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# taz.de -- Der Krieg am Brandenburger Tor: Scheinheilige Lichtspiele
> Auch das Brandenburger Tor leuchtet in Blau-Gelb. Die Frage lautet nicht,
> wann der Projektor eingeschaltet wird, sondern wann er aus bleibt.
Bild: Blau-gelbe Solidarität am Tor
Jedes einzelne Zeichen der Solidarität ist derzeit wichtig, aber auch der
Krieg in der Ukraine beweist es mal wieder: Die Auswahl der Länder,
[1][deren Farben aufs Brandenburger Tor geworfen werden], bleibt – sagen
wir mal – unausgewogen. Wobei sie nicht mal konsequent eurozentrisch oder
westzentriert erfolgt. Das wäre immerhin ehrlich, wenn auch gehörig bäh!
Stattdessen [2][macht es das Land Berlin] genauso wie wir im Privaten auch.
Wir propagieren die weltweit ach so unteilbaren Werte der Freiheit und
Demokratie, ignorieren aber die meisten Orte, wo sie militant missachtet
werden. Dafür steht die Berliner Projektionsfläche sinnbildlich.
Die Frage lautet nicht, wann der Projektor eingeschaltet wird, sondern wann
er aus bleibt. Hat eigentlich jemand mal die Farben des Jemen am
Brandenburger Tor gesehen? Die Kenias oder Nigerias, wo islamistische
Milizen regelmäßig Menschen abschlachten? Was ist mit Putins früheren
Opfern, Georgien und Tschetschenien? Mit der Auswahl der Landesfarben
reproduzieren wir bisher doch eigentlich nur das, was in der Politik kühl
als deutsche Interessen in der Welt bezeichnet wird.
Trotz der Zuständigkeit der Regierenden Bürgermeisterin, ist es die
visualisierte Scheinheiligkeit von uns allen. Ein Blick ins Netz reicht
aus: Viele derjenigen, die das Blau-Gelb der Ukraine am Brandenburger Tor
posten und sich dieselben Farben aufs Profilbild legen, zugleich (und das
ist entscheidend!) von universell geltenden Menschenrechten faseln, weil
der Krieg diesmal vor der eigenen Haustür tobt, schweigen, wenn
Menschenrechte sonst wo zur Strecke gebracht werden.
Scheinheilig sind aber auch diejenigen, die nölen, dass etwa nach dem
[3][Anschlag auf Charlie Hebdo] die Farben Frankreichs zu sehen gewesen
seien, aber nicht die Pakistans oder Mexikos, wenn dort Menschen
massakriert würden. Auch deren Doppelmoral schreit zum Himmel! Denn auch
sie haben nur ihre eigene kleine Auswahl an Konflikten, zu denen sie ihr
Schweigen brechen.
Und nee, mir fehlt es weder an Empathie für die Ukraine noch an Hochachtung
vor den vielen Helfer:innen. Im Gegenteil, als Kind habe ich
(sowjetrussisches) Militär in Kabul kennenlernen dürfen. Ich habe eine
Ahnung davon, wie es den Ukrainer:innen geht: genauso elendig wie den
vielen Millionen aus Syrien, Irak und Afghanistan. Oder den Refugees aus
Zentral- und Südamerika. Auch geht es mir nicht um die wichtigen Demos
gegen Putin. Es geht mir um die Licht gewordene Bigotterie an der Quadriga,
die das Brandenburger Tor zum Olymp unserer doppelten Standards macht.
Dabei ist selektive Wahrnehmung allzu menschlich, gerade die von Krieg und
Leid. Aus purem Selbstschutz. Zutiefst menschlich ist es auch, die eigene
geografische Nachbarschaft zuerst wahrzunehmen, solange das frei von
Rassismen geschieht. Perfide wird es nur, wenn man von universellen
Menschenrechten salbadert, dabei aber den Großteil von Krieg und Elend auf
der Welt ignoriert. Und – muss Berlin das dann auch noch
institutionalisieren?
Bevor wir aber den Projektor in die Tonne kloppen, warum nicht mal
wahrhaftig konsequent sein und das Berliner Wahrzeichen ganzjährig
anstrahlen? Jede Woche eine neue Fahne. Über fünfzigmal im Jahr. In Berlin
leben doch so viele Menschen mit Fluchtgeschichte. Dazu Aufklärung über
Lautsprecher oder eine App: Um was für einen Konflikt geht es? Was hat das
mit uns zu tun? Wem und warum liefern wir Waffen? Wer sind die Gewinner der
vielen Tode?
Zu den eigenen Prinzipien stehen – wäre nicht auch das mal eine angebrachte
Zeitenwende, wenn auch nur symbolisch?
25 Mar 2022
## LINKS
[1] /Brandenburger-Tor-in-Blau-Gelb/!5833923
[2] https://www.berlin.de/rbmskzl/service/berlin-informationen/illumination-bra…
[3] /Prozess-um-Anschlag-auf-Charlie-Hebdo/!5739403
## AUTOREN
Bobby Rafiq
## TAGS
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Brandenburger Tor
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