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# taz.de -- Vorfall bei AfD-Veranstaltung 2019: Freie Fahrt für Ingo Walter F.
> Bei einem AfD-Event fährt ein Rentner in eine Gegendemo. Die Polizei
> ermittelt nicht gegen ihn. Stattdessen müssen linke Aktivist:innen
> vor Gericht.
Bild: Wie weit reicht der Arm der Polizei?
Duisburg taz | „Der hat uns angefahren“ und „das ist Körperverletzung“
riefen die Gegner:innen eines sogenannten „Bürgerdialogs“ der [1][AfD]
in Mülheim an der Ruhr. Vor zwei Jahren, am 29. Oktober 2019, protestierten
sie vor der Stadthalle gegen die rassistische Hetze der extrem rechten
Partei. Die wollte zum Auftakt des Kommunalwahlkampfs an diesem
Dienstagabend ihre Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel präsentieren.
Schon im Vorfeld hatte die AfD auf Werbeflyern gegen angeblich
überdurchschnittlich gewaltbereite „ausländische Täter“ gehetzt. Dagegen
protestierten an diesem Dienstagabend rund 3.000 Menschen. Einige
Demonstranten blockieren auch den Parkplatz der Stadthalle, als ein
schwarzes SUV der Marke Audi auf sie zurollt. Am Steuer sitzt der heute 79
Jahre alte Rentner Ingo Walter F.
„Erst ist er im Schritttempo auf uns zugefahren“, schildert Aktivist
Clemens Jost die Situation heute. Dann aber habe F. den Motor aufheulen
lassen, sei schneller geworden. „Ich hing mit Händen und Armen auf der
Motorhaube, steckte mit den Füßen unter dem Auto, konnte nicht mehr
zurück“, sagt Jost, der in diesem Jahr Bundestagskandidat der Linken war.
„Ich war richtig in Panik: Ich hatte Angst, hinzufallen und aus dem
Blickfeld des Fahrers zu verschwinden – und der denkt dann, er hätte freie
Fahrt.“
Nun, zwei Jahre später, ist der Fall zum zweiten Mal vor Gericht verhandelt
worden. Vor dem Landgericht Duisburg verantworten muss sich am Mittwoch
aber nicht der Rentner F. – sondern zwei der Demonstrant:innen gegen
die AfD. Sie wehren sich gegen ein Urteil des Amtsgerichts Mülheim, das sie
wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot und Beleidigung im vergangenen
Juli mit Geldstrafen belegt hatte.
## „Null Interesse“ an Ermittlungen
Grund dafür sind offenbar völlig einseitige Ermittlungen der auch für
Mülheim zuständigen Polizeidirektion Essen: „Wir haben mit vier Leuten
versucht, Anzeige gegen den Rentner zu erstatten, sind aber immer wieder
vertröstet worden“, sagt Clemens Jost, der in Duisburg als Zeuge geladen
ist. Zwar hätten die Beamt:innen ihre Ausweise mitgenommen – Aussagen
seien aber nicht protokolliert worden. „Die Polizei hatte an Ermittlungen
gegen den Fahrer einfach Null Interesse“, sagt Jost.
„Ich habe ebenfalls versucht, Anzeige gegen den Fahrer zu erstatten“,
erklärt auch die Schwester eines der Angeklagten. „Die wurde von der
Polizei aber ebenfalls nicht aufgenommen. Stattdessen wurde mir gedroht,
mich in Gewahrsam zu nehmen, wenn ich nicht verschwinde.“
Tatsächlich bleibt bis heute unklar, ob die Polizei überhaupt jemals gegen
den Rentner F. ermittelt hat: Eine entsprechende Anfrage der taz ließ die
zuständige Polizeidirektion Essen-Mülheim bisher unbeantwortet. „Von
Ermittlungen gegen F. wissen wir nichts“, sagt auch eine Sprecherin des
Bündnisses Aufstehen gegen Rassismus Essen, das eine bundesweite
Solidaritätsaktion für die beiden Angeklagten organisiert hat.
Nicht nur Demonstrant Jost ist deshalb bis heute schockiert. „Ich hätte mir
niemals vorstellen können, dass ignoriert wird, wenn jemand in eine
Menschenkette fährt“, sagt er. Und nicht nur Jost fragt sich, wie groß die
Sympathie der Beamt:innen für die AfD ist, wie weit der Arm der
Rechtspopulisten in die Polizei zumindest in Mülheim und Essen reicht.
## Vorwurf: Schläge auf der Polizeiwache
Denn die steckt seit 2020 mitten in einem [2][Skandal um rechtsextreme
Chatgruppen] von wenigstens 14 ihrer Beamt:innen: Darin waren weit über 100
strafrechtlich relevante Dateien gefunden worden – darunter Hitler-Bilder,
Hakenkreuze, fiktive Darstellungen eines Geflüchteten in einer Gaskammer
oder eines schwarzen Menschen, der erschossen wird. Gegen sechs
Polizist:innen wurde im Sommer bereits Strafbefehl erlassen.
Auch klagten Menschen mit Migrationshintergrund allein 2020 in mindestens
zwei Fällen, sie seien auf Essener Polizeiwachen geschlagen worden, als sie
etwa den Diebstahl einer Geldbörse anzeigen wollten.
Beim Prozess vor dem Landgericht Duisburg an diesem Mittwoch aber war das
alles kein Thema. Aufstehen gegen Rassismus wertet das Verfahren zwar als
Teilerfolg – die vom Mülheimer Amtsgericht verhängten Geldstrafen wurden
kassiert und die Verfahren gegen Zahlungen dreistelliger Summen an
gemeinnützige Organisationen wie den Weißen Ring und das Duisburger
Frauenhaus eingestellt. Der Rentner F. aber war nur als Zeuge geladen.
1 Dec 2021
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-AfD/!t5495296
[2] /Polizeiaffaere-um-rechte-Chats-in-NRW/!5716439
## AUTOREN
Andreas Wyputta
## TAGS
Gerichtsprozess
Schwerpunkt AfD
Rechtsextremismus
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Aktivismus
Rechtsradikalismus
Reservisten
Polizei Niedersachsen
Polizei
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