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# taz.de -- Streichung des Paragrafen 219a: Der lange Weg zur Abschaffung
> Justizminister Marco Buschmann präsentiert den Gesetzentwurf zur
> Streichung des Paragrafen 219a. Die Union zweifelt an der Rechtmäßigkeit.
Bild: Die Ärztin Kristina Hänel und rund 400 Menschen fordern 2019 in Geißen…
Bald soll es für Ärzt:innen in Deutschland möglich sein, auf ihrer
Praxiswebseite folgendes zu schreiben: „Auch ein medikamentöser,
[1][narkosefreier Schwangerschaftsabbruch] gehört zu unseren Leistungen“.
Für diesen schlichten Satz droht bislang eine Geld- oder Freiheitsstrafe
bis zu zwei Jahren. Am Montag jedoch legte Bundesjustizminister Marco
Buschmann (FDP) einen Gesetzentwurf vor, um den Paragrafen 219a des
Strafgesetzbuchs wie im Koalitionsvertrag angekündigt ersatzlos zu
streichen.
„Eine Beibehaltung des unbefriedigenden aktuellen Rechtszustands kommt
nicht in Betracht“, heißt es im Entwurf, der der taz vorliegt. Er
beeinträchtige das [2][sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau] und führe
zu Rechtsunsicherheit für Ärzt:innen. Das sei „unserer Ansicht nach
unhaltbar“, sagte Buschmann. Betroffene Frauen suchten 2022 auch im Netz
nach Information. Es könne nicht sein, dass „jeder alles“ über
Schwangerschaftsabbrüche ins Internet stellen könne – nur die zuständigen
Fachexpert:innen nicht. „Diesen Zustand werden wir beenden.“
## Urteil gegen Hänel brachte Debatte in Gang
Buschmann spielte damit unter anderem auf Abtreibungsgegner wie
Klaus-Günter Annen an, der neben Dutzenden weiteren Ärzt:innen auch die
Gießener Allgemeinärztin Kristina Hänel angezeigt hatte und die Website
„babykaust“ betreibt, auf der er Abtreibungen mit dem Holocaust
gleichsetzt. Begonnen nämlich hatte die Auseinandersetzung um den
Paragrafen 219a im November 2017. Damals war Hänel zu einer Geldstrafe von
6.000 Euro verurteilt worden, weil auf ihrer Website stand, dass sie
Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Das galt nach der damals gültigen
Fassung des Paragrafen als verbotene „Werbung“.
Hänels Urteil war der Beginn einer neuen Debatte über
Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland – zum ersten Mal, nachdem in den
1960er und 1970er Jahren Frauen auf die Straße gegangen waren, um ihr
[3][Recht auf den eigenen Körper] einzufordern. Diesmal allerdings ging es
nicht um die Frage, ob Abbrüche erlaubt sein sollen oder nicht. Sondern
einzig darum, ob es Ärzt:innen verboten sein soll, über eine ihrer
Leistungen zu informieren wie über jede andere medizinische Leistung auch –
und ob es damit einhergehend ungewollt Schwangeren verboten sein soll,
Informationen zur Frage im Netz zu finden, wer Schwangerschaftsabbrüche
macht und wie sie vorgenommen werden.
Nach Hänels Verurteilung gingen Tausende Frauen auf die Straße. Mehr als
150.000 Menschen unterzeichneten noch 2017 ihre Petition und forderten die
Abschaffung des Gesetzesrelikts, das seit 1933 in Kraft ist. Schnell
zeichnete sich unter der Großen Koalition ab, dass es eine parlamentarische
Mehrheit für die Abschaffung des Paragrafen geben würde. Grüne, Linke, FDP
und SPD brachten Gesetzentwürfe zur Abschaffung oder zumindest weitgehenden
Änderung des Paragrafen ein. Doch die damals im Umfragetief liegende SPD
kniff und zog zurück – um zugunsten des eigenen Machterhalts den
Koalitionsfrieden mit der Union nicht zu gefährden.
Am Ende stand ein fauler Kompromiss: 2019 wurde Paragraf 219a leicht
verändert. Ärzt:innen wurden weiter angezeigt und verurteilt. Und auf
einer Liste der Bundesärztekammer, die Informationen zu Abbrüchen an
zentraler Stelle sammeln soll, will sich bis heute kaum ein Arzt oder eine
Ärztin eintragen lassen – auch aus Sorge, zur Zielscheibe von
AbtreibungsgegnerInnen zu werden.
## Union erwartbar gegen Streichung
„Dass der Deutsche Bundestag den Paragrafen 219a endlich aus dem
Strafgesetzbuch streichen wird, erfüllt mich mit Freude, aber auch
Genugtuung“, so Kristina Hänel am Montag. Der Paragraf komme nun dahin, wo
er hingehöre: „in die Mottenkiste der Geschichte“. Dass sich die
Ärzt:innenschaft nun endlich ärztlichen Aufgaben und der medizinischen
Versorgung widmen und die Justiz ihre Kräfte in die Verfolgung echter
Straftaten legen könne, erfülle sie „mit tiefer Zufriedenheit“.
Die Union wendet sich derweil erwartbar gegen das Vorhaben der
Ampelkoalition, den Paragrafen bald zu streichen. Die Vorsitzende des
Rechtsausschusses im Bundestag, Elisabeth Winkelmeier-Becker, sagte der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Es gibt kein Informationsdefizit“. Sie
verteidigte auch den Maulkorb für Ärzt:innen: „Hier gibt es eine schwierige
Abgrenzung zwischen der reinen Information und Werbung.“ Und schließlich,
so Winkelmeier-Becker, habe sie Zweifel, ob die Streichung des Paragrafen
219a überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Heidi
Reichinnek, sagte: „Wir begrüßen ausdrücklich, dass diese jahrealte
Kernforderung linker Frauenpolitik nun endlich umgesetzt wird.“ Sie
fordere, dass neben dem Paragrafen 219a auch der Paragraf 218 gestrichen
werde, der Abbrüche als Ganzes kriminalisiert. Es könne nicht sein, so
Reichinnek, dass es in manchen Regionen Deutschlands keine Ärzt:innen
mehr gebe, die diese Eingriffe durchführen.
Nach der Abstimmung in den Ressorts geht der Entwurf zur Abschaffung des
Paragrafen 219a in die Lesungen im Parlament. Wann genau er gestrichen
wird, ist noch unklar. Auch wann die weiteren im Koalitionsvertrag
angekündigten Vorhaben in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche umgesetzt
werden, ist derzeit nicht bekannt. Neben der Abschaffung des Paragrafen
219a wurde vereinbart, dass Abbrüche bald Teil der medizinischen Ausbildung
und kostenfrei sein sollen. Zum Paragrafen 218, der Abbrüche als Ganzes
kriminalisiert, soll eine Kommission prüfen, inwiefern auch dieser
außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt werden kann.
17 Jan 2022
## LINKS
[1] /Anzeige-wegen-Interview-zu-219a/!5801705
[2] /Selbstbestimmt-leben/!5824577
[3] /Frauenpolitik-der-SPD/!5807146
## AUTOREN
Patricia Hecht
## TAGS
Kristina Hänel
Schwerpunkt Abtreibung
Reproduktive Rechte
Schwangerschaft
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Gesundheitspolitik
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