# taz.de -- Geschenke zum Valentinstag: Romantik zum Abwinken | |
> Am Valentinstag versuchen viele, kommunikative Unfähigkeiten durch | |
> Materielles zu kompensieren. Unser Autor ist daran bislang stets | |
> gescheitert. | |
Bild: Die Grenze von romantischem Geschenk zu absolutem Cringe ist schmal | |
Ich führe eine Liste mit [1][romantischen Geschenken], für die ich | |
Ablehnung erfahren habe. Ich denke, dass mein Vater daran schuld ist (wer | |
sonst?). Ich denke, mein Therapeut würde das auch so sehen (er würde jetzt | |
bestätigend nicken). Kommunikative Unfähigkeiten durch materielle | |
Zuwendungen zu kompensieren, wer anderes sollte daran schuld sein als | |
Väter? Ist das nicht geradezu die Love Language einer ganzen patriarchal | |
erzogenen Vätergeneration? | |
Bei mir jedenfalls hat sich der Hang zur materiellen Liebesbekundung | |
dergestalt vererbt, dass ich als Heranwachsender versuchte, romantische | |
Zuneigung durch kleine „kreative“ Aufmerksamkeiten auszudrücken. Diese | |
Vorhaben sind nahezu alle gescheitert. Mit Ansage. Mit Anlauf. Mit recht. | |
Falls Sie also am [2][Valentinstag, am Festtag der kommerziellen Romantik], | |
derartiges im Sinn haben, machen Sie sich eines klar: Die Grenze von | |
romantischem Geschenk zu absolutem Cringe ist schmal, fließend, schnell | |
überschritten. Und wenn Sie sich dennoch dafür entscheiden, ein solches | |
Wagnis einzugehen, lernen Sie zumindest aus meinen Fehlern. | |
Mein erstes Scheitern mit einem romantischen Geschenk begab sich in der | |
Oberstufe des städtischen Gymnasiums. Ich verbrachte gerade viel Zeit mit | |
Chatten, Schwitzen und erfolglosen Versuchen einer unblutigen Nassrasur. | |
Außerdem war ich seit einiger Zeit in Dilara verliebt, die mir im | |
Deutschunterricht ab und an ihren Tintenkiller auslieh. Irgendwann begannen | |
wir auch via Messenger zu schreiben (über Hausaufgaben, Arbeitsblätter, | |
„wie sehr man die Klausur verkackt hat xD“ etc.). | |
## Ein ganz besonderer Liebesbeweis | |
Dilara war klüger als ich, ein Jahr älter und hatte ein Nasenpiercing. Sie | |
war Fan vom Fußballverein Galatasaray Istanbul und der Unabhängigkeit | |
Kurdistans. Auf Facebook beteiligte sie sich an Diskussionen auf | |
Fußballseiten und beschimpfte in den Kommentaren mit Leidenschaft andere | |
User:innen, die nicht ihrer Meinung waren. Wie sollte man sich da also | |
nicht verlieben? | |
Da ich nun nicht in der Lage war, meine Gefühle verbal zu kommunizieren, | |
entschied ich mich für einen „ganz besonderen“ Liebesbeweis. Ich überlegte | |
Wochen, vielleicht Monate, wahrscheinlich ein ganzes Schuljahr, wie ich | |
meine Verbundenheit angemessen demonstrieren konnte. | |
Der Geistesblitz war nun folgender: Ich verband ihre Interessen (Kurdistan | |
& Fußball) zu einem einzigartigen, persönlichen Geschenk. Ein Geschenk, das | |
vor Mut, Aufmerksamkeit und grenzenloser Cuteness nur so strotzen sollte: | |
eine Autogrammkarte des Fußballers Eren Derdiyok. | |
## 80 Cent plus Versandkosten | |
Eren Derdiyok, damals Angreifer der TSG 1899 Hoffenheim (19 Spiele, 1 Tor), | |
erlebte zu jener Zeit nicht gerade seine beste Karrierephase, sodass meine | |
Autogrammkartenanfrage für alle Beteiligten (Derdiyok, Vereins-Fanshop, die | |
zuständige Sachbearbeiterin) aus dem sprichwörtlichen Nichts kommen musste. | |
Allerdings stammte er eben aus der Region, aus der auch Dilaras Eltern | |
kamen. Die Verbindung war damit also glasklar. Derdiyoks größte | |
Saisonleistung, so malte ich es mir aus, würde also darin bestehen, zwei | |
Teenager-Seelen auf romantischste Weise zusammenzuführen, den Ball in | |
Dilaras Herzen gefühlvoll zu versenken usw. usf. Ich bestellte die Karte | |
auf der Seite tsg-hoffenheim.de für 0,80 Euro zuzüglich Versandkosten, | |
packte sie in einen Umschlag und übergab ihn halb zerknickt, halb | |
verschwitzt am letzten Schultag mit der Bitte, sie möge ihn erst zu Hause | |
öffnen. | |
Was dann passierte, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr. Verdrängung ist | |
hier das psychologische Zauberwort. Auch eine Eigenschaft, an der | |
wahrscheinlich mein Vater schuld ist (mein Therapeut würde sich jetzt eilig | |
Notizen machen). Jedenfalls sind wir nicht zusammengekommen und es war | |
natürlich alles todespeinlich. | |
Das ist die Moral. Das sollten Sie sich merken. Selbst wenn es Ihnen im | |
ersten Moment hochplausibel, geradezu genial erscheint, glauben Sie mir: | |
Sie gewinnen keine Herzen mit der Autogrammkarte eines im Herbst seiner | |
Karriere befindlichen, verletzungsanfälligen Bundesliga-Stürmers, der bei | |
einem belanglosen Provinzclub unter Vertrag steht. Nehmen Sie Abstand von | |
dieser Idee. Sie ist sehr schlecht. | |
## Ein Überraschungs-Becher | |
Romantische Geschenke sind natürlich nicht per se zu verdammen. Geschenke | |
mit dem Ziel, eine Person emotional für sich zu gewinnen, dagegen meistens | |
schon. Sie sind sehr wahrscheinlich ziemlich peinlich und im schlechtesten | |
Fall manipulativ. Denn sie setzen auf den Überraschungseffekt und haben den | |
Hang zur Theatralik, zur ganz großen Geste. Sie wollen das Gegenüber mit | |
erzwungener, emotionaler Wucht überwältigen, sodass der- oder diejenige gar | |
nicht anders kann, als sich darauf einzulassen. Sie sind für Typen, die ein | |
Schuljahr lang keinen Mut haben, aber im letzten Moment den ganz großen | |
Stunt versuchen. Vielleicht auch, um sich danach selbstmitleidig im Gefühl | |
des gescheiterten, wagemutigen Helden zu suhlen. Nun ja. | |
Andererseits ist das patriarchale Aufwachsen eben auch eine soziale | |
Realität. So abgedroschen man es finden mag: Nicht wenige Männer haben es | |
ja tatsächlich nie oder erst spät gelernt, Gefühle zu kommunizieren und | |
sich damit verletzlich zu zeigen. Allerdings sollte man sich dieser | |
Realität irgendwann stellen, anstatt ständig auf die eigene Sozialisation | |
zu verweisen (wo ist mein Therapeut eigentlich gerade?). Manchmal hilft | |
auch das Scheitern selbst, um zu dieser Einsicht zu gelangen. | |
Mein letztes romantisches Geschenk war ein Becher aus Hartplastik mit | |
3-D-Motiven, auf dem alle Mitglieder der [3][Band Tokio Hotel] abgebildet | |
waren. Einen Becher schön zu verpacken ist gar nicht so einfach. Deshalb | |
sah er auch ziemlich scheiße aus. Ich hatte gerade angefangen zu studieren | |
und dabei eine Frau kennengelernt, die mir von ihrer | |
Teenie-Tokio-Hotel-Phase erzählt hatte. Ich brachte also den Becher als | |
Überraschung zu unserem dritten Treffen mit und sie ihrerseits die | |
Entscheidung, mich nicht mehr wiedersehen zu wollen. | |
Wir saßen irgendwo am Kölner Rheinufer, es war sehr windig und dann auch | |
sehr still um uns. Ich sagte: „Also na ja, vielleicht willst du es jetzt | |
gar nicht mehr, aber ich hab dir noch etwas mitgebracht.“ Sie riss die | |
zerknitterte Verpackung auf und betrachtete den Becher, ohne eine Miene zu | |
verziehen. Ich sagte: „Also ich kann verstehen, wenn –“, da fuhr sie mich | |
an: „Ja meinst du, ich schmeiß den jetzt weg, oder was?“ Wir schauten dann | |
eine Zeit lang auf den braunen Rhein. Sie wendete den Becher ein paar Mal, | |
sodass die unterschiedlichen 3-D-Motive zur Geltung kamen. Ein Windstoß | |
wehte das Verpackungspapier über die leere Promenade, irgendwann begann es | |
leise zu nieseln. | |
14 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Luca Bognanni | |
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