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# taz.de -- Nach Frankreichs Präsidentschaftswahl: Eine zerstrittene Familie
> Die Zeiten, in denen Rechte in Europa von Sieg zu Sieg eilten, scheinen
> vorerst vorbei. Die demokratischen Defizite aber bleiben.
Bild: Anhänger von Marine Le Pen singen nach der Stichwahl die Nationalhymne
Viele Stimmen waren es, sehr viele Stimmen: 42 Prozent gingen am
vergangenen Sonntag in Frankreich [1][bei der Stichwahl ums Präsidentenamt]
an die Rechtsextremistin Marine Le Pen.
Es gab eine Zeit, in der es so aussah, als laufe es in fast ganz Europa auf
ähnliche Verhältnisse hinaus. Ab etwa 2015 legten Parteien wie die AfD,
Vlaams Belang in Belgien oder EKRE in Estland EU-weit zu. In Großbritannien
trieb die Ukip den Brexit voran. In Österreich (FPÖ), Italien (Lega) oder
Dänemark (Dansk Folkeparti) regierten extrem Rechte mit.
Doch ihr Aufwind ließ nach. 2020 zeigte [2][das „Populismusbarometer“ von
Bertelsmann-Stiftung und Wissenschaftszentrum Berlin] eine „Trendwende im
Meinungsklima“: Immer weniger Menschen seien populistisch eingestellt, die
Rechten „in der Defensive“. Die Coronakrise habe dies nicht ausgelöst, aber
stabilisiert. Aus anderen Ländern war Ähnliches zu hören.
Wie sind nun die Wahlen in Frankreich und in Slowenien – wo der Populist
Janez Janša von einer gerade erst gegründeten grünliberalen Partei
[3][abgelöst wurde] – einzuordnen? Die demokratischen Systeme seien „in
keinem guten Zustand“, sagt Studienautor Robert Vehrkamp. Aber es gebe auch
angesichts der vielen Le-Pen-Stimmen „keinen Grund für
pauschal-apokalyptische Prognosen“. Demokratien könnten sich reformieren,
sagt Vehrkamp, „auch wenn ihnen das schwerfällt“.
## Wandel des Parteiensystems
In Frankreich ist von den einst tonangebenden Sozialisten und Konservativen
praktisch nichts übrig. Die Wahl gewann Emmanuel Macrons erst 2016
gegründeter Verein „En Marche!“. Es sei ein „Megatrend“, in fast allen
Demokratien, dass lebensweltliche und traditionelle Parteibindungen stark
abgenommen hätten, sagt Vehrkamp.
Grundsätzlich sei es nicht schlecht, dass Parteiensysteme sich auch radikal
wandeln könnten, wenn etablierte Parteien auf gesellschaftlichen Wandel
nicht reagieren. Auch Le Pens Erfolg sei nur so zu erklären, dass neue
Dimensionen für Wahlentscheidungen hinzugekommen seien – zur ökonomischen
etwa kulturalistisch-identitäre.
Le Pen habe so auch Wähler aus der Mittel- und Oberschicht gewinnen können,
die mit Macrons kosmopolitischer Linie nichts anfangen konnten. „Die
empfinden sich zwar nicht als sozial abgehängt, fühlen sich aber in ihren
national-konservativen Werten zunehmend marginalisiert.“ Diese
Verschiebungen im politischen System eröffneten Räume für neue Akteure. Und
sowohl Macron als auch Sloweniens Grün-Liberale hätten gezeigt, dass „es
kein Grundgesetz ist, dass diese neuen Spielräume nur von Populisten
betreten werden können“.
Problematischer sieht Vehrkamp das Mehrheitswahlrecht. Länder wie
Frankreich, Großbritannien, die USA und zum Teil auch Polen und Ungarn
zeigten eine starke Repräsentationsverzerrung in den Wahlergebnissen.
„Davon profitieren sehr häufig die Populisten.“ Das Wahlsystem allein sei
zwar nicht die Ursache für gesellschaftliche Spaltung. Doch die neuen,
vielfältigeren Konfliktlinien in vielen der entwickelten Demokratien
könnten durch ein Konsens- und Verhältniswahlsystem wie in Deutschland
offensichtlich „besser bearbeitet und moderiert werden“. Deshalb sei für
ihn „die Konsensdemokratie die zeitgemäßere Form der Demokratie“ und auch
ein mögliches Rezept gegen Populismus.
## Putin-Anhänger und Russlandgegner
Zurzeit stocken auch die Bemühungen um die Bildung einer paneuropäischen
Rechtsallianz. Die [4][von Le Pen mit aufgebaute „Identität und
Demokratie“-Parteienfamilie] im EU-Parlament entzweite sich schon vor
Beginn des Ukraine-Kriegs an der Russlandfrage. Gipfel im Dezember in
Warschau und Ende Januar in Madrid sollten einen Schulterschluss bringen.
Doch die Differenzen zwischen Putin-Anhängern – wie Orbán oder Le Pen – u…
Russlandgegnern – etwa Polens PiS – sind praktisch unüberbrückbar.
In Madrid gab es am Ende drei verschiedene Abschlusserklärungen. Der
spanische Gastgeber und Vox-Vorsitzende Santiago Abascal Conde wollte ein
Votum für europäische Solidarität und gegen Russland. In der Vox-Erklärung
war dann aber nur von „Bedrohung durch äußere Aggression“ die Rede.
Le Pens Erklärung sprach von „politisch motivierten Angriffen Brüssels
gegen Polen und Ungarn“, erwähnte aber Russland nicht. In der PiS-Erklärung
wurden „russische Militäraktionen“ kritisiert. Und Matteo Salvini aus
Italien war gar nicht erst erschienen – Vox hatte seine Sympathie für die
katalanische Unabhängigkeitsbewegung missfallen.
1 May 2022
## LINKS
[1] /Praesidentschaftswahl-in-Frankreich/!5850171
[2] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/einwur…
[3] /Wahlen-in-Slowenien/!5847036
[4] /Neue-rechte-EU-Fraktion-gebildet/!5600109
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Rechtspopulismus
Marine Le Pen
Europäische Union
Präsidentschaftswahl in Frankreich 2022
Janez Jansa
Slowenien
Schwerpunkt Emmanuel Macron
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