# taz.de -- Nationalisten in Bosnien und Herzegowina: Kaum Spielraum in Sarajevo | |
> Seit es in Bosnien vermehrt kriselt, schaut die Welt auf den Hohen | |
> Repräsentanten Christian Schmidt. Doch wie viel Macht hat er wirklich? | |
Bild: Hoher Repräsentant in Sarajevo: Christian Schmidt | |
Sarajevo taz | Das Büro des Hohen Repräsentanten in Sarajevo ist in einem | |
schmucken vierstöckigen Gebäude nahe dem Miljacka-Fluss untergebracht. Seit | |
der [1][deutsche CSU-Politiker Christian Schmidt] die Behörde leitet, geben | |
sich Politiker, Journalisten und Mitglieder von internationalen | |
Delegationen hier wieder die Klinke in die Hand. | |
Bosnien und Herzegowina ist für die internationale Gemeinschaft wieder | |
interessant geworden. Seit der serbischen Nationalistenführer Milorad Dodik | |
am Freitag letzter Woche im Parlament des serbischen Teilstaates (Entität) | |
ein [2][Gesetzespaket über die Loslösung der „Republika Srpska“] von | |
Bosnien und Herzegowina durchpaukte, steht die Existenz des Staates auf dem | |
Spiel. | |
Hinzu kommt noch, dass der kroatische Nationalistenführer Dragan Čović ein | |
Wahlgesetz durch das Parlament des Gesamtstaates schleusen will, das darauf | |
zielt, den zweiten Teilstaat, die bosniakisch-kroatische Föderation, in | |
Trümmer zu schlagen. Die Kroaten wollen eine eigene, dritte Entität im | |
Staat etablieren und damit eine weitere ethnonationalistische Spaltung des | |
Landes durchsetzen. | |
Auf dies alles müsste der 64-jährige Hohe Repräsentant Christian Schmidt | |
reagieren. Denn dieses mit dem [3][Friedensvertrag von Dayton], der den | |
bosnischen Krieg 1992–1995 beendete, etablierte Amt ist dazu da, die | |
Umsetzung des Dayton-Vertrags zu überwachen. Formell hat er die Macht, | |
Politiker, die gegen den Geist von Dayton verstoßen, kurzerhand abzusetzen. | |
Aber ist das wirklich eine Option? | |
## Weniger Macht als die Vorgänger | |
Immerhin wirkt der ehemalige Landwirtschaftsminister und Militärexperte | |
beim Besuch der taz in seinem Büro nach einem langen Arbeitstag noch nicht | |
allzu müde. Er lächelt, als er scherzhaft fragt, wohin er mit Übernahme | |
dieses Postens eigentlich geraten ist. Aber er kann das Problem nicht | |
überspielen. Denn er verfügt nicht mehr über die Macht seiner Vorgänger. | |
Der Brite Paddy Ashdown, Hoher Repräsentant von 2001 bis 2006, hätte nicht | |
gezögert, internationale Polizisten nach Banja Luka oder Mostar zu | |
schicken, um [4][Nationalisten wie Dodik] festzunehmen. Schmidt verfügt | |
nicht mehr über internationale Polizisten und hat auch nicht mehr die | |
Rückendeckung von Tausenden von Nato- bzw. Eufor-Soldaten, wie Ashdown | |
damals. Er kann nur appellieren, auf Legalität bestehen, auf Gesetze | |
verweisen und die Einhaltung der Verfassung fordern. | |
Hinzu kommt, dass die EU-Mission im Land eine eigene Agenda verfolgt und | |
den Hohen Repräsentanten links liegen lässt. Ashdown und sein Nachfolger | |
Christian Schwarz-Schilling hatten noch beide Hüte auf, waren „High Rep“ | |
und gleichzeitig Chef der EU-Mission. Die beiden Institutionen sind seitdem | |
getrennt. Weil das Bosnienproblem seit mehr als zehn Jahren in den | |
EU-Hauptstädten kaum mehr beachtet wurde – so lange alles ruhig blieb, | |
brauchte man sich ja nicht um Bosnien zu kümmern –, führte die EU-Mission | |
ein Eigenleben. | |
Der jetzige Chef, der Österreicher Johann Sattler, tut sich seit Jahren | |
damit hervor, intransparente Geschäfte zwischen den Nationalisten | |
auszuhandeln, etwa das umstrittene Wahlgesetz in Mostar. Weil die | |
EU-Mission Dodik und Čović immer weiter entgegenkam, konnten die ihre | |
Politik radikalisieren. Mehr noch: die EU-Abgesandte Angelina Eichhorst vom | |
Europäischen Auswärtigen Dienst setzte mit dem noch von Donald Trump | |
bestellten US-Diplomaten Matthew Palmer die politischen Parteien in | |
Sarajevo unter Druck, den Forderungen der Nationalisten nachzugeben. | |
## Doch noch positive Signale aus der EU | |
Schmidt schweigt zur EU-Mission. Man merkt nur an seiner Körperhaltung, | |
dass ihm das Thema unangenehm ist. Immerhin hat sich die | |
EU-Außenministerkonferenz gegen eine Aufteilung Bosniens ausgesprochen und | |
die Umsetzung des 14-Punkte-Plans der EU gefordert, mit dem das Land in die | |
EU integriert werden soll. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat | |
auf dieser Sitzung vehement Sanktionen gegen Dodik gefordert. Und ein | |
Antrag Kroatiens, das Čović-Wahlgesetz in Bosnien zu unterstützten, wurde | |
nicht in die Resolution aufgenommen. Schmidt kann damit zufrieden sein. | |
Dass sich in der EU zudem Widerstand gegen den Kurs der EU-Mission in | |
Sarajevo regt, müsste dem Hohen Repräsentanten gefallen. Aber er bleibt | |
vorsichtig. Entgangen ist ihm nicht, dass eine Delegation des | |
Grünen-Europaabgeordneten Thomas Waitz am letzten Wochenende die bisherige | |
EU-Politik kritisierte und Maßnahmen gegen Dodik und Čović forderte. Die | |
europäischen Volksparteien, zu denen auch die CDU/CSU gehört, sollten damit | |
aufhören, den Forderungen der Kroaten entgegenzukommen, forderte Waitz. | |
Zudem wurde im britischen Parlament offen über den Einsatz von Nato-Truppen | |
in Bosnien diskutiert. Schmidts Augen leuchten auf, als er vom Besuch des | |
neu bestellten britischen Sondergesandten für Bosnien und Herzegowina, Sir | |
Stuart Peach, berichtet – ein hoher Militär, den er schon aus seiner Zeit | |
im Kosovo kenne. | |
16 Dec 2021 | |
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[3] /25-Jahre-Abkommen-von-Dayton/!5725704 | |
[4] /Provokation-in-Bosnien-Herzegowina/!5805959 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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