# taz.de -- Hamburger Gastronomie in der Pandemie: Die letzte Runde | |
> Die Pandemie macht der Gastronomie zu schaffen. Gewinne waren mit der | |
> Sperrstunde kaum möglich. Dass sie wegfällt, kommt für einige Kneipen zu | |
> spät. | |
Bild: Bald nicht mehr möglich: Abhängen am Tresen der Daniela-Bar | |
Hamburg taz | Auf dem Hamburger Schulterblatt ist am Samstag schon am Abend | |
viel los: Junge Leute sitzen draußen, lachen, quatschen. Das hat Patricia | |
Neumann seit Monaten nicht mehr erlebt. Wahrscheinlich weil die Sonne | |
schien, es war ein milder Wintertag. Gerade hat die Betreiberin [1][der | |
Daniela-Bar] alles vorbereitet, um 18 Uhr macht sie auf. Und ist erst mal | |
allein. | |
„Natürlich lohnt sich das überhaupt nicht, hier um 18 Uhr zu stehen. Die | |
wenigsten Leute gehen um sechs in die Bar, um einen Gin Tonic zu trinken“, | |
sagt Neumann. Aber den Laden später aufzumachen, würde sich noch weniger | |
lohnen – um 23 Uhr ist ja schon wieder Schluss. „Als würde das Virus bis 23 | |
Uhr schlafen. Für uns ist das wirklich nicht nachzuvollziehen.“ An Abenden | |
wie diesen machen die Betreiberinnen ein Null-Geschäft. | |
Früher hatte die Daniela-Bar bis 5 Uhr geöffnet. Heute graut es Neumann vor | |
der Zeit ab 22 Uhr. „Dann geht die Druckbetankung los, das ist einfach nur | |
anstrengend.“ Dass die [2][Sperrstunden ab Samstag Schnee von gestern] | |
sind, so hat es der Senat am Dienstag entschieden, wird die | |
Gastro-Kolleg*innen freuen. „Für viele hängt jetzt echt alles davon ab, | |
was entschieden wird.“ | |
Für sie selbst ist es jedoch egal. Gerade läuft in der Daniela-Bar „eine | |
Art Abschiedstournee“, sagt die 61-jährige Neumann. Im März schließt die | |
Bar, nach 30 Jahren. „Eigentlich hätten wir gerne noch ein paar Jahre | |
weitergemacht. Aber Corona hat uns die Lust am Barmachen wirklich | |
verleidet.“ Der Mietvertrag läuft aus. Ursprünglich wollten sie ihn noch | |
mal verlängern. Doch das war zu unsicher. „Wer weiß, was noch kommt.“ | |
## Mit Hartz IV und Rücklagen | |
Neumann und ihre Geschäftspartnerin Florence Mends-Cole haben teils von | |
ihren Rücklagen gelebt, im vergangenen Jahr waren sie sechs Monate lang auf | |
Hartz IV angewiesen. Der Vermieter hatte die Kaltmiete zeitweise zur Hälfte | |
gestundet. „Aber zahlen mussten wir sie ja trotzdem.“ | |
Doch nicht nur das Geld ist der Grund für das Ende: Den ganzen Abend über | |
die Maske zu tragen erschwere die Verständigung in der lauten Bar, strenge | |
zudem deutlich mehr an. „Nach einem Abend hier habe ich keine Stimme mehr.“ | |
Neumann zuckt mit den Schultern. In den vergangenen zwei Jahren sei einfach | |
ihre Leidenschaft für die Gastro verloren gegangen. „Wenn es dir keinen | |
Spaß mehr macht, dann musst du aufhören.“ Sie ist gespannt, wie es auf der | |
Ecke dort weitergeht, tippt auf Ketten. | |
Das Telefon klingelt: Die Aushilfe ist krank. Allein ist der Abend nicht zu | |
bewältigen – denn es geht ja nicht nur um die Bar. Gäste müssen | |
kontrolliert und platziert werden. Florence kann einspringen. „Was denken | |
sich die da oben?“, fragt Neumann gestikulierend. Zu Beginn der Pandemie | |
hätten sie und andere Kolleg*innen mit dem Barkombinat Hygienekonzepte | |
ausgearbeitet, seien damit beim Rathaus vorstellig, aber nicht gehört | |
worden. „Diese Gleichgültigkeit hat uns schon sehr verletzt.“ | |
Es ist 19.30 Uhr, die Tür geht auf. Neumann setzt ihre Lesebrille auf, | |
kramt eine Stablampe hervor. „Früher war es mein Job, gute Drinks zu machen | |
und die Leute zu unterhalten, heute bin ich der verlängerte Arm des | |
Ordnungsamts.“ Eine Gruppe junger Leute kommt rein, Neumann kontrolliert | |
akribisch alles, weist Plätze zu. „Joints bitte nicht hier drin.“ | |
Früher sei das Publikum schön gemischt gewesen, erzählt sie, zwischen 18 | |
und 75, darunter viele Stammkunden. Inzwischen entdecken immer mehr junge | |
Leute die Bar für sich. Denen müssen die beiden dann sagen, dass bald | |
Schluss ist. Nix mit neuer Stammkneipe. | |
Ab 20 Uhr ist Neumann eingespannt. Auch anderswo wird es voll: Um 21.30 Uhr | |
müssen vor der legendären Kellerkneipe „Mutter“ in der Stresemannstraße | |
schon Gäste draußen warten, weil es drinnen keine Sitzplätze mehr gibt. | |
Auch das ist aktuell noch Teil der Hamburger Coronaverordnung: Stehen | |
verboten. Mit anderen ins Gespräch zu kommen, neue Leute kennenzulernen, | |
das ist kaum noch möglich. | |
Anna hat Glück, sie hat einen Platz an der Theke ergattert. Sie gehe nicht | |
mehr so viel raus wie vor Corona, erzählt sie. „Wenn mir Leute ganz nahe | |
kommen, dann stresst mich das, weil ich es einfach nicht mehr gewöhnt bin.“ | |
Sie wohnt in der Schanze. Die Kneipen seien so wichtig für die | |
Stadtteilkultur, sagt Anna. Als Ort, an dem man sich austauschen und | |
verschiedene Meinungen haben könne. | |
Obwohl der Laden voll ist, könnten mit den aktuellen Umsätzen gerade mal | |
die Fixkosten bezahlt werden, erklärt Betreiber Matze Knoop: Thekenkräfte, | |
Getränkerechnungen, Miete, Nebenkosten. „Von uns macht das ja hier niemand, | |
weil er reich werden will oder weil das eine kluge Lebensentscheidung ist, | |
sondern weil wir von Herzen gerne Gastgeber sind.“ | |
Dass nichts übrig bleibe, sei trotzdem frustrierend. „Wir leben einfach von | |
der Hand in den Mund. Besser als nichts, wir sind sehr anspruchslos | |
geworden.“ 30 Prozent Umsatz fehlten momentan. „Das liegt auch daran, dass | |
die Spontaneität weggefallen und das Viertel einfach tot ist. Früher kamen | |
Leute vor oder nach einem Konzert oder dem Fußballspiel, Bands kehrten bei | |
uns ein.“ | |
„Nicht schlüssig“ nennt Knoop die aktuelle Politik. Sein Wunsch: | |
Sperrstunde aufheben und nur noch Geboosterte reinlassen. Das Recht darauf, | |
ein Gewerbe zu betreiben, sei genauso schützenswert wie das Recht auf | |
Eigentum. „Es kann doch nicht sein, dass die, die in der | |
Wertschöpfungskette unten stehen, alleine die Kosten auffangen müssen.“ | |
Apropos Kosten: Die Betreiber der „Mutter“ müssen [3][von den Coronahilfen] | |
über 15.000 Euro 9.000 zurückzahlen. In der Panik, aufgrund behördlicher | |
Schließung möglicherweise die Fixkosten nicht bezahlen zu können, nahmen | |
die Gastronomen die Hilfe 2020 schnell in Anspruch. Was viele nicht | |
wussten: Das Geld war an Vorgaben geknüpft. Die Auszahlungen sollten | |
überprüft werden und gegebenenfalls verzinst zurückgezahlt werden. | |
## Streit um Parkflächen | |
Dies hätten bei der Beantragung jedoch nur im Kleingedruckten gestanden, | |
kritisiert Knoop. Hinterher blieben nur noch rund 4.000 Euro. „Für drei | |
Monate, in denen wir fast komplett geschlossen und Fixkosten von 10.000 und | |
11.000 Euro hatten.“ Im Mai 2020 hatte die Bar außerdem über einen | |
T-Shirt-Verkauf 3.000 Euro eingenommen, die ebenfalls als Einnahmen von der | |
Soforthilfesumme abgezogen worden seien. | |
Dass Einnahmen und nicht etwa der Umsatz bei dieser Rechnung als Grundlage | |
gelten, kritisieren viele Bars. „Die Gastro-Szene in Hamburg ist mehr als | |
nur die allseits bekannten Ketten und Filialen der Systemgastronomie. Wir | |
haben das Gefühl, dass unsere lebendige Kultur mit Füßen getreten wird.“ | |
Wer noch nicht beschlossen hat dichtzumachen, muss die Verluste aus den | |
vergangenen Jahren irgendwie ausgleichen, um wieder auf einen grünen Zweig | |
zu kommen. Dafür hatte die Hamburger Gastro-Szene auf die weitere | |
Sondernutzung von Parkflächen gesetzt. Doch nun will die Stadt die Nutzung | |
wieder kassieren, zumindest im Bezirk Mitte. Die Entscheidung wird damit | |
begründet, dass Anwohner*innen vor Lärmbelästigung geschützt werden | |
müssten. | |
Die Gastro fühlt sich vergessen, wieder einmal: Die Fläche benötigten sie | |
zum Überleben, nicht um sich zu bereichern, sagen die Kiezwirt*innen. 16 | |
von ihnen haben eine Petition gestartet: „Wir wollen draußen sitzen – | |
Appell Parkflächen.“ | |
17 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Abschied-von-der-Daniela-Bar-in-Hamburg/!5822234 | |
[2] /Laender-beenden-Coronaregeln/!5835843 | |
[3] /Betrug-bei-Coronahilfen/!5829341 | |
## AUTOREN | |
Lea Schulze | |
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