# taz.de -- Präsidentenwahl in Libyen: Libyen hat wohl doch keine Wahl | |
> Wenige Tage vor dem Termin am 24. Dezember liegt noch nicht einmal eine | |
> Wahlliste vor. Die Abstimmung rückt in weite Ferne. Es drohen neue | |
> Kämpfe. | |
Bild: Kommt statt der Wahl neue Gewalt? Tripolis im April 2020 | |
TUNIS taz | Die [1][Präsidentschaftswahlen in Libyen] werden nicht wie | |
geplant am 24. Dezember, dem libyschen Unabhängigkeitstag, stattfinden. Das | |
haben die rund 2,4 Millionen registrierten Wähler allerdings nicht von der | |
Wahlbehörde HNEC erfahren, sondern aus dem Kalender. | |
Zwar wurden die Bewerbungsunterlagen der aktuell 72 Kandidaten von | |
HNEC-Chef Imed Al Saya akzeptiert und von lokalen Gerichten bestätigt. Doch | |
eine finale Liste liegt auch wenige Tage vor dem Wahltermin, den vor einem | |
Jahr eine libysche Kommission in Genf festlegte, nicht vor, obwohl das | |
Gesetz dafür eine Frist von zwei Wochen vorschreibt. Und das Hauptproblem | |
bleibt, dass die drei bekanntesten Kandidaten nach den Kriegen der letzten | |
zehn Jahre jeweils eine feste Anhängerschaft haben, aber in anderen | |
Landesteilen auch nach einem Wahlsieg nicht akzeptiert werden würden. | |
„Warum wählen wir einen einzigen Präsidenten für ein gespaltenes Land?“, | |
fragt sich Menschenrechtsaktivist Hamza El-Najh aus Gharian, der fürs | |
Parlament kandidiert. Er glaubt, dass die mächtigen Kandidaten gar keine | |
Wahlen wollen: „Wenn wir Libyer unter friedlichen Umständen abstimmen | |
dürften, wäre die derzeitige politische Führung auf allen Seiten schnell | |
weg.“ | |
Eigentlich sollte zeitgleich mit dem neuen Präsidenten auch ein neues | |
Parlament gewählt werden. Doch die Abgeordneten des aktuellen Parlaments, | |
das im ostlibyschen Tobruk sitzt, wollen offenbar erst einmal die Resultate | |
der Präsidentschaftswahl abwarten und als Sicherheitsgarant einen neuen | |
Krieg verhindern, sollten der ostlibysche Warlord Chalifa Haftar und der im | |
Westen des Landes populäre [2][Sohn von Libyens ehemaligen | |
Langzeitherrscher Gaddafi, Saif al-Islam], in eine Stichwahl einziehen und | |
dann einer gewinnen. | |
Saif wird vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag für den Angriff | |
auf Zivilisten während des Aufstands gegen seinen Vater mit Haftbefehl | |
gesucht. Er wurde überdies von einem libyschen Gericht zum Tode verurteilt, | |
aber im letzten Jahr freigelassen. Der Strafgerichtshof ermittelt auch | |
gegen Haftar wegen Kriegsverbrechen während seines zurückgeschlagenen | |
Angriffs auf Tripolis vor zwei Jahren. | |
## Waffenstillstand wackelt | |
Der dritte Hauptkandidat ist [3][Übergangspremier Abdul Hamid Dbaiba], | |
dessen Mandat am 24. Dezember endet. Er hatte versprochen, die Wahlen zwar | |
vorzubereiten, aber nicht selbst anzutreten. Aber einen Tag vor Ablauf der | |
Bewerbungsfrist tauchte er überraschend im HNEC-Hauptquartier auf und | |
sagte: „Es ist eine Verpflichtung gegenüber der Nation, dass ich mich | |
bewerbe.“ Zu den Wahlunterlagen des Millionärs gehört angeblich ein | |
gefälschtes kanadisches Universitätsdiplom. | |
Die Gefahr erneuter Kämpfe in Libyen ist also hoch. Der Krieg zwischen West | |
und Ost war im Sommer 2020 nur durch einen Waffenstillstand eingefroren | |
worden, nachdem die Regierung im Westen mit türkischer Hilfe die | |
ostlibyschen Haftar-Truppen zurückgedrängt hatte. In Zentrallibyen stehen | |
nach wie vor russische Söldner der Firma Wagner im Auftrag Haftars. Sie | |
sind aber auch auf der Gegenseite für die Sicherheit von Saif al-Islam | |
verantwortlich, so Sicherheitsexperten aus dem Süden des Landes gegenüber | |
der taz. | |
In der südlibyschen Provinzhauptstadt Sebha gehören derweil brandneue | |
gepanzerte Radpanzer der Haftar-Armee wieder zum Alltag. Haftars Einheiten | |
tauchten mehrmals vor dem Gericht auf, das über die Rechtmäßigkeit der | |
Kandidatur von Saif al-Islam entscheiden sollte – bis Anhänger von Saif sie | |
vertrieben. | |
Der Gründer der Wahlkommission HNEC, Othman Gajiji, plädiert gegenüber der | |
taz für eine Verschiebung der Wahlen um wenige Wochen, „weil die Abstimmung | |
ein Schritt auf dem Weg Richtung Demokratie sein kann, aber auch einen | |
neuen Konflikt auslösen kann“. Er fragt sich, warum die internationale | |
Gemeinschaft am Wahltermin festhält. | |
20 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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