# taz.de -- Artensterben auf Hamburger Elbinsel: Frösche auf dem Trockenen | |
> Die Froschpopulation auf Feuchtwiesen in Hamburg-Wilhelmsburg ist | |
> eingebrochen. Pflanzenschutzmittel und Trockenheit werden als Ursachen | |
> vermutet. | |
Bild: Zeigen, wie es der Umwelt geht: zwei Grasfrösche auf der Hand eines BUND… | |
Hamburg taz | Naturschutzorganisationen in Hamburg haben auf den | |
dramatischen Rückgang einer Amphibienpopulation auf Hamburgs Elbinsel | |
Wilhelmsburg aufmerksam gemacht. Auf den Stiftungsflächen für Naturschutz | |
gehe der Bestand seit 2015 Jahr für Jahr zurück, teilte der Umweltverband | |
BUND mit. | |
Noch vor 20 Jahren sei der Deich in diesem Gebiet kaum befahrbar gewesen, | |
ohne vorher die wandernden Frösche beiseite zu räumen. „Heute ist zur | |
Laichzeit kaum noch ein Frosch, eine Kröte oder ein Molch dort unterwegs“, | |
stellen die Naturschützer fest. Für ganz Wilhelmsburg sei bei den | |
Kartierungen 2003 und 2012 „ein auffallend negativer Trend für alle | |
Amphibien“ deutlich geworden, bestätigt die Hamburger Umweltbehörde. | |
Das Verschwinden der Amphibien ist zum einen von Belang, weil es sich um | |
besonders empfindliche Spezies handelt. Was sich bei den Amphibien | |
abspielt, kann als Frühwarnsignal für das ganze Ökosystem gelten. Zum | |
anderen sind sie ein wichtiges Glied in der Nahrungskette. „Wenn das so | |
weitergeht, wird auch das einzige Storchenpaar auf Wilhelmsburg bald keine | |
Nahrung mehr finden“, sorgt sich die BUND-Landesvorsitzende Christiane | |
Blömeke. | |
Der [1][Wilhelmsburger Osten ist zwar eingeklemmt zwischen den zwei | |
Autobahnen], der Elbe und einer Hochhaussiedlung, steht aber für eine | |
Landschaft, wie sie in weiten Teilen Norddeutschlands anzutreffen ist: von | |
großen und kleinen Gräben durchzogene Nass- und Feuchtwiesen, die meist | |
extensiv bewirtschaftet werden und nicht nur Amphibien, sondern auch Vögeln | |
und Fischen einen Lebensraum bieten. Allein 55 gefährdete Pflanzenarten hat | |
der BUND hier gezählt. | |
## Gefahr des Artensterbens | |
Gisela Betram von der Stiftung [2][Ausgleich] [3][Altenwerder] findet es | |
besonders bedenklich, dass die Tiere nicht nur auf den Feldern | |
verschwinden, sondern auch auf Flächen, die dem Naturschutz gewidmet sind, | |
und Pflanzen und Tieren beste Lebensbedingungen bieten sollten. „Das ist | |
die zweite Welle des Artensterbens“, sagt Bertram. | |
Einen Grund für das Verschwinden der Amphibien sieht Axel Jahn von der | |
[4][Loki-Schmidt-Stiftung zum Schutz gefährdeter Pflanzen] darin, dass in | |
den vergangenen Jahren zunehmend Herbizide versprüht worden seien. „Der | |
Maisanbau hat auf Wilhelmsburg in den letzten Jahren deutlich zugenommen | |
und mit ihm der Einsatz des Wirkstoffes Glyphosat, der leider auch in die | |
Gewässer gelangt“, kritisiert Jahn. Einmal in einen Graben gelangt, breite | |
sich das Glyphosat im gesamten Wasserkörper aus, werde von Organismen | |
aufgenommen und gelange so in die Nahrungskette – vom Insekt über den | |
Frosch bis zum Storch. | |
Glyphosat ist höchst umstritten, weil es sämtliche unerwünschten Pflanzen | |
abräumt und überdies im Verdacht steht, krebserzeugend zu sein. Der | |
Bayer-Konzern ficht deshalb teure Rechtsstreitigkeiten in den USA aus. Die | |
[5][Bundesregierung hat erklärt, sie strebe an, Glyphosat bis Ende 2023 vom | |
Markt] zu nehmen. | |
Selbst wenn das Glyphosat verschwinde, blieben reichlich andere Herbizide | |
übrig, sagt Bertram. Jahn verweist auf Studien, die an Insekten gleich | |
mehrere verschiedene Spritzmittel fanden. Er fordert deshalb „gesetzlich | |
geregelte Abstände, innerhalb derer keine Spritzmittel eingesetzt werden | |
dürfen“. | |
Gesa Kohnke-Bruns von der Landwirtschaftskammer wundert das. „Es gibt für | |
jedes Spritzmittel eine Abstandsregelung“, sagt sie. Diese werde mit der | |
Zulassung eines Pflanzenschutzmittels getroffen. Generell ist laut | |
Umweltbehörde ein Abstand von fünf bis zehn Metern vorgeschrieben. | |
Kohnke-Bruns erinnert daran, dass Landwirte alle drei Jahre ihre Sachkunde | |
im Pflanzenschutz nachweisen müssten. Moderne Spritzmaschinen ließen sich | |
zudem sehr fein steuern. Sie vermutet, dass es eher die trockenen Sommer | |
der vergangenen Jahre waren, die den Amphibien geschadet haben. | |
Die Trockenheit halten auch die Naturschützer für eine mögliche Ursache. In | |
den Sommern 2018 bis 2020 hätten die Wettern und Gräben deutlich weniger | |
Wasser geführt, sagt Gisela Betram von der Stiftung Ausgleich Altenwerder. | |
Dabei sei in der Elbmarsch auch in trockenen Sommern sonst reichlich Wasser | |
vorhanden, und die Wasserstände könnten technisch höher eingestellt werden. | |
„Wir haben das Wasser, wir müssen uns nur darauf einigen, dass wir im | |
System mehr vorhalten“, sagt sie. | |
## Trockengefallene Gräben | |
Tatsächlich war die Höhe der Wasserstände im Grabensystem jahrelang | |
Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Naturschützern und den | |
Wasserverbänden, die das System im öffentlichen Auftrag regulieren und | |
instand halten. In jüngster Zeit war es darum ruhig geworden. | |
Laut der Kartierung von 2012 hätten vor allem trocken gefallene Gräben zu | |
einer Reduzierung der Amphibien-Populationen geführt, bestätigt die | |
Umweltbehörde. Mittlerweile seien aber sehr viele Gräben und einige | |
Flachwasserzonen wiederhergestellt worden. | |
„Vielleicht waren die Wasserstände eine Zeitlang okay“, sagt Bertram. „A… | |
der Klimawandel mischt die Karten neu.“ Bei der nächsten | |
Verbandsversammlung werde sie dazu das Gespräch suchen. | |
28 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Umweltschuetzer-gegen-Gewerbegebiet/!5313564 | |
[2] /Handel-mit-Ausgleichsflaechen/!5046335 | |
[3] /Kirche-ohne-Dorf/!5526939 | |
[4] https://loki-schmidt-stiftung.de/ | |
[5] https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-883606 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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