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# taz.de -- Selenski im Bundestag: „Durch eine Mauer von uns getrennt“
> Der ukrainische Präsident hat die deutsche Regierung für ihre Beziehungen
> zu Russland kritisiert. Der Bundestag ging anschließend zur Tagesordnung
> über.
Bild: Ukraines Präsident Selenski hat am Donnerstag per Videocall eine Rede vo…
Berlin taz | Als der ukrainische Staatspräsident Wolodimir Selenski sich am
Donnerstag [1][in den Bundestag] zuschaltet, sitzt er in olivfarbenem
Militärhemd neben einer Ukraine-Flagge und sagt: „Ich spreche zu Ihnen nach
drei Wochen des allumfänglichen Krieges, nach acht Jahren Krieg im Donbass.
Ich spreche Sie an, während Russland uns bombardiert und alles zerstört,
was wir in der Ukraine aufgebaut haben.“
So begann seine eindrückliche und deutliche Rede vor dem Bundestag, in dem
er die deutsche Regierung scharf kritisierte und mehr Hilfe für die Ukraine
forderte. Zwar bedankte er sich für die bisherige Unterstützung und die
verhängten Sanktionen, kritisierte aber auch die anhaltenden
wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland.
Selenski sprach von einer mentalen Mauer, die durch Europa zwischen
Komfortzone und Kriegsgebiet verlaufe: „Sie sind durch eine Art Mauer von
uns getrennt, es ist keine Berliner Mauer, es ist eine Mauer zwischen
Freiheit und Unfreiheit. Und diese Mauer wird höher mit jeder Bombe, die
auf die Ukraine fällt und mit jeder nicht getroffenen Entscheidung für den
Frieden, die uns helfen könnte.“ Selenski schloss seine Rede in Anlehnung
an den berühmten Ausspruch des US-Präsidenten Ronald Reagan („Mr.
Gorbatchov, tear down this wall!“) von 1987 vor dem Brandenburger Tor:
„Herr Bundeskanzler Scholz, zerstören Sie diese Mauer!“
Den Deutschen warf er zudem vor, nicht hinter diese Mauer zu schauen. So
habe die Ukraine immer darauf hingewiesen, dass die
Nord-Stream-Gaspipelines „eine Art Vorbereitung auf Krieg“ gewesen seien.
Deutschlands Antwort sei stets gewesen: „Es ist rein wirtschaftlich: Es ist
Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft. Es war aber der Mörtel für die neue
Mauer“, so Selinski. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland
finanzieren Putins grausamen Krieg, zerbomben Schulen, Krankenhäuser,
Wohnquartiere und führen zu Tausenden Toten.
In Europa werde ein Volk vernichtet
Wie immer präsentierte sich Selenski rhetorisch stark: „Jedes Jahr
wiederholen die Politiker ‚Nie wieder‘. Jetzt sehen wir, dass diese Worte
einfach nichts wert sind.“ In Europa werde ein Volk vernichtet und
demokratische Werte angegriffen – „wir versuchen es zu verteidigen, ohne
Ihre tatkräftige Unterstützung“, sagte Selenski.
Und während er am Vortag vor dem [2][US-Kongress] dankbar erschien, blieb
Selenski im Bundestag kühl und betonte Deutschlands historische
Verantwortung: „Ich spreche Sie auch an im Namen der älteren Ukrainer, die
den Zweiten Weltkrieg überlebt haben, die Babyn Jar erlebt haben – vor 80
Jahren.“ Er verwies darauf, dass auch dieser Gedenkort des größten
Massakers an Juden im Zweiten Weltkrieg von russischen Raketen getroffen
wurde. Eine Familie, die dort der Opfer gedachte, sei getötet worden.
Selenski ist selbst Jude, ein Teil seiner Familie wurde während der Schoa
ermordet.
Mit Standing Ovations und langem Applaus haben die Abgeordneten und Gäste
des prall gefüllten Bundestags Selenski verabschiedet, um kurz darauf ohne
Unterbrechung zur Tagesordnung überzugehen. Bundestagsvizepräsidentin
Katrin Göring-Eckardt (Grüne), welche die an Corona erkrankte Bärbel Bas
(SPD) vertrat, übermittelte direkt nach der zwölfminütigen Rede
Geburtstagsgrüße und teilte neue Ausschussmitglieder mit. Das sorgte nicht
nur für Protest bei der Opposition, sondern auch für viel öffentliche
Empörung.
Friedrich Merz (CDU) von der Unionsfraktion forderte mit einem Antrag zur
Geschäftsordnung eine Antwort der Bundesregierung auf die Rede von
Selenski. Die allerdings blieb aus, weil sie mit Mehrheit der
Ampelkoalition mit Verweis auf die gemeinsam mit der Union beschlossene
Tagesordnung abgelehnt wurde.
Statt die historische Rede zu beantworten, stritten sich die Fraktionen, ob
denn jetzt geantwortet werden sollte oder ob man nicht bei der gestrigen
Debatte zum Ukrainekrieg schon genug gesagt hätte, ein eher unwürdiges
Spektakel mit vielen Zwischenrufen. Auf den Punkt brachte es Jan Korte (Die
Linke), der zur versammelten Koalition sagte: „Sie müssen aufpassen, dass
Sie nicht schon nach 100 Tagen so arrogant sind wie andere nach 16 Jahren
nicht.“
Bundeskanzler Scholz äußerte sich nach der Rede erst anderthalb Stunden
später, per Tweet: „Ich danke Volodimir Selenski für seine eindringlichen
Worte im Bundestag.“ Russland treibe seinen grausamen Krieg jeden Tag
weiter, mit schrecklichen Verlusten, schrieb Scholz: „Wir fühlen uns
verpflichtet, alles zu tun, damit die Diplomatie eine Chance hat und der
Krieg beendet wird.“
Der Bundestag debattierte da schon über die Impfpflicht.
17 Mar 2022
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=XyNN6dQRS1g
[2] /Ukraines-Praesident-vor-US-Kongress/!5842210
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Wolodymyr Selenskij
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Bundestag
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Spionage
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