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# taz.de -- Musikfestival Ultraschall Berlin 2022: Flüssiges Metall, farbige G…
> Das Festival Ultraschall Berlin spielt dieses Jahr wieder Konzerte vor
> Publikum. Auf dem Programm steht auch eine „experimentelle Radio-Oper“.
Bild: Das Eröffnungskonzert von Ultraschall Berlin mit dem DSO und dem GrauSch…
Die Veranstalter von Ultraschall Berlin können sich freuen. Beim „Festival
für neue Musik“, das die Sender Deutschlandfunk Kultur und RBB Kultur stets
im Januar ausrichten, gibt es wieder Publikum im Saal.
Im vergangenen Jahr hatte das „Radiofestival“ eine [1][Pandemieausgabe ohne
Orchester, dafür rein mit Kammermusik als Notlösung erprobt, bei der die
Kammermusiker vor leeren Sitzreihen spielten und das Programm
ausschließlich im Radio zu hören] war. Jetzt gibt es erneut die gewohnte
„hybride“ Form, in der die Konzerte entweder live ausgestrahlt oder später
als Aufzeichnung gesendet werden. Man hat so wieder die Wahl zwischen
hingehen, unter 2G+-Bedingungen, versteht sich, oder zu Hause hören.
Für das Eröffnungskonzert am Mittwoch war der heimische „Konzertbesuch“
nicht die günstigste Variante, denn ein wenig von der Farbenzauberei, die
das Deutsche Symphonie-Orchester (DSO) unter der Leitung von Jonathan
Stockhammer zelebrierte, ging auf dem UKW-Übertragungsweg wohl verloren.
Dass es auch unter diesen Umständen ein Erlebnis war, dürfte allemal für
die Auswahl und Ausführung sprechen.
Zum Auftakt holte das Festival zunächst ein Versäumnis nach. Vor zwei
Jahren schon hatte das Orchesterstück „glut“ des Schweizer Komponisten
Dieter Ammann zur Eröffnung erklingen sollen, fiel dann aber aus, weil der
Dirigent Marc Albrecht erkrankt war. Stockhammer war seinerzeit eigens
angereist, um dieses Stück zu hören, wie er im Pausengespräch mit dem
RBB-Moderator Andreas Göbel erwähnte. Dass er es jetzt selbst dirigieren
konnte, dürfte dem bekennenden Ammann-Fan als späte Gutmachung genügt
haben.
## Klangstrudel bilden
Und es ist ein fantastisches Stück. Buntschillernd bewegt sich der Klang in
ständigem Fluss durch die verschiedenen Instrumentengruppen, gestaltet sich
zwischendrin in stärker isolierten, kleiner zusammengesetzten Gruppen etwas
transparenter, um im nächsten Moment den wuchtigen Klangstrudel
fortzusetzen, aus dem einzelne Gruppen in stets neuen Konstellationen
wieder und wieder herausgespült werden.
Ammanns Kunst besteht unter anderem darin, dass die Präzision, mit der er
sich des Orchesters bedient, im Detail gar nicht offen zutage tritt, aber
in der energischen Bewegung deutlich zu spüren ist.
Um Bewegung ging es gleichfalls im Konzert für zwei Klavier und Orchester
„Macchine in echo“ des italienischen Komponisten Luca Francesconi, das das
DSO am selben Abend mit dem GrauSchumacher Piano Duo spielte. Darin reiben
sich die Dinge stärker aneinander, seien es die repetitiv insistierenden
Klavierfiguren oder der kraftvolle Leerlauf des Orchesters, dessen dichte
Bläsersätze besonders wuchtig eingesetzt sind.
Oft scheint die Bewegung dieser „Maschinen“ zu stocken, als hätte sich das
Stück irgendwo verhakt. An einigen Stellen verfremdet Francesconi den
Klavierklang elektronisch, kombiniert ihn mit vielseitigem Schlagzeug, zu
dem sogar die Geräusche einer Bohrmaschine zählen. Ungeachtet der
eingebauten Stolpersteine entwickelt sich eine unbeirrte Dynamik.
Kaum zuzuordnen waren schließlich die Orchesterklänge, mit denen die
[2][serbische Komponistin Milica Djordjević] in ihrem Stück „Quicksilver“
arbeitete. Streicher, vierteltönig gegeneinander gestimmt, und Perkussion
wie Tamtam versieht sie mit einem seltsam metallischen Schimmer. So klang
das Orchester bei ihr am wenigsten wie ein Orchester, genauer gesagt: wie
ein herkömmliches Orchester. Es scheint mitunter in sich selbst zu
zerfließen.
Djordjević konzentriert sich in ihrer Musik auf die
Gestaltungsmöglichkeiten zwischen Ton und Geräusch, was man sehr schön an
Effekten wie verschachtelten Glissandi der Streicher merkte. Diese hätten
ebenso gut elektronische Signale sein können.
## Afrodeutscher Philosoph
Eindeutiger war die Lage am Donnerstag im Radialsystem, wo die Neuen
Vocalsolisten das Werk „AMO“ des US-amerikanischen Komponisten George Lewis
zum ersten Mal in Deutschland aufführten. Die sechs Sänger traten
ausdrücklich in Dialog mit „Live-Elektronik“, die ihre Stimmen fast
durchgehend in der einen oder anderen Form bearbeitete.
Lewis hat seine Komposition dem [3][afrodeutschen Philosophen Anton Wilhelm
Amo (1703-1759)] gewidmet, als Textgrundlage dient dessen „Disputatio
philosophica continens ideam distinctam eorum quae competunt vel menti vel
corpori nostro vivo et organico“ über den Unterschied von Geist und Körper.
„AMO“ hat etwas Spukhaftes, oft hallt der Gesang nach, dann wieder scheinen
die Sänger mit ihren gleitenden Tönen im Raum herumzugeistern. Vereinzelt
setzt Lewis erweiterte Vokaltechnik wie Hecheln, Zischen oder hohes Kieksen
ein, wobei die Elektronik auch dort schon mal nachhilft. Dann wieder werden
einzelne Wörter wie „habitus“ mantraartig, zugleich rhythmisch versetzt
wiederholt. Innerlich will diese Musik bewusst nie so ganz werden, Lewis
erzeugt andererseits eine Art von reflektiert meditativer Stimmung.
## Gentrifitzierung als Making-of
Im anstehenden Programm bis Sonntag kann man gespannt sein auf den offenen,
forschenden Ansatz von „The New Recherche“ der Komponisten Hannes Seidl,
Sara Glojnarić und Charles Kwong und des Ensemble Recherche, einer
„kollaborativen Entwicklung“ zum Thema Gentrifizierung, deren „Making-of�…
am Freitag im Heimathafen Neukölln uraufgeführt wird.
Mit dem Format des Radios spielt tags darauf die neuseeländische
Komponistin Celeste Oram, die im Radialsystem mit dem Ensemble Adapter ihre
experimentelle Radio-Oper „Yunge Eylands Varpcast Netwerkið“ vorstellt, in
der die menschliche Stimme einen prominenten Auftritt hat. Passend dazu
überträgt Deutschlandfunk Kultur live.
21 Jan 2022
## LINKS
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[3] /Afrikanischer-Aufklaerer/!5674617
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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