# taz.de -- Militärcoups in Afrika: Der brave Soldat Damiba | |
> Was wollen Westafrikas Putschisten? Der neue Militärherrscher von Burkina | |
> Faso hat vor seinem Staatsstreich ein aufschlussreiches Buch geschrieben. | |
Bild: Im Volk recht beliebt: Putschistenführer und neues Staatsoberhaupt von B… | |
Es ist offensichtlich utopisch zu glauben, dass eine | |
Stabilisierungsinitiative Früchte tragen kann, ohne die Realitäten vor Ort | |
zu berücksichtigen.“ Mit diesem Satz schließt [1][Paul-Henri Sandaogo | |
Damiba] das Kapitel über ausländische Militärinterventionen in seinem Buch | |
„Armées Ouest-Africaines et Terrorisme: Réponses Incertaines?“ | |
(Westafrikanische Armeen und Terrorismus: unklare Antworten?), das 2021 in | |
Paris erschien. Vor zwei Wochen putschte sich Damiba in seiner Heimat | |
Burkina Faso an die Macht. | |
Die [2][Umstürze in Mali, Guinea und jetzt Burkina Faso] haben Angst vor | |
einer Kettenreaktion in Westafrika erzeugt und der Frage nach dem Verbleib | |
ausländischer Interventionskräfte neue Brisanz verliehen. Wer verstehen | |
will, warum in Burkina Faso und in Mali junge Offiziere die Macht ergriffen | |
haben, die zuvor an vorderster Front gegen den Terror standen, findet in | |
Damibas Buch aufschlussreiche Antworten. | |
Die [3][terroristische Bedrohung] „folgt lokalen Logiken und erfordert | |
angepasste lokale Lösungen“, schreibt der Offizier. „In Ermangelung der | |
Fähigkeit, eigene und angepasste Orientierungen in der Terrorbekämpfung | |
definieren zu können, geben sich die Armeen in Westafrika damit zufrieden, | |
ihre Operationen gegen den gewalttätigen Extremismus in eine globale Logik | |
einzufügen, die von den Großmächten oder im Sinne internationaler | |
Strategien festgelegt ist. | |
Die Tendenz, Vorgehensweisen aus anderen Zeiten oder anderen Kontexten | |
nachzuahmen, führt zum Verlust des Innovationsgeistes, schließt den Blick | |
für andere Sichtweisen und verurteilt viele Länder dazu, in ihrem Kampf | |
steckenzubleiben.“ Vernichtender kann man das Scheitern kaum ausdrücken. | |
Damiba malt ein Tableau einer Weltregion, in der Staaten den | |
Herausforderungen ihrer Gesellschaften nicht gewachsen sind. „Viele“ | |
Sahelstaaten, schreibt er, „behandeln bestenfalls einige Symptome und | |
gießen schlimmstenfalls Öl ins dschihadistische Feuer“. | |
## Keine Chance bei der Terrorbekämpfung | |
Und die Soldaten zahlen den Preis. Das ist kein Plädoyer für blinde | |
Gewaltanwendung. Damiba ortet die Wurzel des islamistischen Terrors ganz | |
klar im Staatsversagen. Als „terroristische Gruppe“ definiert er „jede | |
Gruppe von Menschen, die in einem ungünstigen Kräfteverhältnis steckt und | |
als Mittel der Kritikausübung an der Politik außerhalb jedes legalen | |
Rahmens zu einer Reihe potenziell tödlicher Gewaltmittel greift, um ihre | |
Werte zu betonen oder aufzuzwingen und aus der Verbreitung kollektiver | |
Angst in einem gegebenen Territorium Profit zu schlagen“. | |
Das Buch sortiert die Terrorgruppen der Sahelzone nach Herkunft ihrer | |
Anführer – „arabisch“, [4][„Tuareg“] oder „schwarz“ – und besc… | |
als Parallelstaaten mit beträchtlichen Machtmitteln. [5][Boko Haram in | |
Nigeria] hat eine eigene Luftabwehr. Der „Islamische Staat Westafrika“ um | |
den Tschadsee profitiert jährlich bis zu 36 Millionen US-Dollar vom Handel | |
mit Fisch, Pfeffer und Reis. Die „Macina-Befreiungsfront“ in Mali nimmt | |
Bezug auf einen vorkolonialen Staat, ebenso Rebellen der Peul-Volksgruppe | |
in Burkina Faso. | |
Ausführlich beschreibt Damiba, wie europäische Regierungen gekidnappte | |
Weiße aus islamistischer Geiselhaft freikauften und damit die Terrorgruppen | |
anschubfinanzierten: insgesamt 150 Millionen Euro an „al-Qaida im | |
Islamischen Maghreb“ in Algerien bis 2011; fast 20 Millionen US-Dollar für | |
zwei Spanier und einen Italiener in Mali 2012; fast 10 Millionen Euro für | |
eine Französin und zwei Italiener in Mali noch 2020. | |
Diese gigantischen Geldströme kontrastiert Damiba mit den Kürzungen der | |
Staatsausgaben, auch für das Militär, aufgezwungen von internationalen | |
Geldgebern. Die Armeen erwiesen sich als unfähig: Einst zur | |
zwischenstaatlichen Kriegführung aufgebaut, besteht ihre Einsatzerfahrung | |
tatsächlich in UN-Blauhelmeinsätzen im Ausland oder in der Repression im | |
Inland. | |
## Zwecklose Militäreinsätze | |
Gegen einen militärischen Gegner im eigenen Land können sie wenig | |
ausrichten: zu wenig Geld, zu wenig Erfahrung, zu wenig Führung, dazu eine | |
„inkohärente“ Fülle von internationalen Akteuren. „Oft sieht man an | |
derselben Front verschiedene Kampfgruppen, die unterschiedlichen | |
Befehlsketten unterstehen, im Einsatz gegen dieselben terroristischen | |
Organisationen“, so Damiba. | |
Neben der Klarheit der Analysen ist an Damibas Binnensicht zweierlei | |
bemerkenswert. Erstens: Fast alles, was er schreibt, ist bekannt, auch wenn | |
man es selten aus dieser Perspektive liest. Das macht sein Buch umso | |
bedeutsamer: Die vielen kritischen Analysen zum Terror im Sahel liegen | |
richtig – und doch werden sie ignoriert. Findet ein Putschist vielleicht | |
mehr Gehör? | |
Zweitens: Die Regierungen der Sahelstaaten kommen bei Damiba so gut wie gar | |
nicht vor. Kein Präsident, kein Wahltermin ist der Erwähnung wert, | |
Verfassungen spielen keine Rolle. Die ganze demokratische Fassade, zu deren | |
Stabilisierung Tausende europäische Soldaten unterwegs sind und | |
Milliardengelder fließen, ist ihren Partnern vor Ort offensichtlich | |
unwichtig. Kein Wunder, dass es sie wenig Überwindung kostet, zum Mittel | |
des Staatsstreichs zu greifen. | |
## Sanktionen wären die falsche Alternative | |
Was folgt daraus? Die laufenden internationalen Militäreinsätze haben keine | |
Zukunft. Sie müssen enden. Die neuen Militärherrscher zu sanktionieren und | |
zu isolieren wäre aber die falsche Alternative – ein Ausdruck beleidigter | |
europäischer Rechthaberei. Nötig ist ein Dialog, der zu einer neuen Art von | |
Zusammenarbeit führt. | |
In Burkina Faso, der „Republik der Aufrechten“, ist das Ideal des integren | |
Soldaten, der selbstlos sein Land erneuert und dafür auf Werte | |
zurückgreift, für die sich korrupte Politiker nicht interessieren, sehr | |
lebendig. Es geht auf den Revolutionshelden Thomas Sankara aus den 1980er | |
Jahren zurück – noch ein junger Putschist, der den eigenen Kameraden zum | |
Opfer fiel. Wenn sich heute noch Soldaten an Sankara als Vorbild erinnern, | |
ist das für eine Überwindung des Terrors im Sahel nicht die schlechteste | |
Voraussetzung. | |
7 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Militaerputsch-in-Burkina-Faso/!5827686 | |
[2] /Umsturz-in-Burkina-Faso/!5827777 | |
[3] /Angriffe-und-Entfuehrungen-in-Westafrika/!5488132 | |
[4] /Schmuggel-in-der-Sahara/!5066624 | |
[5] /Terror-in-Nigeria/!5792663 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
## TAGS | |
Afrobeat | |
Putsch | |
Burkina Faso | |
Militäreinsätze | |
Bundeswehr | |
Burkina Faso | |
Burkina Faso | |
Guinea-Bissau | |
Burkina Faso | |
Burkina Faso | |
Burkina Faso | |
Burkina Faso | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Urteil in Burkina Faso: Lebenslang für Expräsident | |
In Burkina Faso verurteilt ein Militärgericht den 2014 gestürzten | |
Langzeitherrscher Blaise Compaoré zu lebenslanger Haft. Allerdings in | |
Abwesenheit. | |
Burkina Faso nach dem Putsch: Das Militär bleibt an der Macht | |
Wahlen erst in drei Jahren, besagt der neu vorgestellte Fahrplan für eine | |
Rückkehr zur Demokratie nach dem Militärputsch vom Januar in Burkina Faso. | |
Umsturzversuch in Guinea-Bissau: Lage „unter Kontrolle“ | |
In dem westafrikanischen Staat kommt es am Dienstag zu Schusswechseln am | |
Präsidentenpalast. Das befeuert die Sorgen um die Region. | |
Militärputsch in Burkina Faso: Wer ist Sandaogo „Armee“ Damiba? | |
Paul-Henri Sandaogo Damiba ist der neue starke Mann in einem der ärmsten | |
Länder der Welt. Seine geplante Aufgabe: den Staatszerfall stoppen. | |
Staatsstreich in Burkina Faso: Militär ergreift die Macht | |
Eine Militärjunta namens „Patriotische Bewegung für Rettung und | |
Restauration“ übernimmt in Burkina Faso die Führung. Präsident Kaboré ist | |
abgetreten. | |
Umsturz in Burkina Faso: Dominoeffekt in Westafrika | |
Erst Mali, dann Guinea, jetzt Burkina Faso: Westafrika erlebt eine neue | |
Welle der Instabilität. Sie hängt auch mit Europas Sahel-IS-Politik | |
zusammen. | |
Krise in Burkina Faso: Immer mehr Putsche in Westafrika | |
Auch in Mali und Guinea wurden zuletzt gewählte zivile Präsidenten | |
gestürzt. Die Putschisten dort widersetzen sich dem internationalem Druck. |