| # taz.de -- Rechte sorgen sich um Arbeitslose: Aus Eigennutz | |
| > Wolfgang Kubicki, die Bild und die AfD nutzen das Elend im Lande, um ihre | |
| > eigene Agenda durchzusetzen. Das Wort Solidarität? Verwaist. | |
| Bild: Eine rote Nelke, Sinnbild der internationalen Solidarität | |
| Das Konzept der Solidarität hat nicht erst seit der pandemischen Gegenwart | |
| einen schweren Stand. Eigentlich geht es schon seit Ende der großen | |
| revolutionären Erzählungen vor 50 Jahren baden. Die Revolutionäre von | |
| damals sind heute Regierende. Und ein verwaister Begriff der Solidarität | |
| sucht neue Heimat. Zum Glück gibt es da FDP- und AfD-Politiker, zum Glück | |
| die Springer-Medien. | |
| Lange haben sie nicht gewartet, als [1][Detlef Scheele, der | |
| Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit], kürzlich in einem | |
| Interview sagte, Arbeitgeber könnten ungeimpfte und nicht genesene | |
| Bewerber:innen ablehnen, wenn eine Impfpflicht mit entsprechenden | |
| Rechtsfolgen bei Verstößen beschlossen werde. „Auch wir als Bundesagentur | |
| müssen dann prüfen, ob eine fehlende Impfung zu einer Sperrzeit führt“, | |
| ergänzte Scheele. Bei einer Sperrfrist bekommt eine arbeitslose Person für | |
| bestimmte Zeit keine Leistungen mehr. | |
| „Dass man Menschen in den Senkel stellt einfach aufgrund ihres Impfstatus, | |
| wird mittlerweile für mich unerträglich“, wütete FDP-Politiker Wolfgang | |
| Kubicki daraufhin bei Bild TV. „Damit setzt ein mächtiger Behördenchef die | |
| Axt an die Grundpfeiler unseres Landes: Sozialstaat und | |
| Solidaritätsprinzip“, kommentierte die Bild. Und die Schwester Welt | |
| erkannte eine „große Lust an der Bestrafung“. Ein | |
| AfD-Bundestagsabgeordneter kritisierte Scheeles Aussage als „maximal | |
| unsozial“. | |
| Unabhängig davon, wie problematisch eine solche Sanktionierung wäre, fragt | |
| man sich: Was steckt hinter diesem Einsatz rechtsliberaler bis | |
| rechtsextremer Kreise für die Elenden des Landes? Die Antwort lautet: | |
| Eigennutz. | |
| ## Wettbewerbswillige Porsche-Subjekte | |
| Denn der Arbeitslose, der ja faul ist und nicht arbeitet und deshalb | |
| schmarotzt, eignet sich nicht nur hervorragend als Negativfolie des eigenen | |
| Selbstverständnisses wettbewerbswilliger Porsche-Subjektivtät. Man kann den | |
| Arbeitslosen auch immer dann gebrauchen, wenn die eigene unsoziale | |
| Weltsicht, die sich etwa in der egoistischen Ablehnung solidarischer | |
| Coronamaßnahmen ausdrückt, gesellschaftlich nicht mehr vermittelbar ist. | |
| Immer dann, wenn die Allgemeinheit nicht darauf reinfällt, dass die | |
| Freiheit, von der Porsche-Subjekte sprechen, nicht die Freiheit aller, | |
| sondern nur die der Porsche-Subjekte meint. Der rhetorische | |
| Pseudo-Klassenkampf dient dann als trojanisches Pferd, um | |
| Partikularinteressen als Allgemeininteresse zu verkaufen. | |
| Scheele ist da nur ein Beispiel, es gibt viele andere: [2][das | |
| Böllerverbot, das anscheinend vor allem die Arbeiterkultur einschränke]; | |
| die Einschränkungen für das Auto, die vor allem Arme träfen; die | |
| [3][gendersensible oder rassismuskritische Sprache], bei der vor allem | |
| Arbeiter:innen nicht mitkämen. Der Skandal dabei ist weniger, dass die | |
| Porsche-Subjekte unsolidarisch Solidarität vorheucheln. Das ist nur | |
| konsequent. Sondern dass der Begriff der Solidarität derzeit dermaßen | |
| verwaist ist, dass sie sich das überhaupt trauen. | |
| 9 Feb 2022 | |
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| [3] /Geschlechtergerechte-Sprache/!5798203 | |
| ## AUTOREN | |
| Volkan Ağar | |
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