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# taz.de -- Argentiniens Schuldenkrise: Die Angst vor dem Bankrott
> Argentinien darf seinen IWF-Kredit später zurückzahlen – die
> Zahlungsunfähigkeit soll so abgewendet werden. Doch Entscheidendes ist
> noch ungeklärt.
Bild: Das Parlament hat die Verantwortung für Reformen jetzt an die Regierung …
Buenos Aires taz | Argentiniens Abgeordnetenhaus stimmt für die
Schuldenneuregelung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Am frühen
Freitagmorgen votierten 202 Abgeordnete dafür, 37 Abgeordnete stimmten
dagegen, 13 enthielten sich. Mit der Neuregelung soll eine
[1][Zahlungsunfähigkeit des Landes] abgewendet werden. Die Entscheidung des
Senats steht noch aus.
Vor dem Kongressgebäude hatten linke Parteien und Gruppierungen gegen den
IWF demonstriert. Dabei kam es zu kurzen, aber heftigen
Auseinandersetzungen zwischen einer kleinen Gruppe Demonstrierender und den
Polizeieinheiten. Steine flogen, Autoreifen brannten, die Polizei
antwortete mit Gummigeschossen. Mehrere Personen wurden vorübergehend
festgenommen, mindestens acht verletzt.
Argentinien ist der größte IWF-Schuldner. [2][2018 gewährte der Fonds der
damaligen Regierung von Präsident Mauricio Macri einen Kredit] in Höhe von
57 Milliarden Dollar, von denen 44,5 Milliarden ausgezahlt wurden. Davon
müssten in diesem Jahr rund 19 Milliarden Dollar getilgt werden. Am 22.
März wäre eine Rate über 2,8 Milliarden Dollar fällig. Angesichts der
klammen Reserven der Zentralbank ist das nicht zu stemmen. Es droht die
erneute Staatspleite.
Die Neuregelung ist jedoch nichts anderes als eine Refinanzierung des
Kredits von 2018. Eine Schuldenreduzierung ist nach den IWF-Statuten
ausgeschlossen. Deshalb werden die 44,5 Milliarden Dollar in den kommenden
zweieinhalb Jahren vom IWF selbst via Buenos Aires getilgt. Argentinien
erhält eine bereits getilgte Kapitalsumme in Höhe von 4,5 Milliarden Dollar
zurück, die als Zentralbankreserve verbucht oder im laufenden Haushalt
eingesetzt werden kann. Erst ab 2026 muss Argentinien mit der tatsächlichen
Rückzahlung der Verbindlichkeiten beginnen.
Die breite Zustimmung des Parlaments auch von Seiten der Opposition ist
allerdings nicht mehr als eine Einigung auf den allerkleinsten Nenner: die
Vermeidung eines Zahlungsausfalls. Um überhaupt eine Mehrheit zu bekommen,
musste die Regierung in letzter Minute einen Kompromissvorschlag
einreichen. Statt das gesamte Stand-by-Abkommen stellte sie lediglich die
allgemeine Refinanzierung zur Abstimmung. Die dazugehörigen
wirtschaftlichen und technischen Memoranden wurden ausgeklammert.
Die insgesamt zehn Überweisungen des Fonds an sich selbst sind an
vierteljährliche Inspektionen gebunden. Mit ihnen will der Fonds
sicherstellen, dass sich die Regierung in Buenos Aires an die vereinbarten
Vorgaben hält, was die linke Abgeordnete Myriam Bregman als
IWF-Co-Regierung kritisierte.
## Ungeklärte Fragen
Überprüft werden soll in erster Linie der Abbau des Haushaltsdefizits, das
im laufenden Jahr auf 2,5 Prozent begrenzt, und bis 2025 schrittweise auf
eine schwarze Null reduziert werden soll. Ob jedoch die dafür vorgesehene
Reduzierung der staatlichen Energiebeihilfen durchgeführt wird, ist nach
dieser offensichtlich halbierten Zustimmung der Abgeordneten offen.
Seit über einem Jahrzehnt werden die Strom- und Gastarife subventioniert.
Während die Konsument*innen geringe Preise zahlen, müssen für die
staatlichen Zuschüsse immer aberwitzigere Summen aufgebracht werden. Ab
Juni sollen die Subventionen für die zehn Prozent einkommensstarken Strom-
und Gasverbraucher*innen gestrichen werden. Der große Rest soll in
zwei Gruppen aufgeteilt, bei denen die Beihilfen sozialverträglich
zurückgeführt werden sollen.
Wie eine Anhebung der Tarife mit der ebenfalls vereinbarten Senkung der
Inflation einhergehen soll, ist ohnehin rätselhaft. Trotz der
herabsubventionierten Strom- und Gastarifen liegt die Inflationsrate seit
Jahren im zweistelligen Bereich. [3][2021 betrug sie 51 Prozent.] Für das
laufende Jahr sagen die Prognosen eine noch höhere Rate voraus, und dies
ohne die aktuell in die Höhe schießenden Energiepreise berücksichtigt zu
haben.
Zwar ist der parlamentarischen Verantwortung damit Genüge getan, doch mit
dieser Abstimmung obliegt die Umsetzung der vereinbarten wirtschaftlichen
Vorgaben und finanziellen Maßnahmen allein der Regierung. Im Hinblick auf
die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr wollte keines der politischen
Lager dafür verantwortlich gemacht werden.
Die Zweifel am zukünftigen Schuldendienst sind denn auch nicht weniger
geworden. Zumal die 44,5 Milliarden Dollar des IWF gerade einmal zwölf
Prozent der gesamten argentinischen Staatsverschuldung ausmachen.
Spätestens in drei Jahren, so der Tenor der Kritik von ganz links bis
neoliberal, werde Argentinien wieder auf der IWF-Matte stehen und um eine
erneute Schuldenneuregelung bitten.
Allerdings konnte die Regierung einige Neuerungen durchsetzen, die auch
international aufmerksam registriert werden. So verlangt der IWF erstmals
keine Renten- oder Arbeitsrechtsreform. Zudem muss Argentinien erst 2025
einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Bisher hatte der IWF stets
innerhalb von zwei Jahren darauf bestanden. Ebenso wurde die Laufzeit der
Tilgungen von den maximal möglichen zehn auf tatsächlich zwölf Jahre
ausgedehnt. Andere IWF-Schuldnerländer, wie beispielsweise Ecuador, Kenia
oder Gabun, mussten in den vergangenen zwei Jahren ihren
Schuldenneuregelungen ohne diese Zugeständnisse zustimmen.
11 Mar 2022
## LINKS
[1] /Argentiniens-Deal-mit-dem-IWF/!5832459
[2] /IWF-Kredit-fuer-Argentinien/!5511735
[3] /Inflation-in-Argentinien/!5811334
## AUTOREN
Jürgen Vogt
## TAGS
Argentinien
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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