunkt #metoo
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ausbeutung
Lesestück Recherche und Reportage
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