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# taz.de -- Geiselnahme in Synagoge in Texas: Ohne Selbstschutz geht es nicht
> Jüdinnen und Juden wachsen mit dem Bewusstsein auf, nicht sicher zu sein.
> Texas hat erneut gezeigt, dass sie sich selbst schützen müssen.
Bild: Überwachungskamera an der Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin
Mir geht dieser Gegenstand nicht mehr aus dem Kopf. Ein Stuhl aus der
Synagoge der Congregation Beth Israel in Texas. Dieser Stuhl half den
Geiseln, unversehrt aus ihrer Synagoge zu fliehen. Vergangenes Wochenende
hatte dort ein Täter [1][vier Menschen nahezu elf Stunden festgehalten].
Ursprünglich hieß es, Spezialkräfte seien eingedrungen und hätten die
Geiseln befreit. So kann man das eigene Versagen natürlich auch umdeuten.
Nein, es war Rabbi Charlie Cytron-Walker, der einen Stuhl auf den
Geiselnehmer warf.
Was immer er tun müsse, um rauszukommen, solle er tun. Das hatte
Cytron-Walker in einem Sicherheitstraining gelernt, das speziell für
jüdische Institutionen angeboten wird. Cytron-Walker war auf so eine
Ausnahmesituation vorbereitet. Zum Glück. Er hatte im Kopf: Ruhig bleiben,
mit dem Geiselnehmer sprechen, den Ausgang nicht aus den Augen verlieren.
Ich kann nicht aufhören, mir diese Frage zu stellen: Wie wäre die
Geiselnahme ausgegangen, hätte es nicht den Mut und das Wissen zur
Selbstverteidigung gegeben?
[2][In Halle war es 2019 eine Tür zur Synagoge], die zum Symbol des
Überlebens geworden ist. Einundfünfzig Menschen überlebten, weil der
rechtsextreme Attentäter diese Tür nicht aufschießen konnte. Nur zur
Erinnerung: Diese Tür musste mit privaten Spenden aus New York bezahlt
werden, weil der deutsche Staat nicht zahlen wollte. Die jüdische Gemeinde
kümmerte sich um sich selbst – und das rettete Leben. Erkennen Sie die
Parallele?
Jüdinnen und Juden weltweit wachsen mit dem Bewusstsein auf, nicht sicher
zu sein. Und im Fall einer Gefahr nicht ausreichend geschützt zu werden.
Also schützen sie sich selbst. Mit Panzerglas, Metalldetektoren an
Eingängen und mit bewaffneten Sicherheitsleuten vor jüdischen Schulen,
Kindergärten und Synagogen. Dieses Sicherheitssystem ist nicht zum Spaß da.
Das hat die antisemitische Tat von Texas einmal mehr bewiesen.
Die erste Forderung des Geiselnehmers lautete, mit der Leiterin der
Zentralsynagoge in New York City zu sprechen. Er glaubte ernsthaft, sie
könnte die inhaftierte Terroristin und Islamistin [3][Aafia Siddiqui]
befreien. Sie freizupressen, war mutmaßlich das Ziel seiner Tat. „Er
dachte, er könnte in eine Synagoge kommen, und wir könnten mit dem
‚Oberrabbiner von Amerika‘ telefonieren, und er würde bekommen, was er
benötigte.“ Das sagte [4][Cytron-Walker einem US-Medium]. Klar, Juden
regieren die Welt. Sie ziehen die Strippen im Hintergrund, sind eine
Übermacht. Da hatte einer das Einmaleins antisemitischer Verschwörungen
gelernt.
Ein Mann marschierte also mit einer Waffe am Sabbat in eine Synagoge, um
eine Islamistin freizupressen. Und trotzdem [5][fiel einem FBI-Beamten]
unmittelbar nach der Freilassung der Geiseln nichts besseres ein, als vor
die Presse zu treten und zu behaupten, dass diese Tat nichts mit
Antisemitismus zu tun habe. Stattdessen sagte er: Der Geiselnehmer sei
„ausschließlich auf ein Thema fokussiert“ gewesen, das „nichts Spezifisc…
mit der jüdischen Gemeinschaft zu tun hat“.
Wie sollen sich Jüdinnen und Juden sicher und ernst genommen fühlen, wenn
selbst im offensichtlichsten Fall Antisemitismus nicht gesehen wird? Wie
deutlich muss ein Geiselnehmer noch werden, damit seine Tat im Nachhinein
richtig kategorisiert wird? Muss er mit einem Schild um den Hals in eine
Synagoge marschieren, auf dem sinngemäß steht: „Für den Fall, dass ihr mich
später abknallt, meine Tat war definitiv antisemitisch motiviert.“?
Eine Woche ist die Geiselnahme von Texas her und ich schaue mir Videos
einer Krav-Maga-Schule in Berlin an. Einen Moment lang denke ich: Ein wenig
Ahnung von Selbstverteidigung zu haben, schadet vielleicht nicht.
22 Jan 2022
## LINKS
[1] /Geiselnahme-in-Synagoge-in-Texas/!5826334
[2] /Jahrestag-des-Halle-Anschlags/!5806778
[3] /Geiselnahme-in-Texas/!5828524
[4] https://forward.com/news/480928/beth-israel-hostage-standoff-charlie-cytron…
[5] https://twitter.com/JewishChron/status/1482652825075265539?s=20
## AUTOREN
Erica Zingher
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