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# taz.de -- Comeback von Xavier Naidoo: Der Weg zur Entschwörung kann kein lei…
> Xavier Naidoo will wieder auftreten. Das weckt Proteste, aber auch
> Interesse. Unsere Autorin denkt nicht an Musik – sondern an verlorene
> Lebensjahre.
Bild: Xavier Naidoo Live in Giessen, 31. August 2019
„Bei meiner Seele“ steht über der Konzertwerbung von Sänger Xavier Naidoo.
Eine dunkle Sonnenbrille verbirgt seinen Blick, sein Mund formt sich zu
einem kleinen Schmunzeln. Naidoo trägt eine tweedartige Mütze, [1][genau
wie 2022,] als ich ihn zuletzt gesehen habe, in dem Video, in dem er sich
zum Entschwörten erklärte und sich entschuldigte. Im Dezember will er
wieder auftreten, die zwei Konzerttermine in Köln sind nahezu ausverkauft.
„Selbstverständlich können sich Menschen, können sich Haltungen ändern.
Doch nach jahrelangem Verbreiten von gefährlichen demokratie- und
menschenfeindlichen Ideen und Positionen reicht ein generisches Statement
gefolgt von dreijährigem Schweigen und Nichtstun nicht aus“, sagt Elio
Adler, Vorsitzender von [2][WerteInitiative e. V]., der taz. [3][Der Verein
fordert eine Absage der Konzerte.]
Schon als Naidoo sein Entschwörungsvideo veröffentlichte, [4][stellte der
Rechtsextremismusexperte und taz-Kolumnist Andreas Speit fest,] dass
ein bloßes Sorry nicht ausreiche, um sich glaubhaft von
Verschwörungstheorien zu distanzieren. Auch Jenny Winkler von der
[5][Beratungsstelle veritas] spricht lieber von einem andauernden
Distanzierungsprozess statt einem klassischen Ausstieg, „weil beim
Verschwörungsglauben oft keine formelle Zugehörigkeit zu einer Gruppe
vorliegt“.
Ich möchte nicht spekulieren, ob Naidoo sich im Stillen dieser Aufgabe
gestellt hat. Aber jetzt, wo er wieder die Öffentlichkeit sucht, wäre
wichtig zu wissen, wie das aussehen könnte: eine glaubhafte Distanzierung.
Ich frage mich das auch für mich selbst. Denn ich habe Jahre meines Lebens
mit Verschwörungstheorien vergeudet.
## Erleuchtung im Handumdrehen
Als Kind sah ich meinen Großvater mit dem Edding Barcodes auf
Lebensmittelverpackungen durchstreichen und Kristalle zur Entstörung von
Räumen ablegen. Später las ich Bücher über den angeblich mittels Hypnose
erbrachten Beweis der Reinkarnation und [6][Erich von Dänikens
Spekulationen über die Spuren Außerirdischer] in frühen Hochkulturen. Ich
inspizierte die Dorfkirche und suchte nach verdeckten Hinweisen auf geheim
gehaltenes Wissen.
Die Vorstellung, Erleuchtung sei im Handumdrehen zu haben, statt ein vages
Ziel auf einem tatsächlich steinigen Weg der fortdauernden Bildung zu sein,
ist typisch für Verschwörungsdenken. So einfach wie „Aufwachen“ soll alles
sein.
Was tatsächlich im Handumdrehen zu haben ist, ist ein Trauma. Mit 17 stieß
ich auf völlig zu Recht auf dem Index der jugendgefährdenden Schriften
stehende Literatur rechtsextremistischer Esoteriker. Diese Lektüre erfüllte
mich mit einer rauschhaften Panik, die für Jahre anhalten sollte. Ich
betrauerte die Verdorbenheit der Bösen, ihre Brutalität und
Gleichgültigkeit uns Menschen gegenüber. Trost spendete mir die Annahme,
dass wir alle, auch die Bösen, nur noch zehn Jahre bis zum
[7][Weltuntergang im Jahr 2012] haben würden.
„Donata, du klingst wie eine Rechtsradikale.“ Meine Deutschlehrerin, die
Ehrenfrau, reagierte sehr klar auf meine ethnopluralistischen
Ausführungen im Unterricht. Sie war enttäuscht von mir, das traf mich. Ein
innerer Wertekonflikt kann für Verschwörungsgläubige der Ausgangspunkt
einer Entschwörung sein. So weit war ich aber noch nicht. Solche ersten
Risse können auch von außen aufgemacht werden, etwa, indem Strafe droht.
Die Sorge über Konsequenzen setzt dann bisweilen eine Verhaltensänderung in
Gang. Gegen Naidoo hat die Staatsanwaltschaft Mannheim wegen
Volksverhetzung [8][Anklage erhoben.] Seine Anwälte [9][weisen die Vorwürfe
zurück.]
Mir kamen zwar gelegentlich Zweifel, denn je mehr Verschwörungsliteratur
ich las, desto mehr Quark begegnete mir: Widersprüche, Plagiate,
Fantastereien. Ein Mensch in meinem Umfeld fing an, sich wegen 2012 mit
[10][Prepping] zu beschäftigen. Meiner Ansicht nach war das Quatsch. Nur
Menschen, die die Kunst des kugelförmigen Atmens beherrschten, würden die
Frequenzerhöhung des Planeten überleben, erklärte ich ihm.
Irgendwie machte ich Abitur, aber die dröhnende Angst in meinem Kopf, dass
alles, was nicht zu meiner spirituellen Entwicklung beitrage,
Zeitverschwendung sei, betäubte mich weiter. Im Nachhinein erkenne ich die
Gefährlichkeit der Situation. Ich war „lost“, ein Teenager mit immer
schwerem Herz, machtlos in einer emotional belastenden Familiensituation
und mit einem Hausarzt gesegnet, der sagte, ich bräuchte keine Therapie,
ich sei ja schlau, das würde ich schon allein schaffen. Und, ganz wichtig,
ich war jung und dumm.
## Echokammer verlassen
Der Ortswechsel nach der Schule war meine Rettung. „Distanzierung und
kritische Reflexion der extremistischen Ideologie, vor allem von
menschenfeindlichen Aussagen und Feindbildern“ – laut Jenny Winkler ein
Kriterium einer Distanzierung – fällt leichter, wenn man sein Kaff oder
seine Echokammer verlässt und an der Welt teilnimmt.
Am 1. Januar 2013 war endgültig klar, dass ich Jahre meines Lebens mit
Schrott vergeudet hatte. Da schämte ich mich schon ein paar Jahre für all
die Missionierungsversuche, die mein Umfeld sich hatte anhören müssen,
schämte mich für meine Naivität und Überheblichkeit.
Ab diesem Zeitpunkt hielt ich mich für ganz sicher entschwört und las
lieber über die Gefahren, die von Verschwörungstheorien ausgehen. Und
worauf sie hinauslaufen können: „Wenn ich nicht mitdenke, wem ich
geschadet habe, ist der Distanzierungsprozess unvollständig“, sagt Jenny
Winkler dazu.
Artefakte des alten Denkens fand ich aber weiter in mir, zum Beispiel eine
Neigung zur emotionalen Beweisführung: Mein Gefühl sagt mir, dass hier
etwas nicht stimmen kann. Dann ist da wahrscheinlich wirklich etwas faul,
ich suche mir mal einen Beweis. „Kognitive Muster“ nennt das Jenny Winkler.
„Ich glaube nicht, dass es ein Leben lang dauert, sich zu entschwören, aber
das Hinterfragen dieser kognitiven Muster kann ein Leben lang dauern.“
Also quasi ein langer, steiniger Weg, aber auch ein guter und richtiger
Weg. Ich hoffe, Xavier Naidoo will ihn gehen. Eine glaubhafte und
nachhaltige öffentliche Distanzierung eines so bekannten Menschen würde
auch anderen helfen, den ersten, peinlich empfundenen Schritt der Umkehr zu
machen.
12 Jul 2025
## LINKS
[1] /Entschuldigung-in-Pop-und-Politik/!5849955
[2] https://werteinitiative.de/
[3] https://www.deutschlandfunk.de/kritik-an-comeback-von-xavier-naidoo-102.html
[4] https://www1.wdr.de/nachrichten/xavier-naidoo-comeback-100.html
[5] https://www.veritas-berlin.de/de/
[6] /Ausserirdische-Abzocke/!689673/
[7] /Der-Weltuntergang-der-Maya/!5076791
[8] https://staatsanwaltschaft-mannheim.justiz-bw.de/pb/,Lde/Anklage+gegen+52-j…
[9] https://www.xaviernaidoo.de/news/presseerklaerung-der-verteidigung-zur-pres…
[10] /Prepper-Szene-in-Deutschland/!5370717
## AUTOREN
Donata Künßberg
## TAGS
Xavier Naidoo
Verschwörungsideologie
Verschwörungsmythen und Corona
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Rechtsrock
Kolumne Red Flag
Xavier Naidoo
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