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# taz.de -- Europäische Mittelmeermission: In unruhigen Gewässern
> Die Operation Irini hat nur symbolische Wirkung beim Kampf gegen
> Waffenschmuggel. Der Bundestag muss eine Neuausrichtung im Blick haben.
Bild: 28 Flüchtlinge aus Afrika und dem Maghreb werden von der NGO Open Arms g…
Seit Oktober war das Wetter im südlichen Mittelmeer oft so schlecht, dass
die Schiffe der [1][europäischen Mittelmeermission EUNAVFOR Med, genannt
Operation Irini], nicht eingesetzt werden konnten. Die Wirkung von Irini
bei der Unterbindung des Waffenschmuggels wurde so weiter eingeschränkt.
Mit dem Angriffskrieg Russlands und schwindender Kooperationsbereitschaft
Moskaus im UN-Sicherheitsrat stellen sich darüber hinaus neue
Herausforderungen für die Mission, deren Mandat im Juni im Sicherheitsrat
verlängert werden müsste.
Bereits im März letzten Jahres beschloss der Europäische Rat die
Verlängerung des europäischen maritimen Einsatzes bis Ende April 2023 –
auch mit der Zustimmung der damaligen Bundesregierung. Am Freitag diese
Woche wird der Deutsche Bundestag über den Antrag der Ampelkoalition
abstimmen, für Irini auch weiterhin deutsches militärisches Personal und
Material zur Verfügung zu stellen.
Mit einer Zustimmung ist fest zu rechnen. War die Verlängerung 2021 noch
ohne Veränderung des Mandats erfolgt, so begründet die jetzige Regierung
ihre Zustimmung auch damit, dass Deutschland sich nicht mehr an der
Ausbildung und Ausstattung der libyschen Küstenwache beteiligen soll und es
von Deutschland stattdessen auch ein klareres Bekenntnis für die
Seenotrettung durch die Mission gäbe.
Diese Begründung erweckt den Anschein einer Neuorientierung. Doch anders
als die [2][Vorgängermission Sophia] konnte Irini bisher nie – wie
eigentlich geplant – die libysche Küstenwache ausbilden, weil sich die
libysche Übergangsregierung standhaft geweigert hat, dieses
Ausbildungsangebot anzunehmen. In ihren Augen hatte die EU mit der
einseitigen maritimen Überwachung des Waffenembargos die Übergangsregierung
gegenüber anderen militärischen Akteuren, insbesondere des im Osten
herrschenden Generals Chalifa Haftar, in Libyen klar benachteiligt.
Abgesehen davon war die Ausbildungshilfe schon früher zu Recht
hochumstritten. Es gibt klare Erkenntnisse darüber, wie völkerrechtswidrig
die libysche Küstenwache mit Geflüchteten umgeht und teils selbst in den
gefürchteten Menschenhandel verwickelt ist. Auch das Bekenntnis zur
Seenotrettung bedeutet keine qualitative Veränderung – das internationale
Recht verlangt schon immer, dass Schiffe von Irini bei Seenot eingreifen.
## Waffenembargo funktioniert nicht
Doch um die Seenotrettung durch Irini einzuschränken, hatten sich einige
Mitgliedsstaaten vor dem Start des Einsatzes 2020 etwas ganz Besonderes
überlegt. Alle vier Monate muss Irini durch das Politische und
Sicherheitspolitische Komitee (PSK) des Rates der EU einstimmig neu
bestätigt werden, andernfalls wäre die Operation umgehend beendet. Grund
für diesen Mechanismus sind die Bedenken einiger rechtskonservativer
Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten mit Hinblick auf potentielle Migration
nach Europa.
Sollte Irini nach Ansicht dieser Staaten zu viele Menschen retten, könnten
sie der Mission ein Ende machen. Auch beim Kernmandat, der Abschreckung von
Waffenschmuggel auf hoher See, war eine effektive Mandatsumsetzung kaum
möglich, da die EU sogenannte [3][Opposed Boardings] – das Anbordgehen
gegen den Widerstand des Flaggenstaates des zu inspizierenden Schiffs –
ablehnt.
Das Expertenpanel des UN-Sanktionskomitees für Libyen kam daher bereits im
letzten Jahr zu der Schlussfolgerung: “Das Waffenembargo bleibt völlig
unwirksam. Bei den Mitgliedstaaten, die die Konfliktparteien direkt
unterstützen, sind die Verstöße umfangreich, eklatant und unter völliger
Missachtung der Sanktionsmaßnahmen“. Damals empfahl das Panel, dass der
UN-Sicherheitsrat Mitgliedsstaaten ausdrücklich dazu autorisiert, Schiffe
auch gegen den Willen des Flaggenstaats zu inspizieren.
Innerhalb der ersten 12 Monate der Operation hat Irini nur acht
Durchsuchungen an Bord verdächtiger Schiffe vorgenommen. Bis März 2022
waren es laut ihrer Website 22. Schaut man sich das Ausmaß des Schmuggels
an, die das UN-Expertenpanel dokumentiert, muss man von einer rein
symbolischen Wirkung der Mission auf den Waffenschmuggel ausgehen. Außerdem
kam die größte Anzahl an Waffen laut Sanktionskomitee ohnehin über Land und
per Flugzeug nach Libyen.
## Neues Konzept für Seenotrettung notwendig
Darüber hinaus stellt sich überhaupt die Frage nach der Zukunft der
Operation, wenn Anfang Juni im UN-Sicherheitsrat über die Autorisierung von
Irini diskutiert wird. Dabei geht es um die rechtliche Grundlage für die
erwähnten Durchsuchungen durch die Mission. Ein russisches Veto scheint
möglich, und so könnte die Hauptmandatsaufgabe von Operation Irini
entfallen. Dann stellt sich auch umgehend die Frage nach dem Verbleib
deutscher Soldat:innen.
Deren Einsatz hängt nämlich unmittelbar an der Mandatierung durch den
Sicherheitsrat. Auch bei der anderen (zivilen) EU-Mission EUBAM Libya
bestehen Zweifel an ihrer Wirksamkeit – vor allem aufgrund ihres Fokusses
auf der Unterstützung libyscher Partner für Grenz- und Migrationsmanagement
in der jetzigen instabilen Lage in Libyen. Denn die eskaliert: Seit Januar
stehen sich erneut zwei Premierminister von verfeindeten Blöcken gegenüber,
und die russische Söldnergruppe Wagner zeigt im Osten größere Präsenz.
Sollte die Bundesregierung nicht jetzt die Weichen stellen für ein anderes
Engagement in und für Libyen? Vielleicht eine neue, integrierte EU-Mission
für die Stabilisierung, den Friedensprozess und den Wiederaufbau? Braucht
die EU überhaupt noch eine fortgesetzte maritime Präsenz wie Irini vor
Libyen? Für die Seenotrettung nicht.
Nur ein neues Gesamtkonzept der EU für die Seenotrettung könnte helfen, um
das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Ende April 2022 gelten für dieses
Jahr bereits mehr als 500 Geflüchtete laut UN als gestorben oder vermisst.
Die frühere italienische Seenotrettungsmission Mare Nostrum wäre für die
Seenotrettung ein besseres Vorbild.
29 Apr 2022
## LINKS
[1] /Konflikt-in-Libyen/!5692219
[2] /Fluechtlingsrettung-im-Mittelmeer/!5659313
[3] https://www.bundeswehr.de/de/einsaetze-bundeswehr/mittelmeer-unifil-irini-s…
## AUTOREN
Tobias Pietz
## TAGS
EU-Mission Irini
Friedensmission
Schmuggel
Libyen
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Schwerpunkt UN-Migrationspakt
Abschiebung
Schwerpunkt Libyenkrieg
Flucht
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