| # taz.de -- Jüdische Untergrundorganisation Nakam: „Wir haben moralisch geha… | |
| > Shoah-Überlebende verübten 1946 in Nürnberg einen Anschlag auf | |
| > SS-Angehörige. Die Geheimorganisation Nakam wollte damit ein Zeichen | |
| > setzen. | |
| Bild: Gift im Brot: Ein US-Leutnant (links) und ein deutscher Kriminalbeamter i… | |
| Vor bald 13 Jahren begeisterte Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ | |
| das Kinopublikum: Der US-Regisseur inszenierte jüdische Kämpfer:Innen | |
| auf Rachefeldzug gegen Nazis – überdreht, blutig, beeindruckend. Nun | |
| versucht sich erneut ein Spielfilm am Thema „jüdische Rache“: Die | |
| deutsch-israelische Produktion [1][„Plan A – Was würdest du tun?“] Das | |
| Ergebnis ist eher hölzern geraten, dabei fußt die Geschichte auf realen | |
| Begebenheiten. [2][Die jüdische Untergrundorganisation Nakam – auf Deutsch: | |
| Rache – plante nach Kriegsende Anschläge auf Deutsche], und in mindestens | |
| einem Fall hat sie so einen Anschlag auch ausgeführt. | |
| „Wir mussten etwas tun, damit sich die Leute merken, dass solche | |
| Gräueltaten bestraft werden.“ So hat Joseph Harmatz seine Motive | |
| beschrieben, sich Nakam anzuschließen. Vor rund fünf Jahren ist Harmatz | |
| gestorben, als letzter Zeitzeuge eines spektakulären Anschlags im April | |
| 1946 in Nürnberg. Joseph Harmatz ist damals 21 Jahre jung. Er stammt aus | |
| Litauen, wo die Deutschen im Juni 1941 einmarschieren. Harmatz schließt | |
| sich dem jüdischen Widerstand im Getto von Vilnius an, später geht er als | |
| Partisan in die Wälder und kämpft gegen die Deutschen – gemeinsam mit dem | |
| legendären Partisanen und Nakam-Gründer Abba Kovner. | |
| Als die Rote Armee im Juli 1944 Litauen befreit, sind die jüdischen Schtetl | |
| und Gemeinden von den Deutschen ausgelöscht. Von den Überlebenden wollen | |
| die meisten nach Palästina, um dort einen jüdischen Staat aufzubauen. Doch | |
| einige haben vorher noch etwas in Deutschland zu erledigen: Rache – Nakam. | |
| Und Nürnberg ist dafür der ideale Ort. | |
| ## Symbol der Nazidiktatur | |
| „Nürnberg war Symbol der Nazi-Diktatur“, erklärt Joseph Harmatz, den es | |
| nach Kriegsende 1945 wie viele Überlebende der Shoah in die | |
| US-Besatzungszone nach Süddeutschland verschlagen hat: in die Stadt der | |
| Reichsparteitage und Rassegesetze, wo die Alliierten ab Oktober 1945 die | |
| Elite des Dritten Reichs vor Gericht stellen. Im | |
| Hauptkriegsverbrecherprozess müssen sich hochrangige Nazi-Funktionäre und | |
| Massenmörder wie Göring, Hess, Frank, Kaltenbrunner und Jodl verantworten. | |
| Im Nürnberger Justizpalast wird das monströse Ausmaß der | |
| nationalsozialistischen Verbrechen vor den Augen der Weltöffentlichkeit | |
| ausgebreitet. | |
| Joseph Harmatz verfolgt den Prozess genau und mit wachsender Ungeduld: „Es | |
| wurden Zeugen um Zeugen vorgeladen. Die Fakten waren aber bereits alle | |
| bekannt. Unsere Leute waren ermordet worden.“ Keiner der Angeklagten zeigt | |
| Reue, ihre Anwälte verbreiten unverblümt Nazi-Propaganda. „Das machte uns | |
| krank“, erinnerte sich Harmatz. | |
| „Du konntest es täglich in der Zeitung sehen, wie sie da saßen: Göring, | |
| Hess, Ribbentrop usw. Wir wollten mit Maschinengewehren und Handgranaten | |
| ins Gerichtsgebäude eindringen und den großen Helden ein Ende bereiten.“ | |
| Doch der Plan wird bald verworfen, als die Alliierten die | |
| Sicherheitsmaßnahmen verschärfen. | |
| ## Plan verworfen | |
| Abba Kovner plädiert dafür, das Trinkwasser von Nürnberg zu vergiften. | |
| Einige der [3][Nakam-Leute] haben aber Bedenken, weil ein solcher Anschlag | |
| auch alliierte Soldaten und Shoah-Überlebende, die sich in der Stadt | |
| aufhalten, treffen könnte. Kovner reist dennoch nach Palästina und besorgt | |
| Gift, wird aber verraten und auf der Schiffsüberfahrt Richtung Europa von | |
| den Briten verhaftet. | |
| Unterdessen haben die Nakam-Leute in Nürnberg bereits Vorbereitungen für | |
| einen Anschlag getroffen, erzählt Joseph Harmatz: „Wir hatten einen Mann, | |
| der Experte für Systeme der Trinkwasserversorgung war. Er wurde in das | |
| Nürnberger Wasserwerk eingeschleust. Die jüdischen Behörden in Palästina | |
| wollten eine solche Aktion jedoch nicht dulden. Der Kompromiss, den wir | |
| schließlich fanden, war, gezielt etwas gegen jene zu unternehmen, die an | |
| Aktivitäten gegen Juden beteiligt waren. Und dazu gehört natürlich die SS.“ | |
| Die Alliierten haben zehntausende SS-Leute und Nazi-Funktionäre interniert | |
| – vor allem in Nürnberg und Dachau, wo ihnen der Prozess gemacht werden | |
| soll. Die Nakam plant, das Brot der Gefangenen zu vergiften. Dobka | |
| Debeltov, eine junge Aktivistin, kundschaftet das Nürnberger | |
| Internierungslager aus, das sich auf dem vormaligen Reichsparteitagsgelände | |
| befindet. | |
| ## In die Bäckerei geschmuggelt | |
| Sie findet heraus, in welcher Backstube Brot für die Gefangenen gebacken | |
| wird. Einer der Nakam-Leute wird in die Bäckerei eingeschmuggelt: Leipke | |
| Distel, auch er gebürtiger Litauer, der als Partisan gekämpft und Gettos, | |
| Konzentrationslager und den Todesmarsch überlebt hat. Kurz vor seinem Tod | |
| im Jahr 2000 hat er seine Geschichte erstmals einem deutschen TV-Team | |
| erzählt: „Ich ging ins Personalbüro der Bäckerei. Sie waren wirklich | |
| verblüfft, dass ein Jude in der damaligen Nazihochburg Nürnberg um Arbeit | |
| nachsuchte.“ | |
| Distel erhält den Job, macht sich mit den Abläufen in der Bäckerei vertraut | |
| und schmuggelt das Arsen aufs Werksgelände. Am 13. April 1946 schlagen die | |
| jüdischen Rächer zu. Um die Aktion in Nürnberg nicht zu gefährden, wird das | |
| für den selben Tag geplante Attentat in Dachau abgeblasen – zur großen | |
| Enttäuschung der dortigen Nakam-Leute, die schnellstmöglich untertauchen. | |
| Distel versteckt sich nach Dienstschluss in der Großbäckerei und lässt | |
| nachts zwei Kameraden aufs Gelände. Sie haben herausgefunden, dass das | |
| Weißbrot der Bäckerei an die alliierten Soldaten geliefert wird. Deshalb | |
| nehmen sie sich nur das Graubrot vor, das für die gefangenen Nazis bestimmt | |
| ist. | |
| ## Arsen Aufstrich | |
| „Wir waren zu dritt. Ich habe das Brot genommen und es meinem Kameraden | |
| gereicht, der mit einem großen Pinsel das Gift auf die Unterseite des | |
| Brotes gestrichen hat. Währenddessen rührte ein weiterer Kamerad ständig | |
| das Arsen um, damit es sich nicht auf dem Boden des Eimers absetzte. Als | |
| wir das 1001. Brot gestrichen hatten, freuten wir uns und küssten uns.“ | |
| Doch plötzlich werden sie vom Wachschutz überrascht und flüchten in heller | |
| Aufregung. Distel kann sich verstecken: „Wir konnten die Aktion nicht wie | |
| geplant zu Ende bringen. Aber ich schätze, dass wir circa 3.000 Brote mit | |
| Gift bestrichen haben.“ | |
| Die Brote werden am darauf folgenden Morgen planmäßig in das | |
| Gefangenenlager ausgeliefert. Dass irgendetwas nicht stimmt, schwant den | |
| Wachen der US-Army erst, als zahlreiche SS-Leute bereits deutliche Symptome | |
| von Vergiftung zeigen. „Viele der Gefangenen wurden krank“, berichtet | |
| Joseph Harmatz. „Alle Militärhospitäler waren voll belegt und sie pumpten | |
| auf Hochtouren die Mägen aus.“ | |
| Die Aktion sorgt weltweit für Aufsehen – selbst die New York Times | |
| berichtet: 2.283 Nazis seien durch einen mysteriösen Anschlag vergiftet | |
| worden. Die Täter werden jedoch nie gefasst. Noch Jahrzehnte später | |
| kursieren in Nürnberg Gerüchte über angebliche Massengräber vergifteter | |
| SS-Männer. Tatsächlich aber fordert das Attentat nach heutigem | |
| Erkenntnisstand kein einziges Todesopfer. Denn die Nakam-Leute haben das | |
| Arsen wohl zu schwach dosiert. Wenn es für die jüdischen Rächer überhaupt | |
| etwas zu bedauern gibt, dann das. | |
| „Das Ziel der klandestinen Aktion in Nürnberg war es, der | |
| Weltöffentlichkeit zu beweisen, dass wir Juden nicht bereit waren, | |
| stillschweigend all das Morden und Töten hinzunehmen“, betont Leipke | |
| Distel. „Gelegentlich werde ich gefragt: Habt ihr moralisch gehandelt? Und | |
| ich antworte immer darauf: Wir haben moralisch gehandelt, weil wir Juden | |
| ein Recht hatten, uns an den Deutschen zu rächen.“ | |
| 10 Jan 2022 | |
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