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# taz.de -- Alleinerziehende Mütter in der Pandemie: „Mein Stolz ist zu gro�…
> Fast 85 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland sind Frauen. Wie
> ergeht es ihnen in der Pandemie? Die Fotografin Sophie Kirchner hat
> einige von ihnen begleitet.
## Flor
Sie wollte sich Unterstützung holen und wurde abgewiesen. Jetzt ist ihr
Stolz zu groß. Immerhin, die Kinder sind selbstständiger als zu Beginn der
Pandemie
Jeden Tag passiert etwas anderes: Gerade haben sich drei Erzieher an der
Kita meiner Kinder mit Covid angesteckt, deswegen hat sie nur wenige
Stunden offen. Ich musste morgens eine Stunde selbst Betreuung bezahlen,
dann nachmittags noch mal, damit ich arbeiten kann. Ich arbeite selbst als
Erzieherin.
Während der Pandemie habe ich mich [1][oft einsam] gefühlt. Ich wusste oft
nicht, was erlaubt ist und was nicht. Dann fielen die Kontakte weg, das
machte mich unsicher. Ich konnte das verstehen, man wusste ja nicht viel
über das Virus und die Menschen wollten sich schützen.
Meine Kinder sind noch klein und verlangen viel Aufmerksamkeit. Man sagt,
dass die ersten drei Lebensjahre anstrengend sind, danach wird es
einfacher.
Alleinerziehend zu sein ist das eine, aber ohne ein soziales Umfeld, das
ist noch mal was anderes. Es gab Nächte, da bin ich 17 Mal aufgestanden,
tagsüber dann aufräumen, einkaufen und die Kinder beschäftigen.
Es kam der Tag, [2][da konnte ich nicht mehr]. Ich kam auf die Idee, dass
ich etwas Hilfe im Alltag beantragen könnte. Ich legte meinen Stolz
beiseite und ging zum Amt. Die Sachbearbeiterin war leider nicht so
freundlich, sie sagte zu mir: „Damit Leute wie Sie ihre Wäsche gewaschen
bekommen, gehe ich arbeiten!“ Zu dem Zeitpunkt war zu allem Überfluss nicht
klar, ob ich ausziehen muss, denn der Besitzer des Hauses, in dem wir
wohnten, hatte gewechselt. Der neue plante eine Sanierung.
Die Frau beim Amt sagte, ich könne mich bei der Obdachlosenhilfe melden,
die würden mir für eine Weile eine Unterkunft geben. Dabei wollte ich nur
ein bisschen Hilfe beim Einkaufen und mit der Bürokratie, denn Deutsch ist
nicht meine Muttersprache. Ich war so wütend, dass ich mich beschwerte.
Aber bis auf eine Entschuldigung ihrer Vorgesetzten kam nichts zurück. Ich
sagte zu mir: „Es kommen auch wieder bessere Zeiten, ich kann das alleine
schaffen.“
Die Notbetreuung habe ich auch nicht wirklich verstanden. Ich durfte meine
Kinder nur abgeben, damit ich arbeiten gehen konnte. Das war aber keine
Entlastung. Ich durfte sie, laut Senatsverordnung, nur so lange in der Kita
lassen, wie ich arbeiten war. Zu Hause war ich total erledigt und wollte
trotzdem für meine Kinder da sein. Ich weiß noch, wie mein Sohn eines Tages
fragte: „Mama, kannst du mich bitte umarmen?“
Er war nicht mal drei Jahre alt. Und meine Tochter fragte mich, ob ich mich
einsam fühlen würde. Das zeigte mir, dass Kinder sehr viel mitbekommen und
die Pandemie nicht spurlos an ihnen vorbeigeht.
Was besser ist als vor einem Jahr? Dass meine Kinder selbstständiger sind.
Und ich habe eine neue Wohnung gefunden. Ich muss kämpfen, um sie zu
bezahlen, und bekomme keine Unterstützung vom Amt. Mein Stolz ist zu groß.
Aber vielleicht werde ich es noch mal versuchen.
Ich freue mich auf den Frühling, aber ich glaube, Corona wird uns weiter
begleiten. Ich hoffe, dass die Angst weggeht. Dass man beim Nachbarn
klingeln und fragen kann, ob die mal kurz auf die Kinder aufpassen. Es
braucht ein Dorf, um Kinder aufzuziehen.
## Franziska
Sie erfuhr kurz nach der Trennung, dass sie schwanger ist, bei der Geburt
war sie meist allein. Jetzt will sie anderen Alleinerziehenden helfen
Alleinerziehend bin ich von Anfang an. Ich habe mich getrennt, kurz bevor
ich gemerkt habe, dass ich schwanger bin. Die Schwangerschaft habe ich dann
teilweise als sehr einsam erlebt. Gerade durch Corona, da war man ja noch
mal speziell isoliert. Neue Kontakte, die man hätte knüpfen können, sind so
nicht entstanden. Wir mussten ja alle voneinander Abstand nehmen.
Meine Begleitperson bei der Geburt war dann meine Cousine. Die durfte aber
erst in der letzten Phase der Geburt dabei sein. Ich habe mich im
Krankenhaus sehr alleingelassen gefühlt. Ich glaube, die Angst des
Pflegepersonals, sich anzustecken, hat dazu geführt, dass viele auch
emotional distanziert waren. Aber ich weiß nicht, ob das an Corona lag oder
einfach daran, dass es eine sehr geburtenstarke Klinik war. Ich war froh,
dass meine Cousine wenigstens bei der Geburt dabei sein durfte. Bei den
Voruntersuchungen war ich immer allein. Ich hatte nur virtuell die
Möglichkeit, mich mit anderen auszutauschen und zu sagen: „Hey, das
passiert hier gerade!“ Es war aber keiner da, der mich hätte beruhigen oder
an die Hand nehmen können.
Ich hatte eine komplizierte Geburt, über mehrere Tage hinweg. Manchmal
hatte ich das Gefühl, dass ich kein Anrecht auf den Schmerz habe, den ich
spürte. Das war das Schlimmste.
Klar, ich kann verstehen, dass die Befürchtung groß war, jemanden als
Begleitperson mitzubringen, der vielleicht Corona hat. Die wurden zwar alle
getestet, aber erst kurz vor der Geburt. Warum testete man sie erst, wenn
der Muttermund schon ein paar Zentimeter auf ist? Das hat für mich einfach
keinen Sinn ergeben. Wobei ich noch froh sein konnte, denn es gab zu der
Zeit auch Geburtskliniken, die gar keine Begleitperson erlaubt haben. Die
Frauen haben einfach allein entbunden. Das wünsche ich niemandem.
Ich hab meinen Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurs online gemacht.
Mir fehlte der direkte Austausch mit den anderen Müttern. Das einzig Gute
war, dass auch der Ansturm der Verwandtschaft nach der Geburt wegen der
Kontaktbeschränkungen ausblieb. So konnte ich mir etwas Zeit lassen, um zu
Hause anzukommen und mich von der Geburt zu erholen.
Der letzte Sommer war sehr schön. Es hat sich fast so angefühlt, als wäre
Corona vorbei. Aktuell ist es wieder schwieriger. Alle um uns herum sind
ständig in Quarantäne, dadurch fallen viele Kontakte weg. Der
Babyschwimmkurs, die Krabbelgruppe, vieles wird abgesagt. Manchmal fühle
ich mich wieder wie im Lockdown und drehe zu Hause fast durch. Aber es geht
bergauf! Ab Sommer haben wir einen Kitaplatz, direkt gegenüber von zu
Hause. Aber ich hab die Kita noch nie von innen gesehen. Ich hoffe, der
Kennenlerntermin wird nicht auch noch abgesagt.
Im Herbst habe ich ein Projekt gestartet, SingleMoments, das ist ein Blog
und Podcast. Es soll Alleinerziehenden Mut machen und zeigen, wo man
Unterstützung und Beratung bekommt.
## Michaela
Sie konnte der Coronazeit auch etwas Gutes abgewinnen
Jetzt, nach zwei Jahren Pandemie, ist für viele das Leben wieder ziemlich
normal, für Alleinerziehende nicht. Die Kita wird immer wieder wegen
Quarantäne geschlossen, dann muss ich schnell die Zwillinge holen. Am
Anfang der Pandemie war ich noch in Elternzeit, das ging, aber jetzt muss
ich arbeiten.
Man ist als Alleinerziehende auf Kontakte angewiesen und die wurden
plötzlich sehr beschränkt. Im Kindergarten meiner Zwillinge konnten zum
Beispiel keine Sommerfeste stattfinden, deshalb kannte ich lange Zeit
keinen aus der Kita.
Meine große Tochter geht normalerweise unter der Woche ins Internat. Aber
während der Lockdowns saß sie dann hier zu Hause. Das war für sie natürlich
ein größerer Unterschied als für Schulkinder oder Jugendliche, die nicht
unter der Woche in einem Internat wohnen. Immerhin war ich zu diesem
Zeitpunkt mit den Zwillingen noch in Elternzeit, so konnte ich das
auffangen. Aber ich habe mich gefragt, wie das wohl andere Eltern machen.
Für meine Tochter war das Homeschooling eine harte Zeit, denn die Schule
war zu Beginn noch nicht dafür aufgestellt. Es war chaotisch. Trotzdem
wurde seitens der LehrerInnen viel von ihr gefordert. Sie musste sich von
jetzt auf gleich selbstständig organisieren. Dabei war sie doch erst in der
9. Klasse! Ich muss aber sagen, dass sich das Internat verhältnismäßig
schnell auf die neue Situation eingestellt hat, das lief ja bei vielen
Schulen anders. Trotzdem fehlten ihr die MitschülerInnen und LehrerInnen
sehr.
Ich hatte während der Pandemie manchmal das Gefühl, dass die Gesellschaft
gerade das Gleiche durchmacht wie ich als Alleinerziehende, aber schon vor
Corona. Ich konnte bereits vor der Pandemie schon gar nicht mehr richtig am
Leben teilhaben. Denn ich bin 365 Tage im Jahr, 7 Tage die Woche, 24
Stunden am Tag die einzige Bezugsperson für meine drei Kinder.
Das klingt jetzt blöd, aber die Lockdowns haben sich sogar ein wenig wie
Trost angefühlt.
Ich dachte: „Jetzt geht es nicht nur mir allein so, sondern allen anderen
da draußen auch. Wir sitzen quasi im selben Boot.“ Es fühlte sich an wie
eine unfreiwillige Solidarität. Aufgefallen ist mir das besonders, als die
Maßnahmen wieder gelockert wurden. Für mich hat sich auch danach nichts
geändert, ist nichts wieder leichter geworden, für die anderen schon. Daher
war Corona für mich am Ende gar keine so große Veränderung.
Im Gegenteil, teilweise kam mir die Krise sogar gelegen. Zum Beispiel
konnte ich meine Zwillinge in die Notbetreuung geben, und ich musste die
Jugendweihe für meine Tochter nicht ausrichten. Das waren Erleichterungen.
Ich hätte nicht gewusst, wie ich das hätte organisieren sollen. Und die
Elternabende liefen per Zoom, auch das war eine Erleichterung im Alltag.
Die Pandemie war für mich deshalb auch ein Puffer, der mir Zeit gab, zu
verschnaufen, nach der Trennung vom Vater der Zwillinge. Wie eine
Atempause.
Und jetzt? Vielleicht müssen sich alle einmal anstecken. Meine Tochter war
gerade positiv, zum Glück hatte sie kaum Symptome. Der Rest der Familie hat
sich nicht angesteckt. Ich bin optimistisch und glaube, dass die Pandemie
bald geschafft ist.
15 Feb 2022
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