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# taz.de -- Wachsender Nationalismus in Bosnien: Gesetz mit Sprengkraft
> In Bosnien und Herzegowina verhandeln EU-Vertreter über ein umstrittenes
> Wahlgesetz. Es könnte das Ende für den Gesamtstaat bedeuten.
Bild: Noch existiert der Gesamtstaat: das dreiköpfige Staatspräsidium mit dem…
Sarajevo taz | Wenn in diesen Tagen EU-Unterhändler über ein neues
Wahlgesetz für Bosnien und Herzegowina verhandeln, geht es schlicht um die
[1][Existenz dieses Staates]. Die niederländische EU-Beamtin Angelina
Eichhorst ist dabei, gemeinsam mit dem amerikanischen Botschafter das
Wahlgesetz für den Teilstaat der bosnisch-kroatischen Föderation ganz nach
dem Geschmack der kroatischen Nationalistenpartei HDZ zu ändern.
Die Idee: ein System mit Wahlmännern nach amerikanischem Vorbild. Doch
genau das würde den kroatischen Nationalisten in Bosnien helfen, ihrem
Anführer Dragan Čović einen Sitz im dreiköpfigen Staatspräsidium zu
sichern, in dem Vertreter der bosnischen Serben, Kroaten und der Bosniaken
gemeinsam das Staatsoberhaupt des Gesamtstaats bilden. Die EU- und
US-Vertreter versuchen nun, Bakir Izetbegović, den Vorsitzenden der
bosniakischen Nationalpartei SDA, unter Druck zu setzen. Denn nur mit den
Stimmen der SDA könnte im Parlament eine entsprechende Mehrheit zustande
kommen, um das Wahlgesetz zu ändern.
Das nichtnationalistische Lager hofft, dass Izetbegović dem Druck
standhält. Weil Eichhorst sogar dafür sorgte, dass die
nichtnationalistischen Parteien von der Diskussion über das Wahlgesetz
ausgeschlossen wurden, ist diese in ihren Augen vollends unglaubwürdig
geworden. „Wir wollen ein demokratisches Wahlgesetz, das allen Bürgern
gleiche Rechte gibt“, fordern auch große Teile der Zivilgesellschaft und
warnen davor, sich auf Verhandlungen mit den „Kriminellen“ und
„Putin-Freunden“ einzulassen.
Denn Dragan Čović, der das Wahlgesetz vorantreibt, hat sich in den letzten
Monaten als Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin geoutet.
Einst war er angeklagt, als Direktor des Aluminiumwerks in der Stadt Mostar
während des Bosnienkriegs 1993 bosniakische Insassen des Lagers Heliodrom
zur Zwangsarbeit verpflichtet zu haben.
Er pflegt außerdem enge Beziehungen zu Milorad Dodik, der [2][mit
Unterstützung Moskaus] die serbische Teilrepublik aus Bosnien und
Herzegowina herauslösen und so den Gesamtstaat auflösen will. Dodik ist
Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums. Noch im Dezember letzten Jahres
besuchte er Putin und hat seine Politik in Bosnien und Herzegowina eng mit
dem Kreml abgestimmt.
## Baerbocks Worte ohne Wirkung
Nach diesem Plan will die serbische Teilrepublik unter Dodik bis zum
Sommer fast alle Kontakte mit dem gemeinsamen Gesamtstaat abgebrochen
haben. Wenn Čović mit dem Wahlgesetz Erfolg haben sollte, hätten er und
Dodik die Mehrheit im bosnischen Staatspräsidium. Dann könnten sie die
Auflösung des Staates in die Wege leiten.
Dass sich die EU offenbar auf diesen Plan einlässt, sendet widersprüchliche
Signale in das fragile Balkanland, sagt Haris Imamović, politischer Berater
beim Staatspräsidium in Sarajevo. Denn beim [3][Besuch von
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock] am 10. März in Sarajevo, bei dem
Imamović selbst dabei war, war er noch positiv überrascht gewesen.
Baerbock hatte nämlich betont, die Bundesregierung unterstütze nur
diejenigen, die sich für eine Stärkung des Staates Bosnien und Herzegowina
einsetzten – nicht aber jene, die an seiner Desintegration und Schwächung
arbeiteten. Deutschland werde „keine Erosion der Sicherheitslage zulassen“.
Doch nun, da die EU den Forderungen der Nationalisten in Bosnien in Sachen
Wahlgesetz nachkommen will, schreitet auch Berlin nicht ein.
Auch Vertreter der nichtnationalistischen Parteien wie Vojin Mijatović,
Vizevorsitzender der sozialdemokratischen Partei SDP, zeigen sich darüber
bestürzt.
21 Mar 2022
## LINKS
[1] /Krise-in-Bosnien-und-Herzegowina/!5820225
[2] /Russlands-Einmischung-auf-dem-Balkan/!5831373
[3] /Baerbock-auf-dem-Balkan/!5840731
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Bosnien und Herzegowina
Milorad Dodik
HDZ
Annalena Baerbock
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