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# taz.de -- Entwicklung eines Ersatzes für Palmöl: Im Labor bereits gelungen
> Vier Jungwissenschaftler der Technischen Universität Hamburg haben
> entdeckt, wie man Palmöl ohne Naturzerstörung herstellt.
Bild: Innovativ im Labor: Colipi-Gründer Philipp Arbter, Jonas Heuer, Max Webe…
Osnabrück taz | Es gibt Start-ups, deren Namen man sich merken solte.
Colipi zum Beispiel. Philipp Arbter, Jonas Heuer, Max Webers und Tyll
Utesch haben es gegründet, vom Institute of Bioprocess and Biosystems
Engineering der Technischen Universität Hamburg (TUHH).
Ihr Ziel ist hoch gesteckt: Eine Alternative zu Palmöl marktreif zu machen.
Die Basis sind agrarwirtschaftliche und industrielle Abfallprodukte – im
Versuchsstadium kommt Melasse zum Einsatz, ein Nebenerzeugnis der
Zuckerproduktion aus Rüben. Dann gehen Hefen ans Werk. Am Ende entstehen
Lipide, die pflanzlichen Ölen ähneln und auch Palmöl imitieren können. Im
Labormaßstab funktioniert das schon.
Da die Natur nicht vorhersehbar ist, ist hier Experimentierfreude gefragt,
vom Schüttelkolben bis zum 100-Liter-Fermenter. Der steht im Untergeschoss
ihres Labors, das geprägt ist von Rührern und Pumpen, in dem Zuckerlösung
und Nährsalz zum Einsatz kommen, in dem pH-Wert und Temperatur über Erfolg
oder Misserfolg mitentscheiden. Versuch, Prozessparameter ändern,
wiederholen, optimieren …
Arbter, Webers, Heuer und Utesch sind Hoffnungsträger. Knapp 75 Millionen
Tonnen Palmöl werden jährlich weltweit produziert, meist auf
Monokultur-Plantagen, denen bereits [1][Millionen Hektar Regenwald] zum
Opfer gefallen sind. Oft wurden [2][Indigene dafür ihres Landes beraubt],
stets ging Biodiversität verloren. Palmöl ist überall: [3][Im Tank unserer
Dieselautos], in Nussnougatcreme und Seife, in Fertigpizza und Margarine.
Das könnte sich durch Colipi ändern.
Ölbildende Hefe ist nichts Neues. Bisher diente sie vorrangig dem
Biokraftstoff. Auch Arbter hat für seinen Bachelor daran geforscht, vor
Jahren, in den USA, da war er schon mit Webers befreundet – es war die
Geburtsstunde ihrer Idee. An der TUHH kamen dann Heuer und Utesch dazu –
drei Doktorarbeiten entstanden, beim selben Doktorvater.
Das mit dem Kraftstoff war da schon vom Tisch. „Hefeöl in den Tank zu
kippen, finden wir nicht sinnstiftend, weder ökonomisch noch ökologisch“,
sagt Webers. „Das ist einfach nicht nachhaltig. Wir brauchen eine andere
Art der Mobilität.“ Hefeöl rechne sich nicht bei billigem Sprit. Bei
Kosmetika ist das anders, bei Lebensmitteln. Hier sieht Colipi seine
Abnehmer. Der nächste Schritt ist eine Pilotanlage.
Anfangs wird Colipi mit Lohnherstellern arbeiten. „Aber langfristig planen
wir eigene Anlagen“, sagt Webers. „Und wie es dann weitergeht, müssen wir
mal sehen.“ Bei Melasse wird es übrigens nicht bleiben. „Die Bandbreite der
möglichen Substrate ist groß“, sagt Philipp Arbter. „Von der Reiskornhül…
bis zur Bananen- oder Kartoffelschale.“
Die Colipi-Technologie soll später weltweit einsetzbar sein, jeweils mit
regionalen Rohstoffen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Seit Ende
2021 wird das Start-up mit „Exist“-Forschungstransfer vom Bundesministerium
für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert, bis Mitte 2024.
Natürlich ist Colipi kein reines Öko- und Sozialprojekt. Arbter, Webers,
Heuer und Utesch wollen „industrienah forschen“, sagt Webers. „Das soll ja
nicht nur für die Schublade sein.“ Aber Nachhaltigkeit ist ihnen ein echtes
Anliegen. Auch als Futtermittel für die Aquakulturindustrie können sie sich
ihre Lipide vorstellen: „Das würde den Fang großer Mengen Wildfisch
sparen.“
Klar, Fermentation produziert normalerweise Kohlendioxid. Aber bei Colipi
soll das anders sein. Wie, dazu hält sich Philipp Arbter noch bedeckt: „Wir
sind gerade dabei, uns das patentieren zu lassen.“ Und dann erzählt er vom
Strom, den die Produktion braucht. Der soll ohne fossile Energiequellen
produziert worden sein.
„Colipi gehört zu den Start-ups, die direkt aus der Wissenschaft entstanden
sind“, sagt Franziska Trede, Sprecherin der TUHH. „Somit ist es ein
Beispiel für den Transfer wissenschaftlichen Wissens in die Gesellschaft in
Form eines innovativen Produkts.“ Das Team sei kompetent, der Markt
vorhanden, die Chance auf Finanzierung gut. Colipi zeige am Beispiel
Palmöl, „wie eine technische Universität das Leben vieler verbessern kann�…
Die Welt sei „voller Herausforderungen wie dieser, die technische Antworten
brauchen“.
## Lieber andere Produkte als anderes Palmöl
Aber reichen technische Antworten aus? „Wir brauchen gute Ideen, um der
fortschreitenden Naturzerstörung Einhalt zu gebieten“, sagt Gesche Jürgens,
Kampaignerin Wälder & Biodiversität bei Greenpeace Deutschland in Hamburg,
mit Blick auf Colipi. „In der Entwicklung von Alternativen zu
problematischen Produkten wie Palmöl ist wichtig, auch infrage zu stellen,
ob es wirklich um einen Ersatz eines bestimmten Produktes gehen muss. Oder
ob wir nicht ganz neu denken müssen und anerkennen, dass manche Produkte
einfach überflüssig sind.“
Beispiel Lebensmittel: „Bisher steckt Palmöl in vielen Fertiggerichten und
Snacks“, sagt Jürgens. „Produkte, die häufig andere problematische
Inhaltsstoffe enthalten. Wird Palmöl durch ein anderes Öl ersetzt, ist das
Produkt dann automatisch besser oder gesünder? Wohl kaum. Besser
verträglich für uns als auch unseren Planeten sind frische Lebensmittel wie
Obst und Gemüse der Saison und Region, am besten aus Ökolandbau.“
Mit dem Gründungszentrum Startup Dock, das seinen Ursprung an der TUHH hat,
haben Arbter, Webers, Heuer und Utesch einen Partner an ihrer Seite, der
seit 2014 rund 100 Start-ups beraten hat. Die Survival-Rate dabei: 70 bis
80 Prozent, schätzt Trede. Was Colipi macht, dockt zudem an die Regionale
Innovationsstrategie (RIS) des Hamburger Senats an, die fünf
„Zukunftsthemen“ listet, darunter „Materialwissenschaften und Neue
Materialien“.
Und, lebt nicht auch gefährlich, wer einen milliardenschweren Markt
revolutionieren will, auf dem mancher große Player vor nichts
zurückschreckt? Max Webers, der, als er noch kein Palmöl-Substituierer war,
länger in Indonesien gelebt hat, dem größten Palmölproduzenten der Welt:
„Ich glaube nicht, dass plötzlich irgendwelche Mafiosi vor der Tür stehen.
Wir sind ja am Anfang noch superklein.“
17 Jan 2022
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## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Palmöl
Hamburg
Nachhaltigkeit
Forschung
China
Schwerpunkt Klimawandel
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