| # taz.de -- Umweltkonflikte in Kolumbien: Wenn die Adler drohen | |
| > Aktivist:innen, die sich gegen Megaprojekte wehren, werden von | |
| > paramilitärischen Gruppen verfolgt. Auf Schutz der Regierung können sie | |
| > nicht hoffen. | |
| Bild: Das Staudammprojekt bei Ituango zerstört Lebensgrundlagen – und produz… | |
| Toledo/Antioquia taz | Toledo ist ein malerisches Städtchen im Nordwesten | |
| von Kolumbien. Gassen schlängeln sich zwischen Häusern im spanischen | |
| Kolonialstil hindurch und an buntbemalten Mauern entlang. Im Hintergrund | |
| ragen die grünbewachsenen Anden in den blauen Himmel. Doch unweit dieser | |
| Kulisse, in der angrenzenden Ortschaft Ituango, schwelt seit Jahren einer | |
| der brutalsten Umweltkonflikte des ohnehin [1][gewaltgeplagten Landes]. | |
| Am Cauca-Fluss entsteht der Hidroituango, Kolumbiens größter Staudamm, der | |
| bei Fertigstellung eine installierte Leistung von 2.400 MW haben soll. Die | |
| Energie wird dann vor allem ins Ausland und in umliegende Minen fließen. | |
| Für die direkten Anwohner:innen bedeutet das Megaprojekt dagegen vor | |
| allem Vertreibung, Armut und Repression. Denn seit Jahren unterdrücken | |
| Regierung und paramilitärische Gruppen jeden Widerstand dagegen gewaltsam. | |
| 2010 starteten die Bauarbeiten und damit auch die Konflikte. Um die | |
| Fertigstellung zu beschleunigen, habe der zuständige staatliche | |
| Energieversorger Empresas Públicas de Medellín (EPM) weder Umwelt- noch | |
| Sicherheitsauflagen berücksichtigt, lautet der Vorwurf der ansässigen | |
| Protestbewegung Rios Vivos (zu deutsch: lebende Flüsse). | |
| 2018 bereits führten Konstruktionsfehler zu einer Überschwemmung, wodurch | |
| tausende Menschen Land und Haus verloren. Auf eine Entschädigung wartet ein | |
| Großteil der Betroffenen bis heute. Auch den Verlust von Lebensgrundlagen | |
| prangert die Organisation an. Viele Menschen am Cauca-Fluss leben von | |
| Fischerei und Landwirtschaft. Aber mit den Bauarbeiten ist auch der | |
| Fischbestand stark gesunken. | |
| ## Gebeutelte Region | |
| All das passiert in einer Region, die ohnehin stark unter den gewalttätigen | |
| Auseinandersetzungen in Kolumbien gelitten hat, die von den 1960er Jahren | |
| bis zum [2][Friedensvertrag zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla im | |
| Jahr 2016] dauerten. Viele der hier Lebenden sind Überlebende von | |
| bewaffneten Konflikten. | |
| Bei Protesten gegen das Projekt würden die Sicherheitskräfte immer wieder | |
| willkürlich Gewalt anwenden und Aktivist:innen verhaften, berichtet | |
| Milena Florez, Vorsitzende von Rios Vivos. „Wir sind eine Basisorganisation | |
| aus Bauern, Fischern und Anwohnern“, sagt sie. „Doch der Staat will uns | |
| spalten, damit wir uns nicht gemeinsam organisieren.“ Hinzu kämen | |
| Übergriffe und Anschläge durch paramilitärische Gruppen. | |
| Das habe sie am eigenen Leib erfahren, sagt Florez. Seit Jahren erhalte sie | |
| als Rios Vivos-Vorsitzende immer wieder Drohungen. Oft sind es Briefe, | |
| manchmal auch Anrufe. Die Forderungen sind deutlich: Wenn Florez weiter | |
| gegen das Projekt protestiere, drohe ihr der Tod. Die Absender sind | |
| paramilitärische Gruppen, die Aktivist:innen im ganzen Land bedrohen. | |
| ## Mordanschläge und Folter | |
| 2019 wurde die Situation so gefährlich, dass Florez für sechs Monate das | |
| Land verließ und über ein Schutzprogramm nach Spanien kam. Fünf andere | |
| Mitglieder von Rios Vivos mussten für ihren Einsatz bereits mit dem Leben | |
| bezahlen. Auch zehn ihrer Familienangehörigen sind ermordet worden. Andere | |
| Mitglieder berichten von Mordanschlägen oder Folter sowie dem Versuch, sie | |
| verschwinden zu lassen. Zur Rechenschaft gezogen wurde für diese Morde | |
| bisher niemand. | |
| Was Rios Vivos und ihre Mitstreiter:innen erleben, hat in Kolumbien | |
| System. [3][Laut der Organisation Global Witness ist der | |
| zweitbevölkerungsreichste Staat Südamerikas das Land mit den meisten | |
| getöteten Umweltaktivist:innen weltweit.] Allein 67 verloren 2020 | |
| dort ihr Leben, weltweit liegt die Zahl bei insgesamt 227. | |
| Als Grund führt Global Witness den mangelnden Schutz durch das Rechtssystem | |
| an. Der kolumbianische Staat unternehme keine Anstrengungen, die | |
| Verantwortlichen von Morden an Umweltaktivist:innen zu finden und zu | |
| verurteilen. Stattdessen würden die Proteste kriminalisiert. Eine | |
| Erfahrung, die die Aktivist:innen rund um den Hidroituango ebenfalls | |
| machen mussten. „Der Staat nennt uns Vandalen oder behauptet sogar, dass | |
| wir FARC-Kämpfer seien“, beklagt Florez. | |
| ## Kriminalisierung von Aktivist:innen | |
| Auch der Menschenrechtsanwalt Luis Montenegro spricht von einer | |
| Kriminalisierung von Umweltaktivist:innen in Kolumbien. Die Regierung | |
| nenne sie „Vandalen“, „Umweltterroristen“ oder werfe ihnen vor, der | |
| Entwicklung des Landes im Weg zu stehen, beklagt Montenegro. Das führe zu | |
| einem feindlichen Klima für die Aktivist:innen in dem Land, weil auch | |
| viele Medien dieses Narrativ aufgriffen. | |
| Ein weiteres Problem sei, dass die Leute durch die anhaltenden Konflikte | |
| desensibilisiert seien gegenüber Gewalt gegen Aktivist:innen. An der | |
| Situation habe auch die Unterzeichnung des Friedensvertrages, von der man | |
| sich eine allgemeine Befriedung bewaffneter Konflikte erhofft hatte, bisher | |
| nichts geändert, sagt Montenegro. | |
| Das hält ausländische Firmen nicht davon ab, weiterhin in Großprojekte in | |
| Kolumbien zu investieren. So sind auch deutsche Unternehmen in das Projekt | |
| Hidroituango involviert, zum Beispiel die staatseigene KfW-IPEX-Bank, | |
| Siemens, die Rückversicherer Munich Re und Hannover Re, der | |
| Druckluftspezialist Kaeser und der Kabelhersteller Südkabel. Und der | |
| Staudamm ist nicht das einzige Vorhaben. Auch im Zusammenhang mit der | |
| riesigen Steinkohlemine El Cerrejón im Norden Kolumbiens kommt es immer | |
| wieder zu Gewalt und Gewaltandrohungen gegen Protestler:innen durch | |
| paramilitärische Gruppen. Trotzdem bleibt Kolumbien einer der größten | |
| Kohlelieferanten Deutschlands. | |
| ## Unklare Verbindungen | |
| Das Problem reicht möglicherweise noch viel tiefer. Denn immer wieder gibt | |
| es Hinweise auf eine Verbindung zwischen den Interessen des Staates und den | |
| ausländischen Investoren sowie den paramilitärischen Gruppen. „Es gibt eine | |
| starke Überlappung von drei Akteuren“, erläutert Luis Montenegro. „Die | |
| ausländischen Investoren, die kolumbianische Armee, die vor Ort Proteste | |
| niederschlägt, und die Paramilitärs.“ Die Aguilas Negras (zu deutsch: | |
| schwarze Adler), die auch Rios Vivos-Vorsitzende Florez ins Visier genommen | |
| haben, gehören dabei wohl zu den mysteriösesten unter den paramilitärischen | |
| Gruppen. „Niemand weiß, wer ihre Anführer sind oder ob es sich dabei | |
| überhaupt um eine organisierte Einheit handelt“, so Montenegro. Zu ihren | |
| Angriffszielen gehören jedoch immer wieder linke Aktivist:innen, | |
| Menschenrechtler:innen und Oppositionelle. | |
| Beweise für eine direkte Verbindung gibt es zwar nicht. Gruppen wie Aguilas | |
| Negras stellen sich jedoch stets hinter die Regierung und ihre | |
| wirtschaftlichen Interessen. „Es ist schon sehr auffällig, dass an allen | |
| Orten, an denen Megaprojekte angesiedelt sind, paramilitärische Gruppen | |
| besonders aktiv sind“, betont Montenegro. | |
| So sah sich auch Gildardo Gomez plötzlich Drohungen und Gewalt ausgesetzt. | |
| Gemeinsam mit anderen Anwohner:innen wehrt er sich gegen den Goldabbau | |
| durch das südafrikanische Bergbauunternehmen Anglogold Ashanti in der | |
| Region Antioquia, ebenfalls im Nordwesten des Landes. | |
| „Immer dann, wenn wir Proteste durchführen, folgen Drohungen durch | |
| verschiedene bewaffnete Gruppen“, so Gomez. Auch hier kommen sie mal | |
| telefonisch, mal per Brief. Und hin und wieder sogar von vermummten Männern | |
| auf Motorrädern. Doch die Nachricht ist immer gleich: Sie fordern Gomez und | |
| seine Mitstreiter:innen auf, die Proteste gegen die Riesenmine zu | |
| unterlassen. | |
| Der Staat habe ihn bislang nicht geschützt, so der Kleinbergbauer. Auch | |
| gegen Anglogold Ashanti erhebt er Vorwürfe: „Das Unternehmen klagt uns | |
| öffentlich für die Proteste an, obwohl wir lediglich unser Recht auf | |
| Versammlungsfreiheit wahrnehmen. Doch für extrem Rechte, wie die | |
| paramilitärischen Gruppierungen, reicht das schon aus, um zu ihrem Feind zu | |
| werden. Die Anklagen machen uns zu ihrem Ziel.“ | |
| ## Verantwortung ausländischer Konzerne | |
| 1.288 Hektar Land sind von dem Projekt betroffen. „Die Goldmine verschmutzt | |
| die Flüsse und bedroht das Ökosystem in der Umgebung“, sagt Gomez. Zwar | |
| gebe es offiziell Umweltregularien, das Unternehmen halte sich jedoch nicht | |
| daran – ohne Konsequenzen durch den kolumbianischen Staat. | |
| Auch soziale Auswirkungen beklagen Gomez und sein Anwalt John Yepes. | |
| „Bauern verlieren ihr Land, Fischer aufgrund des gesunkenen Fischbestandes | |
| ihren Lebensunterhalt und Kleinbergbauern werden vertrieben“, sagt Yepes. | |
| Tausende Anwohner:innen würden bereits umgesiedelt, ohne dass das | |
| Unternehmen Pläne zu Entschädigungszahlungen vorgelegt habe oder – wie | |
| eigentlich vorgeschrieben – vorweisen könne, dass die Betroffenen nach der | |
| Umsiedlung mindestens die gleichen sozio-ökonomischen Bedingungen | |
| vorfinden. | |
| Gegen die Interessen der Konzerne kommen die kleinen Gemeinden so schnell | |
| nicht an – das ist Gomez und Yepes bewusst. „Wir wissen, dass wir dieses | |
| Projekt nicht aufhalten können. Aber wir wollen die Schäden für die Umwelt | |
| und die Anwohner so klein wie möglich halten.“ | |
| Für Rios Vivos-Vorsitzende Florez ist klar, dass die ausländischen Konzerne | |
| eine Mitverantwortung für die desaströse Lage von Aktivist:innen in | |
| Kolumbien haben, solange sie trotz anhaltender Menschenrechtsverletzungen | |
| vor Ort investieren. Montenegro glaubt sogar, dass die großen Unternehmen | |
| die wahre Macht im Staat haben. „Die kolumbianische Regierung hat bei der | |
| COP26 das Versprechen abgegeben, die Umwelt zu schützen“, sagt er. „Den | |
| Kolumbianern versprechen sie, im Interesse des Landes zu handeln, doch in | |
| Wahrheit geht es nur um die Interessen der Konzerne.“ | |
| 13 Mar 2022 | |
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| Nabila Lalee | |
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