| # taz.de -- Wenn wir eingesperrt sind: Daheim mit Corona | |
| > Derzeit sind wohl so viele Menschen in Quarantäne wie nie zuvor. Fünf | |
| > Menschen im Alter zwischen 4 und 70 erzählen, wie diese Zeit erleben. | |
| Bild: Immerhin bringen die Nachbarn Wassernachschub | |
| ## Die Vorhölle in meinem Kopf | |
| Ich werde wachgehämmert. Irgendwas stimmt nicht. Bohrt sich da gerade ein | |
| Presslufthammer durch meine Schädeldecke? | |
| Eigentlich bin ich Kopfschmerzspezialistin: pochen, ziehen, drücken oder | |
| Aura – ich kenne sie alle. Meine erste Migräneattacke hatte ich mit elf. | |
| Aber das? | |
| Langsam versteht mein noch müder Kopf: Kurt steht mit seinem | |
| Presslufthammer keine zwei Meter unter meiner Matratze und trennt | |
| wahrscheinlich gerade Kachel für Kachel von der Wand ab. | |
| Kurt, so habe ich die Handwerker:innen aus dem 2. Stock getauft, die | |
| seit Wochen daran arbeiten, aus der Altbauwohnung unter uns ein Loft zu | |
| zaubern. | |
| Das war schon ätzend, bevor es sich das Virus in meinem Körper bequem | |
| gemacht hat – jetzt ist es die Vorhölle. | |
| Dank des Pochens in meinem Kopf ist mir bereits schlecht, bevor ich die | |
| Augen öffne. Was mache ich jetzt? Runtergehen und Kurt um Gnade bitten? Nur | |
| – ich darf die Wohnung nicht verlassen. Aus dem Fenster hängen und | |
| runterschreien? Meine Stimme käme niemals durch die geschlossenen Fenster, | |
| durch Kurts Kopfhörer – die er hoffentlich trägt – und gegen den | |
| Presslufthammer an. Ich entscheide mich für 400 mg Ibuprofen. | |
| In den nächsten Stunden wird mir eine akustische Produktpräsentation | |
| geboten. Ich rate mit: Ah, ein Schwingschleifer, dann eine Flex? Und wieder | |
| Gehämmer. Das nächste Geräusch kenne ich noch nicht … ein | |
| Industriestaubsauger? Das Surren vermischt sich mit dem mittlerweile nur | |
| noch gleichmäßigen Druckschmerz hinter meiner Stirn. | |
| Um 15 Uhr endlich Stille – in und außerhalb meines Kopfes. Und die beste | |
| Nachricht des Tages auf meinem Display: Pizza im Bad. Danke, Papa. | |
| Sophie Fichtner, 25, lebt derzeit bei ihren Eltern | |
| ## Die lieben coronaleugnenden Nachbarn | |
| Für einen Menschen, der sehr gern draußen ist, ist Quarantäne generell eine | |
| belastende Sache. Und das hatten mein dreijähriger Sohn und ich jetzt schon | |
| unzählige Male, obwohl wir gesund waren. | |
| Zum ersten Mal aber sind wir nun coronakrank und in Quarantäne, und das | |
| zeitweise mit starken Symptomen. Und als wäre es nicht herausfordernd | |
| genug, den Alltag krank allein mit krankem Kind zu meistern, kommt | |
| erschwerend unsere schwerhörige Nachbarin hinzu. | |
| Die gute Dame – Ü60, „Alt-Hippie“, ausgesprochen freundlich und lieb –… | |
| Anhängerin verschiedenster Verschwörungserzählungen und leugnet Corona. Das | |
| wurde mir sofort klar, als ich mir bei meinem Einzug Werkzeug leihen wollte | |
| und sie mir bei der Gelegenheit sämtliche Zusammenhänge über das Agieren | |
| einer globalen Machtelite weismachen wollte und mir sagte, das mit Corona | |
| sei alles Lüge. In leider auch durch die Wand gut hörbaren Telefonaten | |
| erzählte sie seither Menschen, sie sollten sich bloß nicht testen lassen, | |
| die Tests seien alle kontaminiert. | |
| Sie schaltet zudem liebend gern ihren Fernseher an; zumindest dröhnt das | |
| Gerät ab dem Abend auch durch unsere Wohnung und treibt den ohnehin | |
| pochenden Kopf gefährlich nahe an die Grenze des Platzens. | |
| In der Vergangenheit habe ich keine Scheu gehabt, bei ihr zu klingeln und | |
| sie zu bitten, das Ding leiser zu stellen, nur haben wir jetzt Corona. Da | |
| die Frau mir ausdrücklich verbietet, Maske zu tragen, und auch nicht | |
| geimpft ist, haben wir jetzt keine Chance. Ich kann mich nicht bei ihr | |
| beschweren, weil ich sie schützen will. Ein Dilemma. | |
| Ronja Malin, 33, alleinerziehend | |
| ## Teil einer Studie, zu der ich mich nie angemeldet habe | |
| Das Blödeste an Corona sind nicht die Kopfschmerzen, auch wenn die redlich | |
| versuchen, mir den Schädel zu spalten. Es gibt Tabletten. | |
| Das Blödeste an Corona ist nicht, dass mein Buch in dieser Zeit | |
| herauskommt. Die Interviews mache ich trotzdem. Es gibt Tabletten. | |
| Das Blödeste an Corona ist auch nicht das ständige Schlafen. Das kann ich | |
| normalerweise schlecht, also hole ich die letzten fünf Jahre nach. | |
| Was mich an Corona tatsächlich nervt: dass reiche Menschen auch in dieser | |
| Zeit noch reicher und arme Menschen noch ärmer geworden sind. Am 20. Januar | |
| twittert die kommunistische Autorin Bini Adamczak: „Erinnert ihr euch noch | |
| an die Appelle im ersten Lockdown, die Krise als Chance zu sehen, eine | |
| bessere Version eurer selbst zu werden usw? Die Milliardärinnen dieser Erde | |
| haben ihr Vermögen seit März 2020 um 5 Billionen $ vergrößert. Und was habt | |
| ihr die letzten zwei Jahre so gemacht?“ | |
| Blöd an Corona ist auch, dass man zum Spiegel der Befindlichkeiten anderer | |
| wird. Nachrichten kommen per Messenger. Dass es mir nicht so schlecht geht, | |
| beweise doch … Dass ich drei Mal geimpft sei und trotzdem krank wurde, | |
| zeige doch … Dass meine Impfreaktionen sich schlimmer anfühlten als die | |
| Woche Corona, sei doch ein Beweis für … | |
| Ich bin Teil einer Studie, zu der ich mich nie angemeldet habe. Ihr | |
| Ergebnis steht bereits fest: Solidarität ist für den Eimer, und | |
| Wissenschaft ist eine neue Variante von Mau-Mau. | |
| Soll ich lügen? Übertreiben, ein bisschen wenigstens? So ein kleiner | |
| Leidens-Post bei Twitter, machen andere ja auch. Ich versuche einen zu | |
| schreiben, ich langweile mich selbst dabei. | |
| Daniel Schulz, 42, taz-Redakteur | |
| ## Quarantäne ist eben Quarantäne | |
| Ich bin ein aktiver Mensch. Dazu noch sehr reiselustig. Zwei Wochen lang | |
| die Wohnung nicht zu verlassen, das erfordert schon Disziplin. Dabei war es | |
| bereits das zweite Mal. Die erste Quarantäne war bewusst herbeigeführt, | |
| denn ich wusste, dass ich mich nach einem Familienbesuch in Brasilien für | |
| 14 Tage isolieren musste. Schwer war es dennoch, denn gefühlt fehlte mir | |
| nichts. Ich war doppelt „negativ“ getestet, musste aber die Zeit | |
| durchhalten. Dabei kamen mir schon Gedanken, wie wir zukünftig leben wollen | |
| und müssen. | |
| Aber beim zweiten Mal war ich „positiv“. Zum Glück waren die Symptome wenig | |
| belastend. Deshalb hat es mir keine Angst gemacht. Sowieso bin ich geimpft | |
| und überzeugt, dass das hilfreich ist. | |
| Doch meinen Terminkalender für die nächsten 14 Tage musste ich streichen. | |
| Ich war wieder extrem strikt und habe die Wohnung 14 Tage nicht verlassen – | |
| nicht mal zum Briefkasten. Meine wunderbare, hilfsbereite Nachbarschaft hat | |
| mich derweil tatkräftig unterstützt. Ich brauchte nur wen anrufen, kannst | |
| du mir was besorgen, dann haben sie es mir vor die Tür gestellt. | |
| Der Alltag ging eigentlich so weiter wie bisher. Ich erledigte meine | |
| Aufträge als freiberufliche Redakteurin vom Schreibtisch aus, was ich auch | |
| mit 70 als Rentnerin noch gern mache. Dank moderner Technik ist | |
| Kommunikation ja aus der Quarantäne heraus möglich. | |
| Auch habe ich meine Nähmaschine wiederentdeckt. Eines ist mir allerdings | |
| sehr schwer gefallen: müde zu werden. Auch wenn ich bei langen Telefonaten | |
| immer durch die Wohnung gelaufen bin, ist das kein Ersatz für ausgedehnte | |
| Wanderungen. | |
| Dennoch blicke ich optimistisch in die Zukunft, wenngleich das Reisen | |
| inzwischen zu einer großen Herausforderung geworden ist. | |
| Lis Berten, 70, freiberufliche Lektorin, Rentnerin | |
| ## Das Geheimnis hinter den zwei Streifen | |
| Zwei Mal in meinem Leben habe ich mich sehr gefreut über zwei Streifen auf | |
| einem Schnelltest. Beide Male wurde ich 9 Monate später Vater. | |
| Als ich mich im Januar mit Corona infizierte und die anderen drei | |
| Mitglieder meiner Infektionsgemeinschaft auch, habe ich mich nicht so | |
| gefreut. Aber ein wenig doch. | |
| Das mag für Menschen, die schwere Verläufe, gefährlichere Mutanten oder | |
| weniger verständnisvolle Chefs erwischt haben, unverständlich sein, aber | |
| meine spontane Reaktion war Erleichterung. Endlich, dachte ich, ist nach | |
| zwei Jahren das Weglaufen, das Angsthaben, das Warten vorbei. | |
| Die knapp zwei Wochen zu Hause, ohne Arbeit, aber mit zwei Kleinkindern, | |
| waren dann unerwartet schön, besonders als die Grippesymptome nachließen. | |
| Ich merkte, dass Puzzlen und Memoryspielen mehr Spaß macht, wenn man nicht | |
| todmüde ist und an den To-do-Zettel denkt. Auch die Kinder waren | |
| zufriedener: Kein Geschrei, keine Kämpfe ums Zähneputzen und Aufräumen. Ja, | |
| das klingt wie eine schwere Nebenwirkung, wie eine Halluzination, aber so | |
| war es! | |
| Anspruchsvoll war es, sich jeden Tag neue Spiele auszudenken, deshalb hier | |
| eine unvollständige Liste: | |
| - Der Boden ist Lava: Einen Parcours mit Stühlen und Tischen, Sofas und | |
| Rollbrettern durch die Wohnung aufbauen | |
| - Fernsehen! Aber nicht als Verschnaufpause für die Eltern und nicht Paw | |
| Patrol, sondern gemeinsam alte Kinderfilme ansehen, unbedingt: Augsburger | |
| Puppenkiste | |
| - Aus Sushistäbchen ein Floß bauen | |
| - Ein Trampolin ausleihen und die Energie weghüpfen | |
| Als ich die Kinder nach zwei Wochen an der Kita absetzte und ihnen | |
| hinterherwinkte, hätte ich heulen können. Jetzt beginnt wieder der | |
| Wahnsinn, den wir Alltag nennen. | |
| Kersten Augustin, 33, taz-Redakteur | |
| ## Corona, das ist das Zeug, das im Körper drinsteckt | |
| In drei Wochen werde ich fünf. Nach meinem Geburtstag sollte ich auch eine | |
| Impfung gegen Corona bekommen. Aber jetzt hatte ich es schon. War aber | |
| nicht schlimm. Es war schön, so lange zu Hause zu sein und dass Mama und | |
| Papa so viel Zeit hatten. | |
| Ich habe ein Bild gemalt, da sind meine Schwester Pauline und ich drauf. | |
| Man kann in meinen Körper reingucken, weil Corona auch im Körper drin ist: | |
| Da sind das Herz, der Magen mit Essen, die Lunge, Adern und Knochen. Und | |
| die Seele. In meiner Hand ist mein Schnitzmesser. Wir haben uns nämlich | |
| jeden Tag auf den Balkon gesetzt und einen Stock geschnitzt. Auf die | |
| Murmeln habe ich ein Kreuz gemalt, damit Pauline die nicht verschluckt. | |
| Jone, 4, Kitakind | |
| 10 Feb 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Annika Glunz | |
| Sophie Fichtner | |
| Kersten Augustin | |
| Daniel Schulz | |
| Lis Berten | |
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