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# taz.de -- Verfahren in Stade eingestellt: Polizei durfte Ibrahim erschießen
> Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht mehr gegen die Beamt*innen, die
> einen Geflüchteten in einer psychischen Ausnahmesituation getötet haben.
Bild: Protestkundgebung nach dem Tod von Kamal Ibrahim in Stade
Hannover taz | Vor sechs Monaten erschossen Polizist*innen in Harsefeld
im Landkreis Stade Kamal Ibrahim, einen 40-Jährigen Geflüchteten aus dem
Sudan. Nun sind die Ermittlungen eingestellt – wie so oft bei Todesfällen
nach Polizeikontakt. Ibrahim wurde von elf Kugeln getroffen, nachdem er im
ersten Stock der Geflüchtetenunterkunft Polizist*innen in einer
psychischen Ausnahmesituation mit einem Messer bedroht und angegriffen
haben soll. [1][Kamal Ibrahim verstarb noch vor Ort.]
In der Pressemitteilung zur Einstellung der Ermittlungen heißt es,
rechtlich seien alle Schüsse als Notwehr und Nothilfe gerechtfertigt
gewesen. „Es war den Polizeibeamt*innen in der konkreten Situation
nicht zuzumuten, den Angriff auf eine andere Weise abzuwehren“, heißt es
von der Staatsanwaltschaft Stade. Angesichts der fehlenden Rechtswidrigkeit
sei das Verfahren gegen die beschuldigten Polizeibeamt*innen
einzustellen.
Wie oft bei [2][Todesfällen nach Polizeikontakt] zogen sich die
Ermittlungen, und die Staatsanwaltschaft blieb bei Nachfragen wortkarg. Elf
Bürger*innen des Landkreises Stade hatten im Februar dann das Warten
satt und versuchten, [3][mit Strafanzeigen weitere Ermittlungen zu
erreichen]. „Das Hauptmotiv ist eine rechtsstaatliche Klärung der Vorgänge
auf allen Ebenen“, sagte Hellmuth Färber, einer der Anzeigenden, damals der
taz. Färber ist pensionierter Lehrer für Politik und Französisch und gibt
nun Deutschkurse für Geflüchtete. Seit über 30 Jahren engagiert er sich bei
der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Alle Unterzeichner*innen der Strafanzeige fanden, es müsse geklärt
werden, ob der Einsatz verhältnismäßig gewesen sei, so Färber. Es sei auch
zu klären, ob von der Einsatzleitung entsprechende Notfallpläne für
psychische Ausnahmesituationen beachtet worden seien und wie die Gemeinde
Harsefeld im Fall Kamal Ibrahim insgesamt handelte. Denn Kamal Ibrahims
psychischen Probleme waren den Behörden bekannt. Gehandelt wurde wohl
trotzdem nicht.
Mehr als eine Woche vor dem Tod Ibrahims hatte sich sein Mitbewohner an die
Gemeinde Harsefeld gewandt und auf den psychischen Ausnahmezustand, in der
sich Ibrahim befand, hingewiesen. Ein zuständiger Betreuer alarmierte
daraufhin den sozialpsychiatrischen Dienst. Ob der in irgendeiner Form
tätig wurde, will seit Monaten niemand beantworten. Es wird auf den
Datenschutz verwiesen.
„Nun ist auf juristischer Ebene das Worst-Case-Szenario eingetreten“, sagt
Färber der taz. Vor zwei Wochen habe er noch den Sachstand zur Anzeige per
Einschreiben angefragt. Eine Antwort habe er bis heute nicht erhalten,
sondern lediglich die Pressemitteilung zur Einstellung der Ermittlungen
gegen die Polizeibeamt*innen gelesen.
„Bei der Anzeige geht es aber nicht alleine um die Polizei, sondern auch um
[4][die Kommune Harsefeld und den Landkreis Stade]“, so Färber weiter. Die
offenen Fragen seien durch die Pressemitteilung nicht hinreichend
beantwortet. Gerade die Rolle des sozialpsychiatrischen Dienstes müsste
genau geprüft werden.
Die Hinterbliebenen von Kamal Ibrahim haben mittlerweile juristischen
Beistand. Der einzige Verwandte in Deutschland den Ibrahim hatte, war ein
Cousin, der in Göttingen lebt. Der ist aber nicht klageberechtigt, weil
nicht nah genug verwandt.
Die Rechtsanwältin Daniela Hödl aus Hamburg vertritt nun den Bruder des
Erschossenen, der im Sudan lebt. Das Einstellungsschreiben erreichte sie
einen Tag nach der Pressemitteilung durch die Staatsanwaltschaft. „Ich
werde mit meinem Mandanten besprechen, ob wir Beschwerde gegen die
Einstellung der Ermittlungen einreichen“, sagt Hödl der taz am Telefon. Aus
ihrer Sicht sei klar, dass sie ihren Mandant*innen raten würde, den Weg
der Beschwerde zu gehen.
Ibrahim ist nicht der erste Geflüchtete, der im Landkreis Stade durch
Polizeikugeln getötet wird. Im August 2019 erschossen Polizist*innen in
einer ähnlichen Situation Aman Alizada in dessen Wohnung. Auch hier wurden
die Ermittlungen eingestellt.
8 Apr 2022
## LINKS
[1] /Toedlicher-Vorfall-in-Niedersachsen/!5801600
[2] /Toedliche-Polizeischuesse/!t5763770
[3] /Tod-eines-Gefluechteten-in-Harsefeld/!5829550
[4] /Polizeieinsatz-in-Gefluechtetenunterkunft/!5805900
## AUTOREN
Michael Trammer
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Stade
Tödliche Polizeischüsse
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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