| # taz.de -- Wirbel um ukrainischen Schauspieler: Wie echt darf’s denn sein? | |
| > „Rhino“, der neue Film von Oleg Senzow, wurde mit deutschen Mitteln | |
| > kofinanziert. Der Hauptdarsteller ist eine Größe der Kiewer Neonaziszene. | |
| Bild: Oleg Senzow bei einer Pressekonferenz beim Filmfestival Venedig, 2021 | |
| Im September 2019, als der ukrainische Regisseur Oleg Senzow im Rahmen | |
| eines Gefangenenaustauschs aus russischer Haft entlassen wurde, widmete er | |
| sich direkt einem seiner wichtigsten Vorhaben: Er setzte die Arbeit an dem | |
| Film „Rhino“ („Nashorn“) fort, an dem der damals 43-Jährige schon bego… | |
| hatte zu arbeiten, bevor er 2014 während der Annexion der Krim von den | |
| russischen Streitkräften festgenommen wurde und ins Straflager deportiert | |
| wurde. | |
| „Rhino“ ist ein grausamer, ein zutiefst brutaler Film über mörderische | |
| Banden und Mafiastrukturen in der Ukraine der 1990er Jahre. „Ich wollte | |
| einen Film über die kurze Periode nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion | |
| drehen, in der diese Typen mit Baseballschlägern, Waffen und Fäusten die | |
| Straßen dominierten“, sagt Senzow im Videochat-Gespräch. Um die Hauptfigur | |
| Rhino zu besetzen, hätten er und seine Produktionsfirma Laiendarsteller | |
| gecastet, ausdrücklich „böse Jungs, Ex-Knackis und Kriegsveteranen“. | |
| Die Rolle des Rhino wurde schließlich mit Serhij Filimonow besetzt. Ab | |
| Herbst 2020 wurde gedreht, das Werk feierte bei den Filmfestspielen in | |
| Venedig im September 2021 Weltpremiere. Zwei Monate später wurde es beim | |
| Stockholm International Film Festival als bester Film prämiert und | |
| Filimonow als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Senzow war spätestens | |
| seit seinem Hungerstreik 2018 im russischen Straflager zu einer Symbolfigur | |
| im Russland-Ukraine-Konflikt geworden. | |
| ## Sacharow Menschenrechtspreis | |
| Im gleichen Jahr erhielt er den Sacharow-Menschenrechtspreis des | |
| Europäischen Parlaments. Vielleicht auch dank der Prominenz des Regisseurs | |
| wurde die Produktion mit 150.000 Euro aus deutschen Fördermitteln | |
| finanziert, verantwortlich war das Medienboard Berlin-Brandenburg. | |
| Die Sache hat einen gravierenden Haken: Hauptdarsteller Serhij Filimonow | |
| hat eine durch und durch rechtsextreme Vita, wie das Portal Belltower.News | |
| von der Amadeu Antonio Stiftung [1][kürzlich recherchiert hat]. In seiner | |
| Jugend war Filimonow laut dem [2][Rechercheportal Bellingcat] in der | |
| Neonazi-Gruppe „C14“. Die israelische Zeitung Ha’aretz [3][hat | |
| herausgefunden], dass Filimonow dabei war, als 2015 dunkelhäutige | |
| Fußballfans in Kiew angegriffen wurden. Dort leitete er bis 2019 auch das | |
| dem Regiment Asow zugehörige „Nationalkorps“– es ist ein | |
| Freiwilligenbataillon, das gegen die prorussischen Separatisten kämpft. | |
| In ihm finden sich viele Neonazis. Filimonow war „Führer“ dieser Gruppe, | |
| als sie 2018 [4][ein Roma-Camp in Kiew angriff und zerstörte]. Nach seinem | |
| Austritt gründete Filimonow die Gruppe Honor („Гонор“, „Ehre“) �… | |
| durchsetzt von Leuten mit rechten Ideologien. Oberhalb der Brust hat | |
| Filimonow den Schriftzug „Victory or Valhalla“ tätowiert, einem bei | |
| Neonazis beliebten Spruch. Das letzte Buch von David Lane, einem 2007 | |
| gestorbenen, unter Rechtsextremen bekannten White Supremacist, trug den | |
| Titel „Victory or Valhalla“. | |
| ## Senzow redet sich raus | |
| Die Wahl von Filimonow rückt nun auch Oleg Senzow als Künstler und | |
| öffentliche Figur in ein schlechtes Licht. Warum verschafft man jemandem | |
| wie Filimonow öffentliche Reputation und finanziert ihn? „Ich will | |
| keinesfalls verteidigen, was Filimonow getan hat“, erklärt Senzow im | |
| Gespräch, „ich habe ihn als Schauspieler ausgewählt, nicht als Person. Ich | |
| akzeptiere und unterstütze keine rechten und rechtsextremen Organisationen, | |
| ich verurteile Gewalt.“ Senzow wirkt im Zoom-Gespräch aufgeräumt, er | |
| wiederholt diesen Standpunkt des Öfteren. | |
| Der Regisseur behauptet, Filimonow habe sich inzwischen von seiner | |
| Vergangenheit losgesagt, „er hat seine Einstellung wirklich geändert und | |
| engagiert sich heute sehr für die Zivilgesellschaft“. Für einen Bruch mit | |
| der Szene spricht allerdings wenig. Richtig ist, dass Filimonow dem | |
| ultrarechten „Nationalkorps“ den Rücken gekehrt hat – allerdings ist auch | |
| seine neue Organisation Honor eine Streetfighter-Gruppe, die | |
| paramilitärisch auftritt und der laut Belltower.News auch Nazis angehören. | |
| In einem Telegram-Chat tauschte sich Filimonow überdies noch Anfang Januar | |
| 2022 mit dem bekannten ukrainischen Neonazi Denis Nikitin alias White Rex | |
| aus und bestätigte implizit, noch Teil der rechten (=rechtsextremen) | |
| ukrainischen Bewegung zu sein. Einer, der die Szene seit Jahren beobachtet, | |
| sagt, es deute nichts darauf hin, dass Filimonow sich von seiner | |
| Vergangenheit distanziere. | |
| ## Fragwürdige Praktik | |
| Ohnehin ist die Gemengelage in der Ukraine so, dass auch in der | |
| Zivilgesellschaft Neonazis sehr oft geduldet, ja sogar protegiert werden, | |
| solange sie nur im Russland-Ukraine-Konflikt auf der richtigen Seite | |
| stehen. Oleg Senzow sagt, die rechtsextremen Kräfte seien heute nicht mehr | |
| so stark in der Ukraine – wenn man sich die Recherchen von Ha’aretz, | |
| [5][Vice] und [6][Zeit Online] in jüngerer Zeit anschaut, erkennt man | |
| hingegen, dass das Gegenteil der Fall ist. Rechtsextreme Gruppen sind dort | |
| weiterhin sehr aktiv und international gut vernetzt. Braune Kameraden aus | |
| anderen Ländern besuchen die Ukraine, um dort Militärcamps zu absolvieren. | |
| In Sachen Filimonow müssen sich auch alle anderen Förderer des Films | |
| fragen, wen sie hier eigentlich ehren oder mit finanziellen Mitteln | |
| ausstatten. Das Medienboard Berlin-Brandenburg, das etwa 10 Prozent des | |
| Gesamtbudgets beisteuerte, erklärt, Senzow habe auch ihnen die Motive | |
| dargelegt, warum die Wahl auf Filimonow fiel. | |
| „Da wir uns mit dem Regisseur über die Besetzung ausgetauscht und seine | |
| Beweggründe plausibel fanden, möchten wir betonen, dass das Medienboard | |
| künstlerische Freiheit respektiert, solange diese nicht extreme politische | |
| Positionen unterstützt“, schreibt eine Sprecherin. Die Handlung des Films | |
| aber wende sich „ausdrücklich gegen Hooligans und Neonazis und die | |
| Hauptfigur wird in dieser Rolle keinesfalls heroisiert“. In den deutschen | |
| Kinos lief „Rhino“ übrigens bisher nicht, einen Starttermin gibt es für | |
| Deutschland noch gar nicht. | |
| Das Werk, so viel scheint klar, ist in diesem Fall auch nicht das Problem. | |
| „Rhino“ ist ein vor Gewalt strotzender, zeitweise schwer erträglicher Film, | |
| aber genauso wollte Senzow die Grausamkeit, die sich damals freigesetzt | |
| hat, auch abbilden. Dagegen ist nichts einzuwenden. Die Hauptfigur Rhino, | |
| einer, der über Leichen geht, zahlt übrigens am Ende für seine Taten. | |
| Doch für die Filmarbeit und die Branche sollte „Rhino“ ein Exempel sein, | |
| welche Grenzen man im Bemühen um Authentizität niemals überschreiten | |
| sollte. Und ein kleines bisschen weniger Naivität sowie ein kleines | |
| bisschen mehr Wachsamkeit wäre aufseiten der europäischen und | |
| internationalen Produzenten, gelinde gesagt, wünschenswert. | |
| 19 Jan 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.belltower.news/deutsche-filmfoerderung-vom-ukrainischen-neonazi… | |
| [2] https://www.bellingcat.com/news/uk-and-europe/2019/08/08/how-to-mainstream-… | |
| [3] https://www.haaretz.com/world-news/europe/.premium-ukraine-s-far-right-is-i… | |
| [4] https://www.pravda.com.ua/news/2018/06/7/7182669/ | |
| [5] https://www.vice.com/en/article/88ngmx/ukraine-war-far-right-decade-of-hate | |
| [6] https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-02/rechtsextremismus-neonazis-sach… | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
| ## TAGS | |
| Spielfilm | |
| Rechte Gewalt | |
| Ukraine | |
| Oleg Senzow | |
| Filmförderung | |
| Rechtsextremismus | |
| Literatur | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Oleg Senzow | |
| Oleg Senzow | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Hafttagebuch von Oleg Senzow: Rammstein in voller Lautstärke | |
| Das Buch „Haft. Notizen und Geschichten“ ist ein Dokument des russischen | |
| Lagervollzugs. Aber es zeigt auch die ambivalenten Seiten des Autors. | |
| Empfang für Oleg Senzow in Berlin: Gegen die Propaganda-Armee | |
| Anfang September ist Oleg Senzow aus russischer Haft freigekommen. Nun lud | |
| die ukrainische Botschaft seine Unterstützer zu einem Treffen mit ihm. | |
| Erzählungen von Oleg Senzow: Routinen und Drill, klebrig-zäh | |
| Oleg Senzow sitzt seit bald fünf Jahren in russischer Haft. Nun sind seine | |
| teils autobiografischen Erzählungen auf Deutsch erschienen. | |
| Ukrainischer Regisseur in russischer Haft: Sacharowpreis für Oleg Senzow | |
| Der Filmemacher erhält den diesjährigen Sacharow-Preis für Meinungsfreiheit | |
| des Europaparlaments. Das wurde nach einer Sitzung der Fraktionschefs | |
| bekannt. |