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# taz.de -- Evakuierung aus Afghanistan: Ist der „Shopman“ eine Ortskraft?
> Afghanen, die in Bundeswehr-Camps Händler waren, werden von der
> Bundesregierung nicht als Ortskräfte anerkannt. Eine Klage will das
> ändern.
Bild: Bundeswehrsoldaten im Camp Marmal bei Mazar-e-Sharif im Dezember 2012
Berlin taz | Zehn Jahre lang hat Hamid Sayyid im Feldlager Marmal der
Bundeswehr in Afghanistan einen Kiosk betrieben. In seinem Container
verkaufte er afghanische Handwerkskunst an Soldaten – Teppiche, Schmuck und
Schnitzereien. Fotos zeigen ihn vor seinem Laden, ungarische, amerikanische
und deutsche Soldaten neben ihm, den Arm über seine Schulter gelegt.
63 sogenannte Shopkeepers habe es im Bundeswehrcamp gegeben, erzählt Sayyid
der taz. Sie alle leben, wie Sayyid mit seiner Familie, heute versteckt.
Die Taliban suchen nach ihm, sagt er. Im August hätten sie sein Wohnhaus
gestürmt. Für sie ist Sayyid ein Verräter, weil er für ausländische Truppen
gearbeitet hat. Zu seinem Schutz trägt er hier einen anderen Namen. Sayyid
will nach Deutschland, aber er darf nicht.
## Ortskraft nur mit deutschem Arbeitsvertrag
Vergangene Woche kam die Absage-Mail von der Bundeswehr: „Als Shopkeeper
waren sie nicht bei der deutschen Bundeswehr angestellt.“ Und das stimmt.
Sayyid hatte keinen Arbeitsvertrag mit der Bundeswehr, sondern einen
„Vertrag über die Nutzung eines Verkaufsplatzes“. So steht es über einem
Dokument von 2006, gestempelt mit dem Bundesadler. Sayyid hat auch keinen
Lohn von der Bundeswehr bekommen, er hat eine Standmiete für seinen
Container gezahlt.
Aus Sicht des Einsatzführungskommandos waren Sayyid und seine Kollegen
„afghanische Händler“, die „weder Arbeits- noch Werkverträge“ mit der
Bundeswehr hatten. So schreibt es ein Sprecher auf taz-Anfrage. Das ist
entscheidend, denn damit fällt Sayyid nicht in das [1][Verfahren für
Ortskräfte u]nd darf nicht nach Deutschland kommen. Als Ortskraft wird nur
anerkannt, wer nach 2013 und mit einem Arbeitsvertrag für eine deutsche
Institution gearbeitet hat.
Der Leipziger Rechtsanwalt Matthias Lehnert kann das nicht verstehen. Er
hat vor dem Verwaltungsgericht Berlin Klage eingereicht. Er will erreichen,
dass Sayyid, seine vier Kinder und seine Frau ein Visum für Deutschland
bekommen.
„Auch wenn Hamid Sayyid nicht angestellt war – die Vorgaben, die die
Bundeswehr ihm für seinen Job gemacht hat, gehen zum Teil weiter als das,
was Arbeitgeber ihren Angestellten normalerweise vorschreiben“, sagt
Lehnert. So war vertraglich geregelt, was Sayyid verkaufen durfte (DVDs,
Elektronik, Schmuck, Schnitzereien) und was nicht (Isaf-Souvenirs,
pornografische und gewaltverherrlichende Schriften; später: keine Handys,
keine Lebensmittel). Ein Feldlagerkommandant hatte das Recht, das Sortiment
einzuschränken, Sayyids Dienstzeiten wurden festgelegt. Auf einem Ausweis
der Nato wird Sayyid als „Employee“ und „Shopman“ im Camp Marmal gefüh…
Alle Dokumente liegen der taz vor.
Lehnert argumentiert: Wenn die Bundesregierung Sayyid schon nicht als
Angestellten anerkenne, dann doch wenigstens als arbeitnehmerähnliche
Person. Der arbeitsrechtliche Begriff bezeichnet Selbstständige, die von
einem Auftraggeber wirtschaftlich abhängig sind. Sayyid habe sein Einkommen
allein aus dem Stand bei der Bundeswehr bezogen. „[2][Die Taliban
unterscheiden nicht], ob eine Person einen Arbeitsvertrag oder einen
Nutzungsvertrag mit der Bundeswehr hatte. Für sie sind alle Menschen
Feinde, die mit ausländischen Truppen gearbeitet haben. Die Bundesregierung
hat hier eine Schutzpflicht.“
Lehnert hofft auf einen ähnlichen Erfolg wie im November: Da hatte er im
Namen von Fluglotsen aus Masar-i-Scharif geklagt. Da sie nur mit
Werkverträgen angestellt waren, wurden sie zunächst auch nicht als
Ortskräfte anerkannt. Nach Medienberichten und der Klage erhielten die
Männer dann doch eine Aufnahmezusage für Deutschland.
13 Jan 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Anne Fromm
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
Ortskräfte
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Kabul
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