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# taz.de -- Artenschutz in Krisenzeiten: „Kein Nice-to-have in guten Zeiten“
> Das Artensterben gefährdet unsere Ernährung, warnt der Chef der
> Weltnaturschutzunion. Regierungen müssen handeln.
Bild: Das Moor im Grumsiner Forst in Brandenburg verbindet Arten- mit Klimaschu…
taz: Herr Oberle, wichtige Vorverhandlungen für ein neues internationales
Artenschutzabkommen sind kürzlich ergebnislos geblieben. Haben wir noch
Aussicht auf ein richtig effektives, wirksames Artenschutzabkommen ab
nächstem Herbst?
Bruno Oberle: Sie sprechen von den Verhandlungen in Genf und in Nairobi in
den vergangenen Wochen. Das waren Diskussionen auf technischer Ebene, da
trafen sich Fachleute und Beamte mit engen Verhandlungsmandaten. Auf dem
Treffen der Mitgliedsstaaten [1][in Kunming im Herbst, der Conference of
the Parties (COP), kommen die Regierungen zusammen]. Da wird es einen
Durchbruch geben. Vor allem dann, wenn die chinesische Präsidentschaft
aktiver wird.
Beobachter berichten, dass China bislang kaum Interesse an einem starken
Abkommen zeigt.
Bislang ist die Präsidentschaft relativ zurückhaltend gewesen, das stimmt.
Ich nehme aber an, dass die Regierung eine profiliertere Rolle annehmen
wird, sie sind ja sehr erfahren in solchen Dingen.
Wie sollen angesichts des Ukrainekriegs China, Russland und der Rest der
Welt gemeinsam ein gutes Abkommen zum Artenschutz beschließen?
Das ist extrem schwierig zu sagen. Der Krieg hatte bereits begonnen, als
die Unea, die große UN-Umweltversammlung in Nairobi, zusammenkam. Diese
Versammlung war die erfolgreichste, die dieses Gremium je hatte. Offenbar
kann die Krise der internationalen Gemeinschaft auch den Effekt haben, dass
die Länder zusammenrücken. Nach dem Motto, es kann doch nicht sein, dass
wir in einen Zustand der gewalttätigen Konfliktlösung zurückfallen,
Verhandlungen müssen immer möglich sein. Es könnte sein, dass diese Haltung
sich auch in Kunming durchsetzt.
Um schnell unabhängig von Öl, Kohle und Gas aus Russland zu werden, werden
vor allem technische Lösungen diskutiert: mehr und schneller Windräder
bauen zum Beispiel. Kommt naturbasierter Klimaschutz, etwa die
Wiedervernässung von Mooren, unter die Räder?
Es ist eine mögliche Entwicklung, dass jetzt alle mehr auf Technik setzen.
Wir wissen, dass viele Länder eine größere Autonomie sowohl bei der
Energie- als auch bei der Nahrungsmittelproduktion anstreben. Sobald man
dies versucht, werden dafür alle Möglichkeiten und alle Ressourcen
mobilisiert. Das kann dann den Naturschutz zurückwerfen. Auf der anderen
Seite wissen wir, dass die Erhaltung der Biodiversität und der intakten
Ökosystemleistungen Voraussetzung für die langfristige Existenz unserer
Gesellschaft ist. Nahrungsmittelsicherheit kann kurzfristig angestrebt
werden, indem man Produktionsflächen ausdehnt. Langfristig benötigt man
dafür aber eine intakte Biodiversität. Kurzfristige Sicherheit gegen
langfristige Unsicherheit auszutauschen wäre nicht sinnvoll. Das ist auch
den Entscheidungsträgern bewusst.
Wirklich? Im Zuge des Ukrainekriegs [2][dreht die EU doch die Bemühungen
für eine ökologischere Landwirtschaft zurück]. Woher nehmen Sie Ihren
Optimismus?
Ich bin nicht optimistisch. Es ist eine Tragödie, dass wir durch diesen
Krieg in Europa auf ganz vielen Wegen zurückgeworfen werden. Aber
langfristig können wir nur auf einem intakten Planeten überleben. Ich
hoffe, die Erkenntnis setzt sich durch, dass es kein Entweder-Oder sein
muss. Es gibt viele Maßnahmen, mit denen die Gesellschaften ihre
Wirtschaften ankurbeln und die Biodiversität schützen können. Die EU hat ja
versucht, diese Philosophie umzusetzen. Sie hat etwa 2,2 Billionen Euro
ausgegeben, um die europäische Wirtschaft zu stützen. Aber nur ein
Bruchteil davon stand im Einklang mit dem Umweltschutz, und nur ein paar
wenige Prozent im Einklang mit dem Schutz von Artenvielfalt und natürlichen
Lebensräumen. Hier gibt es also sehr viel Luft nach oben, aber möglich ist
es.
Was kann die Bundesregierung hier im Rahmen ihres G7-Vorsitzes erreichen?
Sie hat hohe Ziele formuliert, den Schutz der Biodiversität, die
nachhaltige Nutzung von Ressourcen, die Transformation der Energiesysteme.
Ich gehe davon aus, dass diese Ziele nicht gestrichen werden. Sie wird nach
Möglichkeiten suchen, diese Ziele mit den derzeitigen Herausforderungen in
Einklang zu bringen. Es ist möglich, nachhaltige, erneuerbare Energien
durchzusetzen und gleichzeitig Energiesouveränität anzustreben. Ich hoffe,
dass Deutschland diese Themen hochhält.
Mal ehrlich, Krieg, Klimawandel, Pandemie – und jetzt noch die
Biodiversitätskrise?
Der Schutz der Biodiversität ist kein Nice-to-have in guten Zeiten. Er ist
eine Notwendigkeit für unsere Gesellschaften. Das gilt auch unter widrigen
Umständen, während einer Pandemie, während eines bewaffneten Konflikts.
Sonst sind unsere Gesellschaften in Gefahr. Diese Gefahr ist nicht
unmittelbar, aber ihre Kosten und Fakten sind bekannt. Zu sagen, dass wir
uns gerade nicht mit der Biodiversitätskrise befassen können, weil andere
Probleme wichtiger sind – das ist keine Option.
21 Apr 2022
## LINKS
[1] /Konferenz-zur-Biodiversitaet/!5822211
[2] /EU-stoppt-Plan-fuer-Pestizidreduktion/!5840315
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
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