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# taz.de -- Irreführende Hambuger Kriminalstatistik: Wie Mathe die Sicherheit …
> Im „Stadtteil-Atlas“ der Hamburger Polizei erscheint Rahlstedt als
> Hotspot der Kriminalität. Jedenfalls, wenn man dessen Größe außer Acht
> lässt.
Bild: Tatütata – in anderen Stadtteilen registrierte die Polizei auch Straft…
An sich wohne ich in Hamburgs unauffälligstem Stadtteil. Rahlstedt liegt
ganz am Ostrand des Stadtstaats. Hier leben überdurchschnittlich viele
Kinder und Familien, der Ort hat einen durchschnittlichen Migrationsanteil
und eine leicht unterdurchschnittliche Arbeitslosenquote. All diese schönen
Daten sind in den [1][„Stadtteilprofilen“ des Statistikamts Nord]
nachzulesen.
Nur einmal im Jahr fällt mir beim Frühstück vor Schreck das Brötchen aus
der Hand, wenn ich das Hamburger Abendblatt aufschlage. Dunkelrot hebt sich
die an ein umgekipptes Herz erinnernde Form meines Rahlstedt von den
rosafarbenen Nachbarn Farmsen, Tonndorf und Jenfeld ab. „Welche Stadtteile
die unsichersten sind“, betitelte das Blatt seine Grafik über „Straftaten
in Hamburg“. Das alles verrate der neue [2][„Stadtteilatlas“ der Polizei].
Und, oh je. 5.064 erfasste Straftaten gab es 2021 in dem gekippten Herz.
Und zwischen 5.000 und 10.000 Straftaten im Jahr gibt beim Abendblatt nun
mal die Kennzeichnung mit Ochsenblutrot. Dabei geht nicht nur die gute
Botschaft unter, dass auch 2021 die Kriminalität überall zurückging. Es ist
einfach ungerecht, den mir ans Herz gewachsenen Stadtteil als
Kriminalitäts-Eldorado darzustellen.
Nun gut, unter den 5.064 Fällen mag die Dusseligkeit eines Bekannten
enthalten sein, der kurz vor Weihnachten einfach sein Handy über Nacht auf
der Gartenmauer liegen ließ, und danach war es weg. Eingebrochen wurde bei
uns auch schon mal, vor 20 Jahren. Die Polizisten bemitleideten uns damals
wegen der Verwüstung im Kinderzimmer. Wir unterließen es, sie darüber
aufzuklären, dass es da immer so aussah. Unsere Eheringe sind seit damals
weg, aber das war eine Entlastung. Ich denke, das bringt Glück.
## Kleine Stadtteile sind nicht ohne
Auch wenn noch mal ungebetene Diebe kamen – besonders unsicher fühlen wir
uns in Rahlstedt nicht. Und das liegt auch daran, das wir eine
Grundrechenart beherrschen: Rahlstedt ist nicht nur gut durchmischt,
sondern mit 92.511 auch der bevölkerungsreichste der 104 Hamburger
Stadtteile. Ins Verhältnis zu 1.000 Einwohnern gesetzt, gab es bei uns 55
Straftaten.
Die rosa gefärbten Nachbarviertel hatten nach dieser Rechnung alle mehr
Straftaten, nämlich Farmsen-Berne 61, Tonndorf 70 und Jenfeld 63. Pro
Tausend Einwohner gerechnet hat auch das in der Grafik ebenfalls mit
Dunkelrot gebrandmarkte – und mit über 70.000 Einwohnern auch
bevölkerungsreiche – Billstedt weniger Kriminalität als zum Beispiel die
schnieke Hafencity, nämlich 86 gegenüber 141.
Auch nach Fläche betrachtet sähe das Ranking anders aus. In Rahlstedt mit
seinen 26,6 Quadratkilometern gab es 2021 nur 190 Straftaten pro
Kilometerquadrat. Im feinen Winterhude nahe der Alster waren es 515. Das
beliebte Altbauviertel Hoheluft-West beklagte gar 694 Straftaten auf seinen
0,7 Quadratkilometern.
Gefragt, warum sie die Zahl der Straftaten nicht ins Verhältnis zur
Bewohnerzahl setzte, erklärt die Polizeipressestelle, das Statistikamt
stelle keine kleinteiligeren Zahlen zur Verfügung. Und, na ja, die Grafik
selbst stammt ja auch nicht von der Polizei. Die hat jene Zeitung, die ich
zum Frühstück lese, fabriziert. So muss denn, wer sich ein Bild von der
Lage im eigenen Wohnumfeld machen will, die eingangs erwähnten
Stadtteilprofile selbst anschauen – und sich im Dividieren üben.
9 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.statistik-nord.de/fileadmin/Dokumente/NORD.regional/Stadtteil-P…
[2] https://www.polizei.hamburg/contentblob/16048308/331e70db3def7f432f20cab4f2…
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Kriminalität
Sicherheit
Statistik
Polizei Hamburg
Hamburg
Polizeigewalt
Polizei Berlin
Abschiebung
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