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# taz.de -- Läuterungsvideo von Xavier Naidoo: Der bröckelnde Beton
> Naidoos Entschwörungsvideo reicht nicht aus, um seine rechte Hetze
> wiedergutzumachen. Aber es könnte ein guter Anfang sein für einen
> Ausstieg.
Bild: Xavier Naidoo in seinem Entschuldigungsvideo
Es gibt diese erschütternden Begegnungen: Leute, die man aus einem früheren
Leben kennt, aus der Schulzeit vielleicht, oder Bekannte, die man mit den
Jahren aus den Augen verloren hat. Man trifft sie nach langer Zeit wieder,
und nach einem höflichen ersten „Wie geht’s?“ findet man sich plötzlich…
einem wilden Strudel aus Verschwörungstheorien, antisemitischen Narrativen,
einem rassistischen und queerfeindlichen Weltbild wieder.
Erschüttert bin ich in diesen Situationen gar nicht so sehr darüber, dass
es sich auch um Personen handelt, die selbst Teil verschiedener
Minderheiten sind. Die eigene Betroffenheit schützt eben nicht vor rechter
Ideologie. [1][Antifaschismus ist Arbeit], er wird einem nicht in die Wiege
gelegt.
Schockiert bin ich vielmehr davon, dass die Person, die vor mir steht, kaum
mehr etwas mit jener zu tun hat, die in meinen Erinnerungen existiert. Das
kann mit einem nostalgischen Filter zu tun haben, den mein Gedächtnis über
Vergangenes legt, oder damit, dass ich früher weniger sensibel für
bestimmte Rhetoriken war.
Es kann aber auch einfach sein, dass sich mein Gegenüber verändert,
radikalisiert hat. Und das in Zeiten, in denen sich auch unser
Zusammenleben aufgrund der anhaltenden Pandemie radikal verändert, Menschen
schneller in extremistische Kreise abrutschen. Jedenfalls scheinen solche
Ansichten viel schneller in beiläufigen Small Talks zutage zu treten als
noch vor der Pandemie.
Wir landen also in einem Streit, den wir vor zehn Jahren so nicht geführt
hätten. Und häufig läuft dieser Streit ins Leere, weil ich erstens sowieso
nicht daran glaube, dass es etwas bringt, mit Rechten zu reden, und sich
jede Auseinandersetzung wie ein Tritt gegen eine Betonwand anfühlt.
Und zweitens wird schnell klar, dass es in diesem Streit gar nicht um
Argumente geht, sondern um ein grundverschiedenes Verständnis davon, was
vertrauenswürdige Nachrichtenquellen sind. Hier die als „Lügenpresse“
diffamierten klassischen Medien und Journalist_innen, dort die von Nazis
und Verschwörungstheoretiker_innen gefütterten Youtube-Channels und
Telegram-Chatgruppen.
## Etwas Entscheidendes dringt durch
Dass Letztere nun [2][mit Xavier Naidoo eines ihrer bekanntesten Gesichter
verloren haben], ist mehr als erfreulich. In einem Video entschuldigte
Naidoo sich am Mittwoch für den „Irrweg“, den er in den letzten Jahren
eingeschlagen habe: „Ich habe mich Theorien, Sichtweisen und (…)
Gruppierungen geöffnet, von denen ich mich ohne Wenn und Aber distanziere
und lossage. Ich war von Verschwörungserzählungen geblendet und habe sie
nicht genug hinterfragt (…). Bei der Wahrheitssuche war ich wie in einer
Blase und habe mich manchmal vom Bezug zur Realität entfernt. Ich habe
Dinge gesagt und getan, die ich heute bereue.“
Viel ist kritisiert worden an diesem Statement des Popsängers, der aufgrund
des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine einen Sinneswandel
durchzumachen vorgibt. PR-Stunt, sagen die einen. Nazis bleiben Nazis,
sagen die anderen. Und es stimmt, ein dreiminütiges Video [3][reicht bei
Weitem nicht aus], um zehn Jahre rechter Hetze und Reichsbürger-Propaganda
wiedergutzumachen – welche Naidoos Karriere viel zu spät, aber letztlich
eben doch zersetzt haben.
Aber das Statement könnte ein Anfang sein für einen ernst gemeinten
Ausstieg. Vor allem ist es ein Zeichen an all jene, die diese
Verschwörungserzählungen, die auch Naidoo selbst mit in Umlauf brachte,
Tag für Tag in der Gewissheit konsumieren, verborgenen Wahrheiten auf der
Spur zu sein. So vage Naidoos Distanzierung bislang auch sein mag, so
dringt doch etwas sehr Entscheidendes im Statement durch, das sich
hoffentlich auch seinen Weg in die Abgründe der noch ungefestigten
Chatgruppen-Mitglieder bahnen kann: der Zweifel, der die Betonwand zum
Bröckeln bringt.
21 Apr 2022
## LINKS
[1] /Antifaschistisches-Bildungszentrum-in-Goettingen/!5835987
[2] /Naidoos-Abkehr-vom-Verschwoerungsglauben/!5846586
[3] https://www.fr.de/meinung/kommentare/xavier-naidoo-video-youtube-hetze-anti…
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Kolumne Red Flag
Verschwörungsmythen und Corona
Xavier Naidoo
Reichsbürger
Rechter Populismus
GNS
Schwerpunkt Rassismus
Xavier Naidoo
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