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# taz.de -- Die Wahrheit: Weltmeister der Persönlichkeit
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (138): Mannigfaltige
> Eulenarten stehen derzeit weltweit hoch im Vogelkurs.
Bild: Boreale Eulchen mit kritischem Blick auf das ganz große Ganze
Man spricht von „Eulen nach Athen tragen“ – und meint überflüssige
Handlungen. Das bezog sich einst auf die griechischen Münzen, Drachmen,
wovon das reiche Athen genug besaß. Auf ihnen prangte eine Eule: der
Steinkauz. Er war das Begleittier der Göttin Athene, nach der die Stadt
benannt war. In der Komödie „Die Vögel“ von Aristophanes heißt es: „An
Eulen wird es nie mangeln.“ Später wird man den Steinkauz Athene noctua
nennen – nächtlicher Vogel der kriegerischen Göttin, deren Weisheit „erst
in der Dämmerung ihren Flug beginnt“, wie Hegel befand. Zur Gattung der
Athene zählt man heute weitere Kauzarten in Sibirien, Indien und
Nordafrika.
Das US-Magazin National Geographic meint: „Aus der Allgegenwärtigkeit der
gefiederten Räuber rund um Athen ergab sich schlussendlich der Ausspruch
‚Eulen nach Athen tragen‘.“ Es gab dort 400 vor Christus also nicht nur
viele, viele Drachmen, sondern auch ausreichend Steinkäuze, man sollte
diese kleinen „gefiederten Räuber“ deshalb ruhig zu Hause lassen.
Aber dann, mit der Abschaffung der griechischen Götter durch das
Christentum, gerieten die Steinkauze, eigentlich alle Eulen im christlichen
Machtbereich, in Verschiss: Sie galten fortan als „Zeichen für die Mächte
der Finsternis, der Einsamkeit, Verheerung und schlechten Nachrichten“,
heißt es im Lexikon der Symbole (1980). Die „nächtlichen Jäger“ waren ke…
Vögel der Weisheit mehr, sondern Vögel des Todes. Wenn ein Steinkauz ruft,
dann stirbt ein Mensch – besser also: Man bringt diese Vögel ein für alle
Mal zum Schweigen. Das ist den Anhängern dieser Schafreligion gottlob nicht
ganz gelungen.
## Schriftsteller trägt Eule nach Athen
Im Jahr 2021 war der Steinkauz in der Schweiz aber „Vogel des Jahres“, was
auch heißt, dass die Art immer seltener wird. Man hört ihn dennoch
gelegentlich (das gilt als „Sichtung“), er hat „ein relativ breites
Rufrepertoire“. Wie immer es nach dem Zweiten Weltkrieg um die
Steinkauz-Population in und um Athen stand – der Schriftsteller Wolfgang
Hildesheimer hat zur Sicherheit einen lebenden nach Athen gebracht und ihn
dort auf der Akropolis freigelassen, wie er in seinem Bericht „Ich trage
eine Eule nach Athen“ (1956) schreibt.
Heute erfreuen sich fast alle Eulenarten steigender Beliebtheit.
Dementsprechend mehren sich die Eulenbücher im Handel. Erwähnt sei das 2014
erschienene „Eulen: Ein Porträt“ von Desmond Morris, einem englischen
Zoologen, der einige Bücher über die Körpersprache veröffentlicht hat.
Ferner das Buch des deutsch-amerikanischen Ornithologen Bernd Heinrich über
einen Greifvogel, mit dem er zusammenlebte: „Ein Forscher und seine Eule“
(1995).
Beide Berichte enthalten eine ähnlich gute Mischung aus wachsender
Zuneigung und abnehmender Objektivität. Geradezu rührend ist daneben die
Geschichte des Militärhistorikers Martin Windrow über „Die Eule, die gern
aus dem Wasserhahn trank. Mein Leben mit Mumble“ (2015). Bei Lesungen
kommen dem Autor noch immer die Tränen, wenn er auf den Tod von Mumble zu
sprechen kommt. Solange sie lebte, musste jeder Besucher einen Stahlhelm
bei ihm in der Wohnung tragen, weil Mumble gerne auf Köpfen landete. Und
überall musste er Zeitungspapier auslegen, weil „stubenrein“ für die
meisten Vögel keine Option ist.
## Rabiater kleiner Steinkauz
Wild lebende Eulenarten erforschte in mehreren Ländern die englische
Tierbuchautorin Miriam Darlington, worüber sie in ihrem erkenntnisreichen
Buch „Die Magie der Eulen. Auf Eulensuche in Europa“ (2021) berichtet. Über
den Steinkauz heißt es da, dass er im Gegensatz zu vielen anderen
Eulenarten auch im Regen jagen kann und dass er die Eule ist, „die am
meisten Persönlichkeit hat“. Der französische „kleine Steinkauz“ gilt i…
als der rabiateste.
Als Niedrigfliegern wird Käuzen leider immer wieder der Autoverkehr zum
Verhängnis. Das wahre „Eulenparadies“ entdeckte Darlington dann in Serbien,
dort wurden einmal in einem Jahr 800 Eulen in einer einzigen Stadt gezählt.
In einigen Dörfern gibt es mehr Eulen als Menschen.
Die Forscherin sah ganze 29 Tiere mal auf einem einzigen Baum sitzen.
„Dieser Baum ist das Mutterschiff der Eulen in diesem Dorf“, erklärte ihr
der serbische Eulenführer Milan – und die Eulenhauptstadt Kikinda sei quasi
das neue Athen, wo jedes Jahr ein Eulenfest stattfindet. Miriam Darlington
hat außerdem eine englische Freundin, Anita, „die nicht nur Psychologin
ist, sondern auch Uhubesitzerin, die mit gefangenen Eulen arbeitet“.
Ähnliches gilt auch für die hiesige Besitzerin mehrerer Eulen, Tanja
Brandt. Sie hat als Fotografin zwei Bildbände über ihre kleinen und großen
Greifvögel veröffentlicht und 2019 das Buch „Die Eulenflüsterin“. Sie r�…
darin der eigenen Biografie – als „Kind, das nie gewollt war“ (und sich
deswegen zu den Tieren flüchtete) – ebenso viel Raum ein wie den Biografien
ihrer zehn Eulen, ihrem Hund und ihrem schlauen Bussard.
Es geht ihr darum, deren Sprachen zu verstehen, dabei kommen immer mehr
ihrer persönlichen Eigenarten zum Vorschein: „Schnee-Eule Uschi zum
Beispiel kann Schnee, ihr natürliches Habitat, nicht leiden, und mein
Steinkauz Poldi verabscheut Mäuse.“ Brandt lobt deren „Sprache“ wegen ih…
geringen Missverständlichkeit – im Gegensatz zur Menschensprache.
## Feldmaus als Futter
Ihr Steinkauz Poldi hat mit Partnerin Finchen bereits mehrmals Nachwuchs
großgezogen. „In Europa gehören mindestens 25 Kleinsäuger und 60 Vogelarten
zum Nahrungsspektrum des Steinkauzes, wobei die Feldmaus den größten Anteil
hat“, heißt es auf der Internetseite des Nabu. Dieser Kauz liebt offene
Landschaften mit Baumgruppen, „Waldgebiete hingegen meidet er völlig“. Im
Gegensatz zum Waldkauz, der hierzulande zu den häufigsten Eulenarten zählt
– auch in den Städten.
Während Tanja Brandt etwa mit ihrem Uhu Bärbel Fotosessions durchführt,
veranstaltet die junge Falknerin Sandra Jung mit ihren Greifvögeln, zu
denen auch Eulen zählen, Flugshows auf der thüringischen Burg Greifenstein.
Sie erzählt davon in ihrem Buch „Die Herrscher der Lüfte und ich“ (2019).
Im Gegensatz zu Tanja Brandts Eulenliebe wurde Sandra Jungs Hinwendung zu
den Greifvögeln von ihren Eltern gefördert.
Seit den „Briefeulen“ in den Harry-Potter-Filmen steigt die Beliebtheit der
Uhus (Bubo bubo); einige Eulenarten sind inzwischen als Haustiere in Mode
gekommen. Das National Geographic Magazine berichtet regelmäßig über sie –
und ihre Artmerkmale: „Die afrikanischen Nordbüscheleulen haben im
Englischen zu Recht den Spitznamen Transformer owl, da sie ihr Aussehen und
ihre Silhouette besonders stark verändern können.“
Die „südasiatischen Maskeneulen können ihren Gesichtsschleier so verformen,
dass es aussieht, als hätten sie Hörner.“ Und bei den Schleiereulen ergab
eine Studie: „Je erfolgreicher ein Paar seinen Nachwuchs großzieht, desto
länger bleiben die beiden zusammen. Umgekehrt neigen sie dazu, sich zu
trennen, wenn das Brüten nicht gut läuft.“ Das Gegenteil also von „Eulen
nach Athen tragen“ – voll pragmatisch, diese Bubo bubos.
31 Jan 2022
## AUTOREN
Helmut Höge
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