| # taz.de -- Schweiz trotzt globaler Mindeststeuer: Die Steueroase trocknet nich… | |
| > Die globale Mindeststeuer trifft in der Schweiz auf heftige Gegenwehr. | |
| > Doch dem Land wird sie kaum schaden – und dem Globalen Süden nützt sie | |
| > wenig. | |
| Bild: Nicht nur Alpen-, sondern auch Steuerparadies | |
| Ginge es nach Céline Widmer, ist es mit Steuertricks in der Schweiz bald | |
| aus. Mit der sozialdemokratischen Partei setzt sich die Parlamentarierin | |
| schon lange für [1][mehr Steuergerechtigkeit] ein. „Die Debatten, die wir | |
| in der Schweiz über Steuergerechtigkeit oder staatliche Schulden führen, | |
| sind weit entfernt von dem, was die Forschung suggeriert und was | |
| international diskutiert wird. Ich befürchte, dass wir uns damit | |
| langfristig auf ein Abstellgleis manövrieren“, sagt Widmer. | |
| Anfang Oktober lancierte die SP als Antwort auf die Pandora Papers eine | |
| Initiative, die das Geldwäschereigesetz reformieren und auch die | |
| Anwält:innen illegaler Steuergeschäfte belangen will. Eine solche | |
| Verschärfung war vor einem halben Jahr erst im Parlament abgelehnt worden. | |
| Der innenpolitische Widerstand ist zumeist zwecklos, auch weil das | |
| Parlament eine bürgerliche Mehrheit hat. Der Druck aus dem Ausland ist da | |
| effektiver. Etwa durch die neue globale Mindeststeuer. | |
| In einem Brief an den Schweizer Bundesrat warnte die Zürcher FDP kürzlich | |
| vor einem „Angriff auf unsere Steuersouveränität“. Auch Wirtschaftsverbä… | |
| pochen darauf, nicht klein beizugeben und das „Erfolgsmodell Schweiz“ zu | |
| schützen. Die globale Mindeststeuer würde den Wohlstand des kleinen | |
| Alpenstaats beschädigen, so die Befürchtung. Die Schweiz liegt [2][laut Tax | |
| Justice Network] auf Platz 5 der Top-Steueroasen weltweit, gleich hinter | |
| Bermuda und den Niederlanden. Mehr als ein Drittel der | |
| Gewinnsteuereinnahmen der Schweiz [3][wurden im Ausland erwirtschaftet]. | |
| Multinationale Konzernriesen wie Glencore, Nestlé, Novartis oder Roche | |
| haben ihren Hauptsitz hier und profitieren von den günstigen | |
| Steuerkonditionen. Dagegen regt sich seit Jahren Widerstand im In- und | |
| Ausland. Die OECD-Steuerreform, [4][die unter anderem eine globale | |
| Mindeststeuer von 15 Prozent vorsieht], ist der neueste Versuch, | |
| Steuergerechtigkeit herzustellen. Trocknet die Steueroase Schweiz bald aus? | |
| ## Schweizer Eigenheiten als Faktoren | |
| Vier Schweizer Eigenheiten tragen dazu bei, dass sich das Land als Ort der | |
| Steuervermeidung eignet: Erstens, die vergleichsweise geringe | |
| Unternehmenssteuer von durchschnittlich 13 Prozent. In Deutschland liegt | |
| sie bei rund 30 Prozent. Zweitens der Steuerwettbewerb zwischen den | |
| Kantonen. Der Kanton Zug etwa wurde mit seinem extrem niedrigen Satz von | |
| rund 9 Prozent zu einem der attraktivsten Firmenstandorte. Hier hat der | |
| Rohstoffriese Glencore seinen Sitz. Ein dritter Faktor war das | |
| Bankengeheimnis. | |
| 2014 lenkte die Schweiz zwar ein und stimmte einem automatischen Austausch | |
| von Kundendaten zu, was dem Bankengeheimnis theoretisch den Garaus machte. | |
| Allerdings nicht ganz freiwillig: Insbesondere der Druck aus den USA und | |
| Großbritannien, aber auch aus Deutschland war entscheidend. Unvergessen | |
| sind den Schweizer:innen etwa gestohlene CDs mit Schweizer Bankdaten, | |
| die Norbert Walter-Borjans als Finanzminister NRWs kaufte, um Druck auf | |
| Steuerhinterzieher:innen auszuüben. | |
| ## „Kavallerie“ und „Indianer“ | |
| Oder [5][Steinbrücks Vergleich der Schweizer:innen mit „Indianern“], | |
| denen man die „Kavallerie“, sprich: OECD-Steuerstandards androhen müsse, | |
| damit sie kooperieren. In der Praxis ist das Bankengeheimnis aber auch im | |
| Jahr 2021 noch lebendig. Viele Länder in Afrika und Asien sind bis heute | |
| nicht Teil des automatischen Informationsaustauschs. Dabei wären gerade die | |
| Länder des Globalen Südens darauf angewiesen, dass Steuergelder in ihre | |
| Kassen fließen. | |
| Laut Dominik Gross, Experte für Steuerpolitik bei der NGO Alliance Sud, | |
| gibt es zudem zahlreiche Tricks, den Informationsaustausch zu umgehen: „So | |
| kann etwa ein nigerianischer Ölhändler ein Konto bei der Credit Suisse | |
| haben, offizieller Inhaber des Kontos ist aber via eines britischen Trusts | |
| eine Firma in Panama. Und das Ganze wird dann wiederum von Schweizer | |
| Anwälten verwaltet.“ Am Ende landet das Geld des Nigerianers in der | |
| Schweiz, die Anwälte versteuern ihre Löhne ebenfalls hier – und die | |
| Staatskassen Nigerias bleiben leer. Ein Viertel des Vermögens, das weltweit | |
| grenzüberschreitend angelegt wird, ist in der Schweiz deponiert. | |
| ## Plattform für Steuervermeidung | |
| Die Schweizer Anwälte sind der vierte Faktor. Wie die „Pandora Papers“ | |
| erneut zeigten, hat die Rolle der Schweiz im länderübergreifenden System | |
| der Steuervermeidung sich gewandelt: „Früher war die Schweiz ein Versteck | |
| für Geld. Heute ist sie vielmehr eine Plattform im Netz der globalen | |
| Offshoreindustrie, auf der transnationale Steuervermeidung organisiert | |
| wird“, so Gross. Die Enthüllungen des ICIJ ergaben, dass mindestens 26 | |
| Kanzleien und Beratungsunternehmen mit dieser Vermittlung Geld verdient | |
| haben. | |
| Jahrelang stand die Schweiz auf der schwarzen, später auf der grauen Liste | |
| der unkooperativen Steueroasen in der OECD. Nun also die OECD-Steuerreform, | |
| die im vergangenen Sommer von der OECD beschlossen und im Oktober | |
| abgesegnet wurde. Sie soll die Verteilung der Steuern von multinationalen | |
| Konzernen gerechter machen, etwa beim Pharmakonzern Novartis, der seinen | |
| Hauptsitz in Basel hat. Obwohl er in der Schweiz nur 2 Prozent seiner | |
| Wertschöpfung generiert, bezahlt er hier 30 Prozent seiner Steuern. Das | |
| geht, weil Novartis Tochtergesellschaften in der ganzen Welt hat, denen die | |
| Firma Patente und Markenrechte verkauft. So schichtet der Konzern Gewinne | |
| um: von seinen Absatzmärkten, die oft Hochsteuerländer im Globalen Süden | |
| sind, ins Tiefsteuerland Schweiz. | |
| ## Globalem Süden hilft es kaum | |
| Ändert das etwas? „Nein“, sagt Dominik Gross, „das wird dem Finanz- und | |
| Konzernzentrum Schweiz kaum schaden.“ Denn es betrifft nur immaterielle | |
| Güter und damit vor allem Firmen, die mit Patenten, Marken und Lizenzen | |
| Gewinn machen. Rohstofffirmen wie Glencore wird das nicht berühren. | |
| Außerdem ist der Schwellenwert so hoch angelegt, dass die Reform in der | |
| Schweiz schätzungsweise nur fünf Unternehmen betreffen wird. Darunter | |
| voraussichtlich Novartis, Roche und Nestlé. | |
| Wie ein Bericht des EU Tax Observatory ergab, wird die Reform den | |
| Industriestaaten zwar einiges an Steuereinnahmen mehr einbringen, den | |
| Ländern des Globalen Südens hingegen kaum helfen. Letztlich, so Gross, | |
| basiere der Schweizer Wohlstand zu einem Teil darauf, anderen, oft ärmeren | |
| Staaten deren eigenen finanziellen Ressourcen abzusaugen. Besser wäre es, | |
| die Schweiz würde die Wirtschaft so umbauen, dass das nicht nötig ist: „Es | |
| braucht einen [6][Green New Deal] für die Schweizer Wirtschaft.“ Die | |
| Schweiz könnte zum Beispiel Schulden aufnehmen, um damit in eine eigene | |
| grüne Industrie zu investieren. | |
| ## Umbau nicht in Sicht | |
| Momentan ist ein solcher Umbau nicht in Sicht. Als Reaktion auf die | |
| OECD-Reform schlug etwa der Wirtschaftsverband Economie Suisse dem | |
| Finanzdepartement Methoden vor, um die Reformen zu umgehen. Darunter war | |
| auch die Idee, hohe Löhne staatlich zu subventionieren, um Unternehmen zu | |
| entlasten. „Das finde ich dreist“, sagt Céline Widmer von der SP. „Es | |
| zeigt, wie stark sich diese Verbände fühlen.“ Vergangene Woche erteilte | |
| Finanzminister Ueli Maurer nach seiner Rückkehr von der G20-Konferenz in | |
| Rom diesen Ideen eine klare Absage. | |
| „So ganz nehme ich ihm das nicht ab“, sagt aber Widmer. Maurer ist Mitglied | |
| der Schweizerischen Volkspartei. Deren Markenzeichen ist die Ablehnung von | |
| staatlicher Regulierung und „Einmischungen“ aus dem Ausland. „Maurer wird | |
| nichts tun, was die internationale Staatengemeinschaft zu sehr vor den Kopf | |
| stößt. Aber er wird auch nichts tun, was das Problem der | |
| Steuerungerechtigkeit bekämpft.“ | |
| Der Balanceakt gelingt bisher: Die Schweiz ist vermutlich mitverantwortlich | |
| dafür, dass der jetzige Mindeststeuersatz nicht bei den ursprünglichen 21, | |
| sondern bei 15 Prozent gelandet ist. | |
| 15 Feb 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Mehr-Steuergerechtigkeit/!5796276 | |
| [2] https://iff.taxjustice.net/#/profile/CHE | |
| [3] https://missingprofits.world/ | |
| [4] /Globale-Mindeststeuer/!5783924 | |
| [5] https://www.spiegel.de/politik/ausland/steinbrueck-und-die-eidgenossen-angr… | |
| [6] /Green-New-Deal/!t5639159 | |
| ## AUTOREN | |
| Anina Ritscher | |
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