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# taz.de -- Betroffene gegen Racial Profiling: Gegenkontrolle
> Während die Polizei noch diskutiert, ob Racial Profiling existiert,
> entwickeln Betroffene Strategien dagegen. Auf der Straße und in
> Parlamenten.
Tareq Alaows ist nicht überrascht, als zwei Polizisten auf ihn zukommen. Es
passiert nicht zum ersten Mal. Es ist Mitte Dezember vergangenen Jahres in
Berlin. Alaows ist gerade aus dem Bus gestiegen und auf dem Weg zur S-Bahn.
Wenn er heute vor dem Bahnhof Friedrichstraße steht und darüber spricht,
erinnert er sich genau an die Details. „Hier war es“, sagt er und geht in
die Eingangshalle des Bahnhofsgebäudes.
An dem Tag Ende 2021 fragen die Polizisten nach seinem Ausweis, dann wollen
sie seinen Rucksack und seine Kleidung durchsuchen. Sie sagen, dass sie bei
solchen Kontrollen nach Messern und Waffen suchen. Keiner der weißen
Menschen um ihn herum wird angehalten. Alaows ist Jurist, aktiv bei den
Grünen, er kennt seine Rechte. Er zeigt ihnen seinen Rucksack nicht. Warum
er diesmal kontrolliert werde, fragt er. Bei ihm sei eine Gefährdung nicht
auszuschließen, antwortet ein Polizist, so erinnert Alaows sich.
## „Was ist falsch an meinem Aussehen?“
„Was ist falsch an meinem Aussehen, dass von mir keine Gefährdung
ausgeschlossen werden kann?“ fragt Alaows. Er hat die Frage schon [1][auf
Twitter gestellt], einige Tage nach der Kontrolle, mit „Hallo
@polizeiberlin“. Und er stellt sie wieder, jetzt, wo er in der Halle des
S-Bahnhofs steht. Alaows trägt einen grauen Wintermantel aus feiner Wolle,
seine Haare hat er auf dem Kopf zum Dutt zusammengebunden, an den Seiten
seiner FFP2-Maske schaut ein schwarzer Vollbart hervor. „Was ist falsch an
meinem Aussehen?“
Racial Profiling bezeichnet diskriminierende Kontrollpraktiken der Polizei
und anderer Behörden. Also Kontrollen, Überwachung oder Ermittlungen anhand
der Hautfarbe oder der von den Polizist:innen angenommenen ethnischen
oder religiösen Zugehörigkeit. Das kann beim Screening am Flughafen, bei
der Verkehrskontrolle oder auf der Suche nach Drogendealern im Park
passieren.
Das Profiling ist eigentlich eine komplexe Methode in der Kriminologie:
Aufgrund bekannter Umstände bei Straftaten oder Verbrechen werden
Rückschlüsse auf das Persönlichkeitsprofil unbekannter Täter*innen
gezogen, um die Suche eingrenzen zu können. Beim Racial Profiling wird die
komplexe Analyse durch Stereotype ersetzt, rassistische Polizeikontrollen
sind ein Ergebnis davon.
Aber auch wenn – wie im Falle der NSU-Morde – aufgrund rassistischer
Vorurteile jahrelang in die falsche Richtung ermittelt wird, kann das als
Racial Profiling bezeichnet werden. „Ohne ethnisierende Vorstellungen von
organisierter Kriminalität, ohne entsprechend stigmatisierende Zuweisungen
an Migrant*innen-Communitys, ohne das Vorhandensein von institutionellem
Rassismus und ohne das Zutun staatlicher Organe wie dem Verfassungsschutz
hätten die jahrelangen Morde des NSU-Netzwerkes kaum jahrelang unentdeckt
bleiben können,“ schreiben Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen
in Deutschland und Biplab Basu vom Verein Reach Out im Vorwort zum Buch
“Racial Profiling. Erfahrung. Wirkung. Widerstand.“
In großen Teilen der Polizei wird weiterhin bestritten, dass es ein Problem
gibt. Auch deshalb gibt es kaum verlässliche Zahlen zum Ausmaß von Racial
Profiling. Als die Debatte um eine Studie zu Rassismus in der Polizei im
Spätsommer 2020 aufkam, wehrte sich der damalige Innenminister Horst
Seehofer (CDU) mit der Begründung, Rassismus sei eben ein
gesamtgesellschaftliches Problem. Die neue Bundesinnenministerin Nancy
Faser (SPD) hat zwar im Januar dieses Jahres angekündigt, sich dem Thema
anzunehmen, doch im Koalitionsvertrag der neuen Regierung kommt Racial
Profiling nicht vor. Betroffene sind skeptisch, dass sich tatsächlich etwas
ändert. Viele wollen nicht mehr auf die Politik warten und entwickeln schon
lange ihren eigenen Widerstand.
So wie Tareq Alaows, der im Dezember im Berliner Bahnhof Friedrichstraße
kontrolliert wird. Er ist überzeugt, dass er aufgrund von Racial Profiling
kontrolliert wurde und das somit rechtswidrig war. Das möchte er nun vor
Gericht beweisen.
Oft sind es die Betroffenen selbst, die sich organisieren und Strategien im
Umgang mit dem Problem entwickeln. Egal ob auf der Straße, wo
Aktivist*innen versuchen, mit Plakaten oder Infoständen auf
rassistische Kontrollen aufmerksam zu machen, oder im Parlament, wo erste
Abgeordnete die Sicherheit in Städten neu denken möchten und dort den Abbau
der Polizei fordern. Wir haben Menschen aus Initiativen, Bewegungen und
Parteien getroffen auf der Suche nach ihren unterschiedlichen Strategien
gegen das gemeinsame Problem.
## Klage einreichen
Der 32-jährige Tareq Alaows ist vor sieben Jahren aus Syrien nach Berlin
geflohen, er hat schnell Deutsch gelernt. Hier in Berlin wird er immer
wieder kontrolliert, oft fragen Polizist:innen nach dem Kaufvertrag für
sein Fahrrad. Man ginge bei einem Migranten wie ihm einfach nicht davon
aus, dass er sich ein teures Fahrrad leisten könne, sagt Alaows. „Diese
Kontrollen sind keine Einzelfälle und passieren nicht nur mir.“ Als Jurist
hat er jahrelang Rechtsberatung für andere Migrant*innen gegeben. Alaows
sagt, die Polizei unterstelle, er hätte sein Fahrrad geklaut oder würde
Waffen bei sich tragen, so wie bei der Kontrolle Ende 2021.
Tareq Alaows hat sich nach dem Vorfall an die Beratungsinitiative Reach Out
gewandt. Er möchte Klage einreichen. Die Initiative bietet Beratung für
Opfer von rassistischer, antiziganistischer, antisemitischer und rechter
Gewalt an. Sie wird die Anwaltskosten übernehmen. Im Moment bereiten sie
gemeinsam mit Anwält*innen die Klage vor.
Vor Gericht Recht zu bekommen ist nicht ganz einfach: Zunächst prüft das
Gericht, ob eine Kontrolle überhaupt aufgrund der “Hautfarbe“ stattgefunden
hat. Racial Profiling verstößt gegen das Diskriminierungsverbot und ist ein
Bruch von Artikel 3 des Grundgesetzes. Niemand darf nur aufgrund
rassistischer Kriterien kontrolliert werden. Doch die tatsächliche
Motivation des*r einzelnen Polizist*in bleibt oft im Unklaren.
Problematisch sind insbesondere Orte, an denen die Polizei [2][anlasslose
Kontrollen durchführen darf]. Die Möglichkeit, solche „gefährlichen Orte“
festzulegen, besteht in vielen Polizeigesetzen der Länder. Wenn das wie am
Bahnhof Friedrichstraße in Berlin nicht der Fall ist, beruft sich die
Polizei oft auf sogenanntes „Polizeiliches Erfahrungswissen“. Das hieße
dann beispielsweise, dass sie behauptet, dass eine bestimmte Straftat –
etwa Fahrraddiebstahl oder das Tragen von illegalen Waffen – an einem
bestimmten Ort häufig einer bestimmten Personengruppe zuzuordnen sei. Das
Gericht prüft dann, ob die Ungleichbehandlung gerechtfertigt war.
Ein weiteres Problem bei Klagen ist, dass betroffene Personen oft alleine
einer Vielzahl von Polizist*innen gegenüberstehen, die ihre Aussagen
möglicherweise absprechen und andere Gründe für die Kontrolle vorschieben,
häufig fehlen unabhängige Zeug*innen. Auch aus Angst vor einer Gegenanzeige
sehen Betroffene häufig von einer Anzeige ab. Hier könnte das neue Berliner
Antidiskriminierungsgesetz helfen. Dieses Gesetz sieht eine
Beweislastumkehr vor, wenn eine betroffene Person eine Ungleichbehandlung
überwiegend glaubhaft machen kann. Dann muss die Behörde beweisen, dass sie
nicht diskriminierend gehandelt hat. Ein entsprechendes Urteil gibt es
bisher noch nicht. Tareq Alaows will das ändern.
Dass Verurteilungen von rassistischen Polizeikontrollen grundsätzlich
möglich sind, zeigt etwa das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom
Februar 2022. Ein Schwarzer Mann hatte bei einer Kontrolle am Bahnhof die
Herausgabe seiner Papiere verweigert, zu Recht, befand das Gericht: Er sei
durch Racial Profiling in seinen Grundrechten verletzt worden.
Die Berater*innen von Reach Out sehen eine Chance, dass Tareq Alaows
gewinnen kann. Was Hoffnung macht: Es gibt eine Augenzeugin, die bereit
ist, auszusagen.
## Vorfälle dokumentieren
Es ist der 11. November 2021, und Biplab Basu steht im Regen. Basu ist
aktiv bei Reach Out und der Kampagne für Opfer von rassistischer
Polizeigewalt – kurz KOP. An diesem Tag startet er eine neue Kampagne.
Gemeinsam mit einer Handvoll Aktivist*innen steht er an einer großen
Straße in Berlin, es regnet in Strömen. Eine Pappmaché-Kamera auf zwei
Beinen läuft umher. Unter der Regenjacke und Maske erkennt man ihn kaum,
umso deutlicher ist zu verstehen, was Basu ins Mikro spricht: “Go, film the
police“. Das Ziel der Kampagne mit diesem Titel ist, eine Debatte zu
rassistischen Polizeieinsätzen zu entfachen, indem mehr Zeug*innen mit
ihren Handys Kontrollen dokumentieren.
Es braucht Videos, die belegen, dass es Racial Profiling gibt. Film für
Film, Post für Post. Biplab Basu und die Initiative KOP haben die Erfahrung
gemacht, dass sie Racial Profiling beweisen, belegen, dokumentieren müssen,
um dagegen zu kämpfen. Sie führen Chroniken, zählen die Fälle, mit dem
Ziel, dass niemand mehr behaupten kann, es gäbe kein Muster hinter diesen
Zahlen.
Ursprünglich war die Initiative aus der Beratungsarbeit von Reach Out
entstanden. Basu und das Team hatten festgestellt, dass die herkömmlichen
Unterstützungsmöglichkeiten für Opfer im Fall von rassistisch motivierter
Polizeigewalt nicht ausreichen. Institutionelle Einrichtungen unterstützen
in diesen Fällen aufgrund der Tatsache, dass die Polizei die Opfer oft als
Täter*innen darstellt, wenig. Das bedeutet, dass sich die Betroffenen
zusätzlich zum Erlebten teilweise auch gegen eine Anklage durch die Polizei
wehren müssen.
Zum Tag gegen Polizeigewalt am 15. März hat die Initiative KOP ihre Chronik
vorgestellt. Sie dokumentiert rassistische Vorfälle von 2000 bis 2021, in
die Polizeibeamt*innen verwickelt waren. Die Fälle basieren
vorwiegend auf Berichten von Betroffenen und Zeug*innen. Die Chroniken
sollen helfen, eine Gegenerzählung aufzubauen. Berichte wie dieser vom 20.
Juni 2021: „Am Oranienplatz in Kreuzberg parkt ein Polizeifahrzeug. Eine
Zeugin hört jemanden schreien: „Hört auf mit Rassismus“. Sie bleibt vor d…
Mannschaftswagen stehen und sieht, wie drei Polizist*innen eine Person
of Colour auf den Boden pressen.“
Die Kampagne „Go! Film the police“ hat Vorbilder, vor allem in den USA.
Dort sorgten vor allem Filmaufnahmen von rassistischer Polizeigewalt für
breite gesellschaftliche Empörung und eine stärkere Auseinandersetzung mit
dem Thema, wie etwa 1991 gegenüber Rodney King oder zuletzt 2020 beim Tod
von George Floyd, der die [3][internationalen „Black lives Matter“-Proteste
auslöste].
Racial Profiling als Begriff wurde erst Mitte der 1990er Jahre aus den USA
importiert, das Phänomen ist aber kein neues. Biplab Basu war Anfang der
Neunziger Jahre Teil einer Gruppe von Unterstützenden, die für die
Aufklärung des Mordes an [4][Amadeu Antonio] arbeiteten. Antonio, ein
junger Mann, Vertragsarbeiter aus Angola in Ostdeutschland, wurde 1990 in
einem Nachtclub von einem Mob angegriffen und zu Tode geprügelt. In dieser
Nacht waren auch drei Polizisten in Zivil dabei. Als sie vor Gericht nach
dem Grund gefragt wurden, warum sie nicht eingeschritten seien, warum sie
den Prügelnden nicht gestoppt hätten, sagte einer von ihnen, er hätte „sein
Leben für diesen N****“ nicht riskieren wollen.
Zusammen mit der Schwarzen Community und der Initiative Schwarze Menschen
in Deutschland (ISD) setzte sich Basu dafür ein, dass der Fall
Aufmerksamkeit bekam, und dass die Täter vor Gericht gestellt wurden. Zwar
wurden einige der Angreifer bestraft, doch die anwesenden Polizeibeamten
wurden nicht verurteilt.
Basu ist sich sicher, dass diese Tradition fortgesetzt wird, dass
Polizist*innen nicht für das bestraft werden, was sie getan oder
unterlassen haben. Deshalb ist ihm Dokumentation aus Sicht der Betroffenen
so wichtig, sei es mit der Handykamera oder mit Gedächtnisprotokollen. „Aus
der Sammlung der individuellen Erfahrungen der Opfer leitet sich der
Handlungsbedarf ab“, sagt Basu.
## Leerstellen in der Statistik
Studien zum Thema Racial Profiling gibt es vereinzelt. Etwa von Tobias
Singelnstein, Professor am Lehrstuhl für Kriminologie an der
Ruhr-Universität Bochum. Er hat 2020 im Zuge des Forschungsprojekts
[5][“Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“] Rassismus und
Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübung
untersucht und dabei festgestellt, dass People of Coulor häufiger aufgrund
von Personenkontrollen mit der Polizei in Kontakt kommen als Weiße. Auch
die Studie “Racial Profiling“ von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Schweiz
umreißt das Problem qualitativ und wirft die Frage auf, welche Taktiken im
Umgang mit rassistischen Polizeikontrollen möglich sind. Insgesamt ist das
Phänomen nur lückenhaft untersucht: Es fehlen ausreichend quantitative
Studien und Zahlen.
Immer wieder wehren sich Polizei und politisch Verantwortliche dagegen,
unabhängige Untersuchungen zuzulassen. Die Wissenschaftlerin Fiona Schmidt,
die an der HU Berlin zu Rassismus in der Polizei forscht, sagt: “Das Fehlen
von systemischem Monitoring ist ein großes Problem“. Ihr würden Steine in
den Weg gelegt, wenn es um den Zugang zu Daten von der Polizei oder den
zuständigen Ministerien ginge.
Es bleiben deswegen nur die qualitativen Daten, die Initiativen wie [6][KOP
in ihrer Chronik] sammeln. Bei dem im Jahr 2020 von zivilgesellschaftlichen
Organisationen angeschobenen „[7][Afrozensus]“ gaben mehr als 8 von 10 der
Afrozensus-Befragten an, in den letzten zwei Jahren im Kontakt mit der
Polizei diskriminiert worden zu sein.
## Solidarität organisieren
Vor etwa zwei Jahren beginnt die Initiative Wrangelkiez United mit einer
Telegram-Gruppe. Judith und David, die Initator*innen, wollen aufgrund
ihres Engagements ihre Nachnamen nicht öffentlich nennen. Rassistische
Polizeikontrollen seien bei ihnen vor der Haustür Alltag. Die beiden wohnen
im Berliner Wrangelkiez in der Nähe des Görlitzer Parks, einem Ort, an dem
mit Drogen gehandelt wird. Der Park ist als kriminalitätsbelasteter Ort –
kurz KBO – ausgezeichnet. Das heißt: Hier darf die Polizei anlasslos
kontrollieren. David hat schon viele Kontrollen beobachtet. Einmal hat er
zum Beispiel anschließend die Person gefragt, weshalb sie kontrolliert
wurde. Die Antwort: Ja nix, wir saßen hier.’ Die Erklärung der
Polizist*innen zu, Grund dieser Kontrolle: Verweilen ohne Grund im
öffentlichen Raum. „Es war Freitagnachmittag. Es war knalle heiß und die
Sonne schien. Alle saßen ohne Grund draußen rum“, sagt David.
Die Menschen, die im Görlitzer Park mit Drogen handeln, sind oftmals
tatsächlich Geflüchtete ohne Aufenthaltsstatus. David sieht das Problem vor
allem in der verfehlten Asyl-, Sozial- und Drogenpolitik. Viele Menschen
hier dürfen nicht arbeiten, und das Dealen sei eine der wenigen
Möglichkeiten, Geld zu verdienen.
Die Initiative druckt Plakate, verteilt sie Flyer, organisiert Workshops
für die Nachbar*innenschaft. Mit einem rosa Regenschirm sitzen
Aktivist*innen zum Beispiel im Park und suchen das Gespräch. Sie geben
Menschen Ratschläge für den Fall, dass sie Zeug*innen einer rassistischen
Polizeikontrolle werden. Ihr Vorschlag: In unmittelbarer Umgebung stehen
bleiben – als Signal an die Polizei. Gerade Nicht-Betroffene hätten weniger
zu befürchten und hätten die Chance, das zu nutzen.
Judith sagt, es habe sich schon Einiges geändert. Früher hätte sie bei
Polizeikontrollen Angst gehabt und sei als einzige Beobachterin von Beamten
angeschrien worden, sie solle gehen. Heute suchten Polizist*innen oft
das Gespräch. “Die Polizei merkt, dass sie genau beobachtet wird“, sagt
Judith.
## Gesetze ändern
Ferat Kocak sitzt er in seinem Büro, neben sich das Bild seiner Großeltern.
Kocak hat es geschafft: Er ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen. An
diesem Tag im Januar lacht er, als er erzählt, dass die Securities ihn
selbst hier manchmal doppelt kontrollieren. Er will mit Gesetzen auf
Landesebene gegen Rassismus und Racial Profiling arbeiten. 2016 kandidierte
er das erste Mal für die Linke, es war die Zeit der erstarkenden AfD. Es
folgten Drohungen, Beleidigungen und Nazi-Symbole auf seinen Wahlplakaten.
2018 gab es einen Brandanschlag auf ihn und seine Familie. Die
Sicherheitsbehörden wussten, dass er im Visier von Rechtsradikalen war,
dennoch wurde er nicht gewarnt. Jahrelang verschleppte die Polizei die
Aufklärung.
Mit Racial Profiling hat Kocak seit seiner Jugend immer wieder Erfahrungen
gemacht. Kocak ist deshalb der Überzeugung, dass das Thema Sicherheit
grundlegend neu gedacht werden muss.
Auch die Initiative „Ihr seid keine Sicherheit“ (ISKS) unterstützt diesen
Gedanken. Im Mai letzten Jahres hatten sie zu einer Großdemonstration gegen
strukturelle Gewalt von Polizei und Sicherheitsbehörden aufgerufen, auch
Kocak war mit dabei. Diesen Frühling wollen sie ein Tribunal in Berlin zum
Thema Sicherheit und Polizei organisieren. Sie stellen Fragen wie: Was sind
die Voraussetzungen, dass etwas kriminell ist? Warum wird zum Beispiel das
Sterben-Lassen an den EU-Außengrenzen nicht geahndet? Die
Aktivist*innen von ISKS plädieren für den Abbau der Polizei durch
Dekriminalisierungskampagnen, etwa die Legalisierung von Marihuana. Ziel
ist für ISKS die Entwaffnung der Polizei, eine Entmilitarisierung, nicht
nur in Bezug auf Waffen, sondern auch auf technisches Wissen und Daten, die
gesammelt werden.
Forderungen, die Polizei lediglich mehr zu überwachen, hält die Initiative
für wenig ergiebig. Schließlich seien die schlimmsten rassistischen Morde –
wie zum Beispiel der Mord an George Floyd – auf Video aufgenommen worden.
Oft ohne Konsequenzen. Kocak sieht das ähnlich. Es gäbe unterschiedliche
Ideen, wie Racial Profiling bekämpft werden könne, sagt er, aber das
Grundelement sei, die Macht und die Verantwortlichkeiten der Polizei zu
verringern. Die Linke strebt mit den Koalitionspartnern in Berlin ein
Quittungssystem an. Nach der Kontrolle kann die kontrollierte Person eine
Quittung von der Polizei verlangen. Kocak reicht das nicht aus: „Es gibt
Studien in den USA, die beweisen, dass das nicht funktioniert.“ Tatsächlich
ist die Wirksamkeit eines solchen Systems umstritten, weil
Polizist*innen letztlich die Macht darüber behalten, was auf der
Quittung steht.
Die Umkehr der Beweislast zu schaffen, ist für Kocak ein richtiger Schritt.
Das heißt, wenn sich jemand aufgrund von rassistischen Vorbehalten
kontrolliert fühlt, muss die Polizei erklären, warum das nicht der Fall ist
und warum es einen triftigen Grund gab für die Kontrolle.
Wenn Kocak aufgrund seines Aussehens kontrolliert wird, geschieht das nicht
nur durch weiße Polizeibeamt*innen, sondern durchaus auch durch
Polizist*innen mit migrantischen Wurzeln. Das zeigt für Kocak deutlich,
dass das Problem innerhalb der Behörde struktureller Natur ist.
Um Racial Profiling aber ernsthaft anzugehen, brauche es deshalb eine
grundlegend andere Sicherheitspolitik: „Es braucht eine radikale
Veränderung, wie wir Sicherheit in der Gesellschaft denken.“ Durch die
Verstärkung sozialer Problemlösungsansätze könnte ein Teil der
Polizeiarbeit überflüssig gemacht werden. Zum Beispiel: Mehr Fahrradständer
für das sichere Abschließen von Fahrrädern könnten zu weniger geklauten
Fahrrädern und damit weniger Notwendigkeit von Kontrollen führen. Noch
seien aber Sicherheitsdenken und Polizei fest miteinander verbunden.
Obwohl es schon seit 40 Jahren organisierte Strukturen gegen Racial
Profiling aus der Zivilgesellschaft gibt, steht die Debatte noch am Anfang.
Doch Kocak sieht zumindest in Berlin „ein Stück weit Hoffnung, dass wir
Racial Profiling in dieser Legislaturperiode angehen werden“. Das hat vor
allem mit der Besetzung des Innenauschusses zu tun. In ihm sitzen seit 2021
viele Menschen mit Rassismuserfahrung. Sie haben etwas vor.
24 Mar 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/Tareq_Alaows/status/1474830339205996547
[2] /Gesetze-zu-Racial-Profiling-der-Polizei/!5698417
[3] /Black-Lives-Matter/!t5320244
[4] https://todesopfer-rechter-gewalt-in-brandenburg.de/amadeu-antonio/
[5] https://kviapol.rub.de/images/pdf/KviAPol_Zweiter_Zwischenbericht.pdf
[6] https://kop-berlin.de/files/documents/chronik.pdf
[7] https://afrozensus.de/reports/2020/Afrozensus-2020.pdf
## AUTOREN
Sarah Hüther
Ibrahim Karci
## TAGS
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Racial Profiling
Lesestück Recherche und Reportage
IG
Schleswig-Holstein
Polizei Berlin
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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