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# taz.de -- Entschuldigung in Pop und Politik: Sorry übrigens
> Popsänger Xavier Naidoo hat Abbitte für seinen Verschwörungsquatsch
> geleistet. Muss ihm die Gesellschaft verzeihen? Und was ist mit
> Politikern?
Bild: Xavier Naidoo hat sich diese Woche für seine verschwurbelten Verschwöru…
Auch Jens Spahn hatte mal recht. Selbst wenn der damalige
CDU-Gesundheitsminister mit seinem vor zwei Jahren verkündeten,
nachdenklichen Menetekel „Wir werden viel einander verzeihen müssen“
natürlich die Coronapandemie meinte – und keinen deutschen Popsänger, der
seit Neuestem darauf hofft, die deutsche Öffentlichkeit möge ihm seine
notorische Postulierung durchgeknallter Fantasien vergeben.
Aber es könnte etwas dran sein an Spahns Abbitte: In [1][Xavier Naidoos
Video], das er am Dienstag auf Social Media zugänglich machte, steckt eine
Hoffnung auf Verzeihung. Dass er damit an die Öffentlichkeit geht, dass er
jene Vergebung von einem unbekannten Gegenüber, einer vagen (und definitiv
geschrumpften) Masse von Fans fordert, und es dem nach Eigenaussage
gläubigen Musiker nicht reicht, vor seinem Gott um Vergebung zu bitten,
unterstreicht die Ähnlichkeiten zwischen Pop und Politik. Hie wie dort geht
es um Image, um Authentizität, um die Symbolkraft und Glaubwürdigkeit von
Worten gegenüber einer Gruppe von Anhänger:innen, Followern, Fans,
beziehungsweise: dem Volk.
Grundlage der Idee, sich nach einem (oder in Naidoos Fall: vielen)
Fehler(n) die Absolution erteilen zu lassen, ist ein Weltbild, in dem es
die Konzepte von „falsch“ und „richtig“ ebenso gibt wie die Idee der
Vergebung. Und die damit verbundene Notion der Reue. Angeblich war es der
im 16. Jahrhundert lebende und denkende Philosoph der Aufklärung Joseph
Butler, der dabei half, die Idee von der Reue einerseits und der
Überwindung negativer Gefühle auf der anderen Seite in der europäischen
Gesellschaft zu verankern.
Doch sich zu „ent-schuldigen“, wenn man etwas falsch gemacht hat, also
einer Sache „schuldig“ geworden ist, und die Schuld damit aus der Welt zu
schaffen, funktioniert eben nicht bei allen Menschen gleich gut: Von
Politiker:innen wird erwartet, dass sie sich als gewählte
Vertreter:innen des Volkes und ausgestattet mit Macht, großer
Expertise, einem weitläufigen Beratungsstab und eindrucksvollem Salär, mehr
oder weniger makellos betragen. Aus diesem Grund werden auf der
Regierungsseite Fehler unter den Teppich gekehrt und verleugnet, während
die Opposition ihre Aufgabe darin sieht, auch kleinste Fehler zu finden,
publik zu machen und zu skandalisieren.
## Die Grünen hatten es vorgemacht
Dass der Umgang mit Fehlern in der Politik in den Jahren der Pandemie
nachdenklicher, gar nachsichtiger geworden zu sein scheint, liegt an der
erwähnten besonderen Ausgangssituation – noch kein Gesundheitsminister in
der bundesrepublikanischen Geschichte musste mit einer Pandemie mit
unbekanntem, hoch ansteckendem Erreger ringen. Diese Tatsache war sogar den
Gegner:innen Spahns im Unterbewusstsein klar, und erklärt die allgemein
recht positive Reaktion auf seinen eingangs zitierten „Verzeihen“-Satz. Vor
dem Hintergrund der wieder neuen Situation nach dem Beginn des
Angriffskriegs gegen die Ukraine ist auch das Eingeständnis Frank-Walter
Steinmeiers zu Fehlern bei der Russlandpolitik zu sehen, genauso wie die
Aussage der Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns Manuela Schwesig,
dass das Festhalten an Nord Stream 2 [2][„ein Fehler“ gewesen sei].
Dabei hatten die Grünen bereits vorgemacht, dass Zweifel sich authentischer
anhören können als ein beherztes vermeintlich „richtiges“ Vorgehen:
Bundeswirtschaftsminister Habeck sprach bei Markus Lanz Ende März davon,
dass Politik bedeute, sich „die Hände schmutzig zu machen“, egal was man
tue. Niemand geht ohne Schuld hier raus, hieß das im Umkehrschluss, eine
seltene Erkenntnis in der auf Polarisierung aufgebauten Politik, die
generell meist zu ignorieren versucht, dass es zu den meisten Dingen mehr
als eine Haltung gibt.
Zu den früheren im Brustton der Überzeugung oder sogar unter Tränen
vorgetragenen Äußerungen des Popstars Xavier Naidoo – etwa zur
Coronapolitk, zum Davidstern oder zur angeblichen Gewohnheit von
US-Schauspieler:innen, in unterirdischen Lagern Kleinkinder foltern zu
lassen, um das so gewonnene „Adrenochrom“ als Anti-Aging-Produkt zu
konsumieren –, gibt es allerdings keine andere Sichtweise: Sie sind
schlichtweg falsch, hanebüchen, und unfassbar bekloppt noch obendrein.
Naidoos Eingeständnis, etwas falsch gemacht, vor allem: falsch gedacht zu
haben, fällt also vor allem auf seine eigene Zurechnungsfähigkeit zurück.
Und eigentlich schont er sich nicht – er spricht über sein Verhalten als
„verstörend“, konstatiert „Irrwege“, ein Wort, dessen Wortstamm beinha…
wie diese Theorien einzuschätzen sind.
Die Reaktionen sind dennoch bislang wie zu erwarten. Verschwörerische
Weggefährten wie Michael Wendler oder Attila Hildmann bezeichnen die
Aussagen als „Verrat“ oder schimpfen, mit diesen Worten würde er die
„Freiheitsbewegung schockieren“ (Wendler). Den kritischen
Beobachter:innen Naidoos dagegen reicht das knapp dreiminütige Video
nicht, Forderungen nach Konsequenzen wurden laut, die nun dringend folgen
müssten: Wenn es ihm ernst sei, müsse er sich reinhängen, seine Follower
aus der Verschwörungsszene direkt und aktiv ansprechen, sich um Aufklärung
bemühen.
Ohnehin sei Naidoos angebliche Einsicht kaum glaubwürdig und beruhe eher
auf seiner bitteren Erkenntnis, als Adrenochrom-Warner der Nation auf Dauer
kaum die Penunzen zum Leben zusammenkratzen zu können. Schlicht monetäre
Gründe steckten also hinter seinem Versuch, als „Prodigal Son“ in den Scho…
der Unterhaltungsbranche zurückzukehren.
In dieser Kritik verbirgt sich eine weitere Ähnlichkeit zwischen Pop und
Politik: Auch Politker:innen gesteht man selten echte Einsicht zu. Zu
parteipolitisch wurde ihr Handeln von jeher ausgerichtet, zu eindeutig
oppositionell um des reinen Widerspruchs wegen. Politiker:innen wie
der ehemalige Vizevorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion Christian
Ströbele, dem in seinen Entscheidungen immer wieder das eigene Gewissen ein
relevanterer Berater war als die Parteilinie (so bei seiner Haltung zu
jeglichen Auslands-Bundeswehreinsätzen und zum Europäischen
Stabilitätsmechanismus), sind selten.
## Quatsch bleibt Quatsch
Doch selbst wenn Naidoo nach wie vor heimlich heiße Tränen über
unterirdische Folterlager vergießen, im Privaten rechtspopulistische und
antisemitische Wordings benutzen und den Antichristen als Oberlehrer der
Fridays-for-Future-Schüler:innen vermuten würde – es ist gut, dass er sich
in dem Video gegen den gesammelten Quatsch äußert. Denn es ist schlichtweg
besser, aus falschen Gründen das Richtige zu tun, als aus falschen Gründen
das Falsche zu tun.
Adornos Satz, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt, steht dem
nicht entgegen – Quatsch bleibt Quatsch, und Wahrheit bleibt Wahrheit. Die
verblüffende Kehrtwendung, die Xavier Naidoo gemacht hat, bestärkt – ebenso
wie die früheren Aussagen – weder seine Glaubwürdigkeit, noch lassen sie
ihn wie einen vernünftigen Menschen wirken. Ob man bereit ist, ihm sein
Verhalten zu verzeihen, ob man ihn also „ent-schuldigt“, ihm also die
eindeutige „Schuld“ vergibt, seine Position als Popstar und Opinion Leader
für die Verbreitung von Menschenverachtung, Hass und Blödsinn auszunutzen,
bleibt dem subjektiven Moralempfinden jedes Einzelnen vorbehalten.
Und das Video und seine Aussagen befreien Naidoo nicht aus der
Verantwortung, seinen Worten Taten folgen zu lassen, genauso wenig, wie es
ihn im Handumdrehen in die Charts und die Herzen zurückkatapultieren wird.
Sein Image als Popstar und Mensch ist dauerhaft beschädigt. Aber was er
wirklich denkt und glaubt, aus welchen Motiven er handelt – „niedere“ wie
der Wunsch nach Moneten und Erfolg oder „hehre“ wie die Suche nach
Erkenntnis oder die Verantwortung gegenüber der eigenen Moral – weiß
vermutlich nur er selbst.
Wenn er es denn überhaupt weiß. Manchmal sind die geistig Armen nämlich
nicht prinzipiell selig. Sondern einfach nur geistig arm.
22 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=rbo9RrQ4V6w
[2] /Russland-Politik-in-Truemmern/!vn5849507
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Xavier Naidoo
Verschwörung
Jens Spahn
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Entschuldigung
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Kolumne Red Flag
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