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# taz.de -- Wiederwahl des Bundespräsidenten: Runde zwei für Steinmeier
> Der alte und neue Bundespräsident Steinmeier will die Gesellschaft
> versöhnen – zieht aber auch rote Linien. Eindrücke aus der
> Bundesversammlung.
Bild: „Ich möchte dabei helfen, diese Wunden zu heilen“: Bundespräsident …
Berlin taz | „Tierisch aufgeregt“ sei sie, sagt Gloria Viagra. Es ist
Sonntagmorgen kurz nach halb zehn, die Berliner Dragqueen steht mit
wallendem roten Haar und in einem langen Umhang in Regenbogenfarben vor dem
Reichstagsgebäude. „Rettet das Nachtleben“, steht auf dem Umhang. „Es ist
eine Ehre, heute als Repräsentantin der LGBTIQ+-Szene dabei zu sein und
einen bunten Punkt setzen zu können“, sagt sie. Die Berliner Linkspartei
hat die Entertainerin und Politaktivistin für die Bundesversammlung, die
heute den Bundespräsidenten wählen wird, nominiert.
Wegen Corona kommt die Bundesversammlung nicht, wie eigentlich vorgesehen,
im Reichstag zusammen, sondern gegenüber im Paul-Löbe-Haus, wo mehr Platz
ist. Unten im Foyer sind mit einem Abstand von jeweils anderthalb Metern
470 Sitzplätze angeschraubt, die anderen der insgesamt 1.472 Wahlleute sind
auf den Galerien und in 16 Sitzungssälen in den vier Etagen darüber
untergebracht.
Gloria Viagra sitzt ganz am Ende des Foyers, dort, wo kurz danach hinter
einer Glaswand die Spree entlang fließt. Als der alte und neugewählte
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am frühen Nachmittag seine
Antrittsrede hält, verfolgt die Dragqueen diese auf einem Bildschirm in
ihrer Nähe.
Steinmeier spricht über Demokratie, das große Thema, das bereits seine
erste Amtszeit bestimmt hat. Zunächst aber richtet er klare Worte in
Richtung Russland. Er sorge sich um den Frieden in Europa, sagt Steinmeier.
„Wir sind inmitten der Gefahr eines militärischen Konflikts, eines Krieges
in Osteuropa. Dafür trägt Russland die Verantwortung.“ Den russischen
Präsidenten Wladimir Putin fordert er auf, „die Schlinge um den Hals der
Ukraine“ zu lösen und warnt ihn zugleich: „Unterschätzen Sie nicht die
Stärke der Demokratie.“
## Steinmeier dankt Trabert
Demokratie brauche Kontroverse, sagt der Bundespräsident und beteuert,
keine Kontroverse scheuen zu wollen. „Aber es gibt eine rote Linie, und die
verläuft bei Hass und Gewalt.“ Steinmeier sagt aber auch: „Die Pandemie hat
tiefe Wunden geschlagen in unserer Gesellschaft. Und ich möchte dabei
helfen, diese Wunden zu heilen.“
Den [1][Sozialmediziner Gerhard Trabert], den die Linkspartei als
Kandidaten nominiert hat, bietet Steinmeier eine Zusammenarbeit im Kampf
gegen Obdachlosigkeit an. „Sie haben mit Ihrer Kandidatur auf ein Thema
aufmerksam gemacht, das mehr Aufmerksamkeit verdient: die Lage der Ärmsten
und Verwundbarsten in unserem Land“. Das gefällt Gloria Viagra. Am Ende von
Steinmeiers Rede steht sie gemeinsam mit den anderen Wahlleuten auf und
klatscht.
Der SPD-Mann ist – wie erwartet – gleich im ersten Wahlgang gewählt worden.
Insgesamt hat er 1.045 Stimmen bekommen, deutlich mehr als die Ampel an
Wahlleuten hat. Auch die Union hatte zu Steinmeiers Wiederwahl aufgerufen
und keinen eigenen Kandidaten aufgestellt. Gloria Viagras Stimme hat
Steinmeier nicht bekommen. Sie hat für Trabert gestimmt. „Steinmeier finde
ich auch nicht schlecht“, sagt die Dragqueen. Aber Trabert sei der bessere
Kandidat. Er werfe ein anderes Licht auf die sozialen Zustände in diesem
Land, was derzeit besonders wichtig sei.
Trabert, der eine Krawatte mit dem Aufdruck „Leave no one behind“ trägt,
bekommt 96 Wahlleute-Stimmen, 25 mehr als die Wahlleute der Linkspartei
ausmachen. Der [2][AfD-Kandidat Max Otte] erhält 140. Die AfD konnte 152
Wahlleute benennen, nach Angaben der extrem rechten Partei sollen von
diesen aber nur 133 anwesend sein. Die Brandenburger Kommunalpolitikerin
[3][Stefanie Gebauer] wählen 58 Delegierte und damit 30 mehr als die Freien
Wähler, die die Physikerin ins Rennen schickten, an Delegierten haben.
Gebauer ist die zehnte Frau, die für das höchste Staatsamt kandidiert,
gewählt wurde noch keine von ihnen.
## Auch Merkel darf wählen
Pünktlich um zwölf Uhr hatte zuvor Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD)
die Bundesversammlung eröffnet. Sie betont die „schweren Zeiten“ und
spricht dann neben der Pandemie auch die Ukrainekrise, den Klimawandel und
steigende Energiepreise an. „Scheinbar unversöhnlich stehen Menschen sich
gegenüber, die unterschiedliche Einstellungen haben“, sagt Bas. Die
Stimmung im Land, in Familien, in Freundeskreisen leide darunter.
Bas ruft die Bürger:innen auf, auch unter den erschwerten Bedingungen
mutig zu sein und nicht die Nerven zu verlieren. In der Ukrainekrise
fordert sie, alle Möglichkeiten der Diplomatie zu nutzen. „Jeder Krieg
kennt nur Verlierer.“ Insgesamt seien Mut,wählt Zuversicht und ein
respektvoller Umgang mit Andersdenkenden jetzt wichtig. „Lassen wir uns
nicht einreden, dass wir anstehende Probleme nicht lösen können.“
[4][Die Bundesversammlung] kommt alle fünf Jahre zusammen, um ein
Staatsoberhaupt zu wählen. Zu ihr gehören die derzeit 736 Abgeordneten des
Bundestags und die gleiche Anzahl von Wahlleuten, die die 16 Landtage
entsenden. Am Sonntag waren unter anderem Exkanzlerin Angela Merkel dabei,
dazu zahlreiche Ministerpräsident:innen und Landtagsabgeordnete,
aber auch „verdiente Bürgerinnen und Bürger“, wie Bas betonte.
Zu ihnen gehörten der Astronaut Alexander Gerst, der Pianist Igor Levit und
die Biontech-Mitgründerin und Impfstoff-Entwicklerin Özlem Türeci. Eine
verdiente Bürgerin genannt zu werden, freut auch Gloria Viagra. „Endlich
mal eine Anerkennung meines langen Engagements.“
13 Feb 2022
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## AUTOREN
Sabine am Orde
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