# taz.de -- Spielfilm „Was geschah mit Bus 670?“: Tröstlich schön | |
> Im Bandengebiet von Nord-Mexiko verschwinden viele Menschen spurlos. | |
> Fernanda Valadez hat daraus einen eindrücklichen Film gemacht. | |
Bild: Der Film, eine Art Roadmovie, erzählt von der Suche einer Frau nach ihre… | |
Wie ästhetisch kann oder darf eine Geschichte sein, die von Gewalt, Tod und | |
Verzweiflung handelt? Und andersherum gefragt: Wie bringt man uns dazu, | |
Gewalt, Tod und Verzweiflung im Kino auszuhalten, ohne sie zu sehr zu | |
ästhetisieren und damit zu verharmlosen? | |
Die mexikanische Regisseurin Fernanda Valadez hat sich für ihren ersten | |
Langfilm, der bereits auf zahlreichen Festivals ausgezeichnet wurde, keine | |
leichte Aufgabe gestellt. „Was geschah mit Bus 670?“ erzählt das Schicksal | |
von Menschen aus der grenznahen „Todeszone“ in Nord-Mexiko, wo im Kontext | |
des [1][Drogenkriegs seit vielen Jahren Menschen spurlos verschwinden]: | |
getötet, verschleppt, mitunter auch von Banden zwangsrekrutiert werden. | |
In ruhigen Bildern begleitet der Film, eine Art Roadmovie, die Suche einer | |
Frau nach ihrem Sohn. Magdalena (Mercedes Hernández), eine alleinstehende, | |
einfache Straßenverkäuferin, hat kein Lebenszeichen mehr von dem | |
halbwüchsigen Jesús, seit er zusammen mit einem Freund nach Norden | |
aufgebrochen war. Die beiden Teenager wollten es [2][irgendwie über die | |
Grenze in die USA schaffen]. Doch der Bus, in dem sie saßen, ist überfallen | |
worden; Monate später werden die Leichen der Insassen in einem Massengrab | |
entdeckt. Von Jesús allerdings findet sich nur eine Reisetasche, und | |
Magdalena klammert sich an die Hoffnung, dass ihr Sohn noch lebt. | |
Allein unterwegs im gefährlichen Bandengebiet, versucht sie Augenzeugen zu | |
finden, um zu erfahren, was wirklich beim Überfall auf den Bus geschah. | |
Doch es ist nicht einfach, den Spuren zu folgen, denn die Menschen haben | |
Angst, zu viel zu sagen. Während Magdalenas Weg nach Norden führt, ist zur | |
selben Zeit ein Junge in umgekehrter Richtung unterwegs. Miguel (David | |
Illescas), der es bereits in die USA geschafft hatte, ist von dort wieder | |
ausgewiesen worden. Auf dem langen Weg zurück nach Hause, den er | |
größtenteils zu Fuß bewältigen muss, ohne Geld, trifft er auf Magdalena und | |
nimmt sie mit zur Hütte seiner Mutter. Doch als sie dort ankommen, ist das | |
Haus verlassen. | |
## Keine Lösung für die Probleme der Menschen | |
Was mit Miguels Mutter passiert ist, werden wir nicht erfahren, denn in | |
diesem Film gibt es auf die meisten Fragen keine Antworten und für die | |
existenziellen Probleme der Menschen keine Lösung. Schon gar nicht | |
vonseiten des Staates, der Forensiker und Bürokraten mit Formularen in die | |
Krisenregion schickt, um den massenhaften gewaltsamen Tod zu verwalten, | |
aber die Lebenden nicht vor der grassierenden Gesetzlosigkeit zu schützen | |
weiß. | |
Doch wie man an Magdalena sieht, halten Menschen mitunter sehr viel aus. | |
Mercedes Hernández spielt diese erstaunliche Frau großartig zurückgenommen, | |
ohne viel äußere Regung und dabei ungemein intensiv. Sie hat mit Sicherheit | |
schon viel gesehen, ist auf der Hut und ohnehin auf alles gefasst. Sie | |
weiß, dass es kaum noch Hoffnung gibt, genau deshalb hat sie nichts zu | |
verlieren. Das lässt sich auch als Stärke begreifen. | |
Dann findet mitten in dieser eigentlich zutiefst trostlosen Geschichte auch | |
noch das kleine Wunder statt, dass zwei Menschen, Magdalena und Miguel, | |
eine spontane Schicksalsgemeinschaft bilden: eine Wahlfamilie. Immerhin für | |
eine Weile sind beide nicht mehr allein, sondern haben jemanden, auf den | |
sie sich verlassen können. | |
Fernanda Valadez und Kamerafrau Claudia Becerril Bulos filmen Magdalenas | |
und Miguels Geschichte in einem ausgesprochen sachlichen Duktus. Wie die | |
Kamera die ProtagonistInnen begleitet, ist von fast dokumentarischer | |
Strenge. (Daneben integriert Valadez auch viele quasidokumentarische | |
Elemente. Mit welchen Methoden etwa die Toten identifiziert werden, wird | |
detailliert dargestellt.) Sie lässt den Figuren viel Raum, bleibt auf | |
Augenhöhe, aber in dezenter Entfernung. | |
## Manchmal ist nur sehr wenig zu sehen | |
Der Film ist zu großen Teilen aus festen Einstellungen komponiert, die sehr | |
lang sein können. Manchmal ist nichts oder nur sehr wenig zu sehen, und | |
dieses wenige beginnt vielleicht irgendwann zu flimmern. Es sind Momente | |
der Meditation, der visuellen Verankerung im Hier und Jetzt: Niemand kann | |
wissen, was danach kommt, aber gerade jetzt steht die Kamera, | |
stellvertretend für die Perspektive der Charaktere, still und betrachtet | |
die Welt. | |
Nur in wenigen Szenen kommt das Bild spürbar in Bewegung; vor allem in den | |
paar Momenten, da der Film die Gewalt tatsächlich zeigt, vor der sich alle | |
fürchten. Und obwohl kaum etwas von dieser Gewalt zu sehen ist, sind es | |
Szenen, die ins Rückenmark gehen. Eine Ästhetisierung von Mord und | |
Totschlag findet nicht statt; die schockartige, alles umwälzende Wirkung | |
auf die Überlebenden wird dagegen umso deutlicher spürbar. Magdalena aber | |
trägt das Schicksal, eine Überlebende zu sein, mit großer menschlicher | |
Würde. Wie sie das tut, ist mehr als nur tröstlich. Es ist schlicht: schön. | |
8 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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