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# taz.de -- Erster American Song Contest: Viel Kitsch, kaum Charakter
> Aktuell läuft erstmalig der American Song Contest. Der Sendung fehlt
> jedoch noch der kalkulierte Wahnsinn seines europäischen Gegenstücks.
Bild: Nicht Schuld am mäßigen Erfolg der Show: Moderator:innen Kelly Clarkson…
New York taz | Wer in New York in den vergangenen Wochen Subway gefahren
ist, konnte an [1][Snoop Dogg] und Kelly Clarkson eigentlich nicht
vorbeikommen. Der Rapper und die Sängerin strahlten als Starmoderationsteam
für den American Song Contest von Werbetafeln an etlichen Haltestellen.
Auch während der [2][Halbzeitshow des Superbowls] hatte der TV-Sender NBC
eine Reklame geschaltet für die Sendung, die als US-amerikanischer
Eurovision-Song-Contest-Ableger erfolgreich sein soll.
Nach den ersten drei Vorrunden des bis zum 9. Mai laufenden Spektakels
bestätigt sich jedoch: Die Kopie ist leider nur ein Abklatsch. Dabei liegt
es wahrlich nicht am Talent der Musiker:innen – es ist nur nicht zu
erkennen, was den American Song Contest vom Reigen der anderen Castingshows
im US-Fernsehen unterscheidet. In Europa sorgt schon die sonst unübliche
länderübergreifende Abstimmungsweise für Abgrenzung. Doch ist es vor allem
[3][die Exzentrik des Wettbewerbs, das Schrille], das in jedem Text über
den ESC auch das Wort Kult auftauchen lässt.
Diese oft mit dem englischen Wort camp beschriebene überbordende Schrägheit
der oft bizarren Darbietungen lässt das Publikum wahlweise begeistert oder
ratlos zurück – das gehört zum ESC-Pläsier dazu. Deswegen stand von Anfang
an beim American Song Contest die Frage im Raum: Wie schräg darf es für die
Vereinigten Staaten denn sein?
Insgesamt treten die 50 Bundesstaaten an, außerdem fünf Außengebiete und
der District of Columbia mit der Hauptstadt Washington. Bis zur dritten
Vorrunde war zumindest ein Song auf dem Eurovision-Albernheitslevel,
nämlich der des Cowboyrappers Ryan Charles aus Wyoming: Sein Sprechgesang
in „New Boot Goofin’ “ im Westernoutfit vor neonleuchtender
Schuhladenkulisse handelt von einem Paar neuer Stiefel aus dem Leder der
Texas-Klapperschlange – „so verdammt frisch, dass die Rassel noch
klappert“. Lustig, ein bisschen bescheuert, nix für Tierrechtler:innen,
aber sonst ein gänzlich harmloses Liedchen, bei dem unflätige Ausdrücke
natürlich wie üblich nicht zur Gänze mitgesungen werden („sons of …“).
## Aufgeräumte Heiterkeit
Ein bisschen an die aufgeräumte Heiterkeit von Kinderfernsehen erinnerte
auch das Duo Courtship, das den Bundesstaat Oregon im Nordwesten der USA
vertritt. Zu ihrem Song „Million Dollar Smoothies“ wirbeln Tänzerinnen als
grüne Smoothies verkleidet im To-go-Plastikbecher über die Bühne.
In ihrem Vorstellungseinspieler witzelten die beiden Jungs aus Oregon noch
über den Hipsterruf, den vor allem die Stadt Portland in ihrem Bundesstaat
genießt. Überhaupt wurde in den Einspielern, die wie beim ESC vor den
Auftritten der Künstler:innen gezeigt werden, nicht mit Klischees
gespart – sondern mit ihnen gespielt und kokettiert. Die Gruppe Yam spielt
in ihrem Video Eishockey auf einem der Tausenden Seen in Minnesota und
entschuldigt sich am Ende – eine Anspielung auf die Höflichkeit, die den
Menschen aus dem Mittleren Westen nachgesagt wird. Sängerin Nitro Nitra aus
Delaware erklärt, dass ihr Bundesstaat als erster die Verfassung
ratifiziert habe – und die Heimat des mehrwertsteuerfreien Shoppings sei.
## Feuerwerksfontänenkitsch
Und in der Vorstellungsrunde des „The Voice“-Gewinners Jordan Smith aus
Kentucky im Bible Belt geht es neben dem Kentucky Derby um die Rolle der
Kirche und des Glaubens. Der, sagt er, spiele eine Rolle in seiner Ballade
„Sparrow“ – tatsächlich mal ein Ohrwurm, den Smith auf einer
vergleichsweise schlicht gehaltenen Bühne sang. Schlicht zumindest im
Vergleich mit den Standards des American Song Contests – denn auch Smith
kam nicht ohne ein Finale mit weiß gewandetem Chor und aufschießendem
Feuerwerksfontänenkitsch aus.
Auch andere Sänger:innen, etwa der bärtige Rocker King Kyote aus Maine,
verzichteten auf den ganz großen Bühnenhokuspokus. Der Jury des American
Song Contests hatte er gefallen – doch die Publikumsstimmen fehlten ihm
letztlich. Die Zuschauer:innen können nämlich jeweils noch ein paar Tage
nach der Ausstrahlung per NBC-App, auf der Website oder per Tiktok
abstimmen. So beginnen die neuen Folgen jeweils mit der Nachricht, welche
Acts aus der vergangenen Woche es in die kommende Runde geschafft haben.
## Ein Superstar rausgeschmissen
So bestimmt wie beim europäischen Vorbild eine Kombination aus Jury- und
Publikumsstimmen, wer weiterkommt. Ein Superstar wurde kürzlich
rausgeschmissen: die Sängerin und Grammy-Gewinnerin [4][Macy Gray], die vor
allem mit ihrem Hit „I Try“ auch in Europa massiv erfolgreich war, trat für
ihren Heimatstaat Ohio an. Es wirkte komischerweise aber nicht so, als
spiele sie die Hauptrolle in ihrem eigenen Gutelaunelied – zwischen einem
großen Chor und einem ungenannten Rapper war doch ziemlich wenig Macy Gray.
Während ebenjener Rapper mit einem Gefolge einzog und den Song startete,
dauerte es fast 20 Sekunden, bis Gray überhaupt im Bild zu sehen war.
Unter den anderen großen Namen wäre zum einen die Sängerin Jewel zu nennen,
deren Beitrag für Alaska klingt, als habe sie sich ein Beispiel an den
ESC-Gewinnern Abba genommen; zum anderen der 69-jährige Superstar Michael
Bolton aus Connecticut, dessen erste Schritte auf der massiven Bühne so
verloren aussahen, als wollte er eigentlich lieber wieder ganz umdrehen.
Bis er dann loslegte und seine Stimme alles einnahm. Sein Song „Beautiful
World“ gelangte jedenfalls in die nächste Runde – eine Nachricht, die
Bolton fast starr aufnahm, starr wie ein Reh im Scheinwerferlicht, neben
den jubelnden Jungstars.
## Käseeckenhüte aus Wisconsin
Vielleicht hatte der wackelig erscheinende Bolton aber auch einfach nur das
Pech, kurz nach der energiereichen Choreografie der K-Pop-Sängerin AleXa
auf die Bühne zu tapern. Für Oklahoma war die Amerikanerin gekommen, die
mittlerweile in Südkorea lebt. Zum Ende ihrer durchtanzten zwei Minuten und
45 Sekunden fand AleXa einen spektakulären Schluss, indem sie sich aus der
Höhe einer Treppe von der Bühne nach hinten ins scheinbare Nichts fallen
ließ.
An der Moderation liegt es jedenfalls nicht, dass der American Song Contest
einen nur sehr bedingt in den Bann zieht. Clarkson und Snoop Dogg sind ein
wirklich gutes Team, das wacker jeden musikalischen Beitrag komplimentiert,
freundlichst regionale Geschenke wie Muschelketten von den Nördlichen
Marianen entgegen nimmt und sich zur Unterhaltung Käseeckenhüte aus
Wisconsin aufsetzt.
## Wenige schauen zu
Clarkson, die von einer „American Idol“-Siegerin zur mehrfachen
Grammy-Preisträgerin aufstieg, scheinen Snoop Doggs Witze sogar oft
wirklich zu belustigen. Den Rapper, der in jeder Folge eine neue Variante
seiner üblichen Hausanzüge trägt, lässt man seine Zwinkerwitzchen machen.
Über den Pionier der Cannabislegalisierung in Colorado sagt er zum
Beispiel, es sei „ein snoop-freundlicher Staat – if you know what I mean“.
Clarkson hatte vor Beginn der Ausstrahlungen in einem Pressegespräch
gesagt, man brauche in diesen düsteren Zeiten Aufmunterung: „Wir sind in
diesem Land schon seit einiger Zeit ziemlich zerstritten, aber wir sind uns
alle ähnlicher, als wir denken.“ Damit das mit dem Aufmuntern klappt,
müsste das Land allerdings erst einmal zugucken. Zur Sendezeit am Montag
schauten sich nämlich letztens deutlich mehr Menschen lieber die
Castingshow „American Idol“ an, die zur gleichen Zeit auf dem Sender ABC
läuft.
9 Apr 2022
## LINKS
[1] /Snoop-Dogg-in-Berlin/!5116438
[2] /Super-Bowl-in-den-USA/!5831909
[3] /Eurovision-Song-Contest/!5774002
[4] /Synchrones-Stoehnen/!769213/
## AUTOREN
Eva Oer
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