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# taz.de -- Lehrkräfte streiken für kleinere Klassen: Schlechtes Timing
> Die Gewerkschaft GEW will in Berlin kleinere Klassen tarifvertraglich
> regeln. Das Anliegen ist verständlich – und etwas naiv. Ein
> Wochenkommentar.
Bild: Kämpferisch: Die Berliner Lehrkräfte waren zum Warnstreik für kleinere…
Die Gewerkschaft der Berliner Lehrkräfte, die GEW, macht es sich gerade
wirklich nicht leicht: Von Unverständnis über Spott bis zu offener Empörung
reichte die Bandbreite der Reaktionen auf den [1][Warnstreik der
Gewerkschaft am Donnerstag], schließlich lag er mitten in der mündlichen
Abiturprüfungsphase. Rücksichtslos sei das, ein Streik auf dem Rücken der
ohnehin schon pandemiegebeutelten Jugendlichen, hieß es selbst von
gewerkschaftlichen Anliegen stets wohlgesonnen Bildungspolitiker*innen. Die
Vorsitzende der Vereinigung der Berliner Schulleiterinnen und Schulleiter
in der GEW trat gar aus Protest von ihrem Amt zurück.
Immerhin: Dank der Termindiskussion erreichte das Anliegen sogar die
Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Sie tat der Gewerkschaft
den Gefallen, über den eigentlich überschaubaren Warnstreik – lediglich
3.000 der rund 24.000 angestellten Lehrkräfte in Berlin beteiligten sich –
auch noch fünf Worte zu verlieren. Kleinere Klassen, sagte die Regierende,
seien ja ein verständliches Anliegen – aber doch nicht bei dem bekannten
Lehrkräftemangel. Und dann auch noch die vielen geflüchteten Kinder, die es
nun gelte, zu integrieren!
Das ließ die GEW mit ihrer [2][Forderung nach kleineren Klassen] – 19
Kinder maximal an Grundschulen statt der bisher erlaubten 26 – etwas blöd
da stehen: ein bisschen naiv wirkt die Gewerkschaft, ein bisschen
realitätsfern. Und auch ein bisschen selbstbezogen: Schließlich geht es in
dem Tarifvertrag Gesundheitsschutz, der erstritten werden soll, um
Kompensationen für die Kolleg*innen. Sprich: Sind die Klassen voller als 19
Schüler*innen, müssten die Lehrkräfte in diesen Klassen nach
GEW-Vorstellungen einen finanziellen Ausgleich bekommen.
Mehr Geld fordern, wo es doch jetzt darum gehen sollte, jeden verfügbaren
Stuhl im Zweifel mit einem geflüchteten Kind zu besetzen – da kann man in
der öffentlichen Wahrnehmung eigentlich nur verlieren. Statt die
öffentliche Bühne für eine inhaltliche Auseinandersetzung zu bekommen, muss
sich die Gewerkschaft jetzt rechtfertigen und sieht sich in die Ecke
gedrängt. Der Streik ist ganz einfach schlechtes Timing.
## Das Ziel bleibt utopisch
Um doch nochmal auf das inhaltliche Anliegen nach kleineren Klassen zu
schauen: Auch bei der Gewerkschaft weiß man natürlich, dass angesichts des
Personal- und Raummangels in Berlin kleinere Klassen auch auf
mittelfristige Sicht erst mal eine Utopie bleiben.
Die Zahl der Schulkinder wächst, [3][rund 15.000 geflüchtete Kinder] kommen
nach Schätzungen der Bildungsverwaltung durch den Krieg in der Ukraine noch
dazu. Und bis eine Schule neu gebaut ist, dauert es trotz der
Schulbauoffensive des Senats immer noch viel zu lange. Die Kapazitäten für
mehr Lehramtsstudienplätze werden dieses Jahr mit den Berliner
Universitäten erst neu verhandelt.
„Der Tarifvertrag soll in die Zukunft wirken und den Druck auf den
Arbeitgeber erhöhen“, versuchte der Berliner GEW-Vorsitzende Tom Erdmann
die Pessimist*innen zu kontern. Es geht also um ein tarifliches
Druckmittel, um die rot-grün-rote Koalition an ihr selbst gestelltes Ziel
des „nachhaltigen Personalaufwuchses“ in den Schulen zu gemahnen. Für den
wollen die Koalitionäre immerhin „alle Möglichkeiten ausschöpfen“.
Wenn die selbst gesteckten politischen Ziele quasi mit einer Vertragsstrafe
bewehrt sind – wird nicht in mehr Personal investiert, kostet das auch Geld
– sorgt das für die nötige Ernsthaftigkeit, den Lehrkräftemangel anzugehen.
Damit hat die GEW theoretisch Recht. Und genau deshalb wird ihr Ruf nach
kleineren Klassen bis auf weiteres Wunschdenken bleiben.
9 Apr 2022
## LINKS
[1] /Kaempferische-Lehrkraefte-in-Berlin/!5848200
[2] /Forderung-nach-kleineren-Schulklassen/!5777329
[3] /Willkommensklassen-fuer-Gefluechtete/!5843448
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Gewerkschaft GEW
Warnstreik
Lehrermangel
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Schulstreik
Berlin
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