# taz.de -- Posthumer Preis für Rolf Verleger: Der polarisierende Mittler | |
> Der im November gestorbene Rolf Verleger hat den Erich Mühsam-Preis | |
> erhalten. Legitim, wenn man seine Lust an der Kontroverse bedenkt. | |
Bild: Im vergangenen November gestorben: Rolf Verleger | |
BREMEN taz | Manche haben Rolf Verleger, dem am 6. April posthum der | |
Erich-Mühsam-Preis der Hansestadt Lübeck verliehen worden ist, für einen | |
üblen Judenhasser gehalten. Genauer müsste es wohl heißen: einen | |
Judenselbsthasser. | |
Denn der am 8. November mit 69 Jahren gestorbene Mitgründer der Jüdischen | |
Gemeinde Lübeck war, Sohn zweier Überlebender der Shoah, nicht nur | |
Professor für Neuropsychologie, sondern er hat sich selbst als jüdisch | |
verstanden, auch wenn „religiös im engeren Sinne heute keiner mehr“ sei, | |
[1][wie er der taz mal gesagt hat]. „Ich auch nicht.“ | |
Aus dieser agnostischen Religiosität – also: seiner Auffassung von Judentum | |
als Religion der Nächstenliebe – hatte sich Verlegers Engagement im | |
bundesdeutschen Nahostkonflikt gespeist. Seine Glaubenssätze hier: | |
Einerseits könne Israel auf Dauer nur existieren, „umgeben von einem Meer | |
von Feinden“, indem es „seine Feinde zu Partnern“ mache. | |
Und dazu gehörte für ihn eine Art einseitiges Schuldanerkenntnis. Nicht | |
weil dies faktisch so und nicht anders wäre, sondern aus der Überlegung | |
heraus, dass nur damit „die Spirale des Leidens“ zum Aufhören gebracht | |
werden könne: „Wir müssen das selbst machen“, so Verleger. | |
## Stichwortgeber für Dämonisierer | |
Das lässt sich auch als fast verzweifelte Suche nach einer Mittlerposition | |
im ewigen Krieg lesen. Mit der er aneckte: Sein Beharren darauf, dass das | |
„Grundübel“ des Konflikts die territoriale Erweiterung Israels infolge des | |
von arabischer Seite begonnenen Sechs-Tage-Kriegs sei, hat Verleger zum | |
wichtigen Stichwortgeber für Dämonisierer*innen Israels und | |
Hamas-Fans gemacht. Und gleichzeitig zum [2][Buhmann für Zentralrat], die | |
eigene Gemeinde und Antideutsche. | |
Ein rotes Tuch war er zum Beispiel für Samuel Salzborn: Als der heutige | |
Antisemitismusbeauftragte des Landes Berlin erfuhr, dass er auf dem Podium, | |
zu dem die taz in Bremen ihn hatte 2016 einladen wollen, dem Lübecker | |
begegnen würde, hatte er erbost mitgeteilt, sich mit Antisemiten nicht an | |
einen Tisch zu setzen. Ein Gesprächsabbruch ist oft nicht sonderlich | |
intelligent, und hier vielleicht sogar besonders. | |
Denn Verleger war jemand, mit dem sich intelligent streiten ließ. Die Lust | |
an der scharf geführten bis penetranten Auseinandersetzung und einem Hang | |
zur Ironie waren dabei die größten Gemeinsamkeiten [3][mit | |
Preis-Namenspatron Mühsam]. Deshalb lohnen das Wiederlesen nicht die aus | |
trüber Quelle geschöpften Darstellungen der Geschichte Israels in Verlegers | |
bekanntestem Buch „Israels Irrweg“, wohl aber die darin dokumentierten | |
Brief- und E-Mail-Wechsel. | |
In denen lässt er sich sogar auf dümmlichste Vorwürfe ein. Umgekehrt lässt | |
sich feststellen, wie er sinnvolle Gegenargumente mitbedenkt. Ein Beleg für | |
intellektuelle Redlichkeit und die seltene Gabe, aus dem | |
Freund-Feind-Schema des Konflikts auszubrechen. Sie ist zu selten. | |
9 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Rolf-Verleger-ueber-Antisemitismus/!5334842 | |
[2] /!393917 | |
[3] http://www.erich-muehsam.de/ | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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